A

Ableismus, ableistische Diskriminierung

»Ableismus ist ein am Englischen Ableism angelehnter Begriff, der aus der US-amerikanischen Behindertenbewegung stammt. Er beschreibt die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, indem Menschen an bestimmten Fähigkeiten – laufen, sehen, sozial interagieren – gemessen und auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden. Ableismus betont die Ungleichbehandlung, Grenzüberschreitungen und stereotypen Zuweisungen, die Menschen wegen ihrer Behinderung erfahren. Es gibt eine normative Vorstellung davon, was Menschen leisten oder können müssen. Wer von dieser Norm abweicht, wird als behindert gekennzeichnet und als minderwertig wahrgenommen. Die radikalste Form von Ableismus war die Euthanasie während des deutschen Nationalsozialismus, bei der Menschen mit Behinderung systematisch ermordet wurden. Im heutigen Alltag bedeutet Ableismus, dass Menschen mit Behinderung immer damit rechnen müssen, die Ausnahme zu sein. Sie müssen sich oftmals speziell anmelden, um eine Kulturveranstaltung zu besuchen, und können zum Beispiel nicht einfach davon ausgehen, dass der Zugang zum Gebäude oder die Übersetzung in Gebärdensprache gewährleistet sind. Menschen mit Behinderung werden durch stereotype Darstellungen in den Medien diskriminiert und auf ihre Behinderung reduziert. Zudem werden die wenigen Rollen, die es für Menschen mit Behinderung im Film oder Theater gibt, oft von nicht-behinderten Darsteller*innen gespielt, während Schauspieler*innen mit Behinderung(en) es schwer haben, Rollenangebote zu bekommen, zumal solche, bei denen ihre Person und nicht die Behinderung im Vordergrund steht.« (Diversity Arts Culture o.J.)

Literatur:

Website von Diversity Arts Culture, Wörterbuch, Ableismus, o.J., https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/ableismus (zuletzt abgerufen am 14.10.2021).

Abstrakte Kunst

»Abstrakte Kunst nennt man oft auch gegenstandslose Kunst. Kunstwerke wie etwa Statuen oder Gemälde zeigen etwas, das man sofort erkennt: einen Gegenstand wie ein Haus oder einen Tisch, ein Tier oder einen Menschen, oder eine Landschaft. Abstrakte Kunst zeigt so etwas aber nicht. Bei der Abstrakten Kunst geht es um Formen und Farben. […]. Das Wort abstrakt bedeutet [dabei] so viel wie ›wegziehen‹ oder ›loslösen‹. Die Abstrakte Kunst ist also ›losgelöst vom Gegenständlichen‹ (klexikon o.J.) […] Künstler_innen wollen damit »etwas zeigen, ohne dass […] [sie] konkrete Dinge, Menschen, Tiere und so weiter malen […]«. (ebenda)

Literatur:

Website von klexikon, Abstrakte Kunst, o.J., https://klexikon.zum.de/wiki/Abstrakte_Kunst (zuletzt abgerufen am 15.06.2021).

Achsen der (sozialen) Ungleichheit, intersektionale

siehe intersektional, Intersektionalität (intersektionale Achsen, Achsen der Ungleichheit)

Afropessimismus

Afropessimismus ist ein theoretischer Rahmen zur Analyse und zum besseren Verständnis von Machtverhältnissen, die Schwarze Menschen betreffen. Unter Schwarzen Denker_innen herrscht oft ein gemeinsames (historisches) Verständnis davon wie strukturelle Sklaverei im Kolonialismus und Antischwarzer Rassismus zusammenhängen. Vertreter_innen des Afropessimismus betrachten die soziale Konstruktion von Schwarzsein jedoch kritisch. Laut der afropessimistischen Analyse ist das Schwarzsein historisch aus der strukturellen Versklavung Schwarzer Menschen entstanden. Schwarze Menschen, die versklavt wurden, waren demnach keine unterdrückten Subjekte, sondern wurden grundsätzlich als Objekte ohne Identität behandelt. Auf das Ende der Sklaverei folgte die Errichtung eines Rechtssystems, das Schwarze Menschen weiterhin als sozial unwürdig und Zielscheiben für Gewalt markierte. Demgegenüber stehen in der Gesellschaft alle anderen Identitäten, die sich über das Nicht-Schwarz-Sein definieren. Die bestehenden Machtverhältnisse bestehen also nicht zwischen weiß/nicht-weiß, sondern sind als Schwarz/Nicht-Schwarz zu verstehen. Damit nehmen sie die Kritik der Schwarzen, revolutionären Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre wieder auf und setzen an deren Scheitern bzw. Unzulänglichkeiten an. Afropessimismus lehnt den Fortschrittsgedanken und die positive Affirmation Schwarzer Identität ab, wie sie noch von der Civil Rights Movement vertreten wurde. Stattdessen negiert der Afropessimismus auch die Schwarze Identität, denn diese wurde nur durch die anti-Schwarze Gewalt weißer Kolonisator_innen geschaffen und reproduziert diese (vgl. Wilderson III et al. 2017, S. 7 ff.).

Um diese Gewalt zu stoppen, bedarf es eines anderen Systems, eines Umdenkens in Strukturen die über das Schwarzsein hinauslaufen. Denn ein Aktivismus, der nur komplementär zur kapitalistischen Marktlogik verläuft, wird die Gewaltverhältnisse weiterhin stabilisieren. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist dadurch weit entfernt.

Literatur:

Wilderson III, Frank B./Hartman, Saidiya/Martinot, Steve/Sexton, Jared/Spillers, Hortenese J.: »Editors‘ Introduction.« In: Wilderson III, Frank B./Hartman, Saidiya/ Martinot, Steve/Sexton, Jared/Spillers, Hortenese J. (Hg.): Afro-Pessimism: An Introduction. Minneapolis: Racked and Dispatched, 2017, S. 7–13.

Aktionsforschung

»Aktionsforschung bezeichnet ein breites Feld von Forschungsansätzen – von Modellen aus der Organisationsentwicklung oder dem Management über Forschung durch Praktiker_innen in Bildungsinstitutionen, Gesundheitswesen oder Sozialarbeit bis zur kollektiven Wissensproduktion im Kontext von politischer Organisierung und Aktivismus. Zwei generelle Charakteristiken lassen sich in der Heterogenität [Verschiedenartigkeit] der Ansätze herausstellen:

  1. Aktionsforschung bedeutet eine Verschiebung oder Erweiterung der Position der Forschenden: Es wird in Frage gestellt, dass Forschung lediglich durch akademisch ausgewiesene Wissenschaftler_innen betrieben werden kann. In Modellen der Aktionsforschung wird Forschung zentral von denjenigen betrieben, die Akteure im zu untersuchenden Feld sind, z.B. im Kontext Schule von Lehrpersonen und/oder Schüler_innen.
  2. Aktionsforschung begreift das Handeln, die Veränderung im untersuchten Feld als wesentlichen Teil des Forschungsprozesses. Charakteristisch ist ein zyklischer Forschungsprozess, in dem die Forschungsfragen aus Reflexion über die Praxis/Ausgangssituation generiert werden. Ziel der Untersuchung ist eine verändernde Handlung im Forschungsfeld, die erneut reflektiert werden und somit einen weiteren Forschungszyklus anstossen [sic!] kann.

Modelle der Aktionsforschung stellen damit die Unterscheidungen zwischen Praxis und Forschung, zwischen Forschenden und Beforschten, zwischen Analyse und Eingriff in Frage und machen die Grenzen des wissenschaftlichen Betriebes durchlässig.

Jede Form der Forschung umfasst im Grunde ein ›Aktions‹-Element: sie hat immer Effekte in dem Feld, das untersucht wird (auch das Führen von Interviews ist ein Eingriff in eine soziale Situation). Aktionsforschung wird mit dem Ziel betrieben, bewusst in dem untersuchten Setting neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Das Ziel der Veränderung der Praxis bedeutet, dass Forschung nicht bemüht ist, neutral zu beobachten, sondern die Position vertritt und anstrebt, konkrete Veränderungen anzustossen [sic!]. […]« (Institute for Art Education o.J.)

Literatur:

Website der Zürcher Hochschule der Künste, Glossar, Aktionsforschung, o.J., https://www.zhdk.ch/forschung/ehemalige-forschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/aktionsforschung-3810 (zuletzt abgerufen am 13.05.2021).

Allgemeinbildung

»Allgemeinbildung ist die Gewinnung von Grundkompetenzen in möglichst allen Bereichen des Lebens für die kritische Auseinandersetzung mit der gesamten physischen und geistigen Wirklichkeit des Lebens. Erläuterung: Allgemeinbildung soll demnach den Menschen zur möglichst aktiven Beschäftigung und der kritischen Auseinandersetzung mit den grundlegenden Fragen aus dem religiösen Bereich sowie den Bereichen von Wissenschaft und Kunst, mit Sachverhalten und Problemen der Politik und des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie zum optimalen weiteren Wissenserwerb befähigen.« (Olechowski 1997, zit. n. Olechowski o.J.)

Es ist jedoch zu beachten, dass die sogenannte Allgemeinbildung durch Menschen festgelegt wird und stetig verändert werden kann. In einer Welt, die von westlichen, weißen, bürgerlichen und cis-männlichen Dominanzverhältnissen (siehe Dominanzverhältnisse) geprägt ist, gilt es, die Allgemeinbildung als eine Bildung zu betrachten, die das Wissen und die Perspektive von Menschen, die von Diskriminierung betroffen werden, häufig nicht behandeln und wenn aus einer weißen, westlichen, cis-männlichen und bürgerlichen Perspektive erzählen. Das bedeutet, dass dieses Wissen in Schulen, Museen, den Nachrichten oder Suchmaschinen erst durch viel Aufwand und Recherche erworben werden kann, da es vermeintlich nicht zur Allgemeinbildung gehört. Auch das Sprechen verschiedener Sprachen ist dieser Dominanz unterworfen. Bestimmte Sprachen zählen zur Allgemeinbildung, andere Sprachen als »besonders«, »sonderbar« oder »störend«. So werden die Sprachen der ehemaligen Kolonialmächte, wie Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch etc. in Schulen gefördert, während Sprachen wie Arabisch, Türkisch, Russisch, Polnisch und Vietnamesisch (Erstsprachen der Schüler_innen) als Bildungsnachteil betrachtet werden. (Fürstenau 2011)

Literatur:

Olechowski, Richard: »Schlussfolgerungen für eine Reform der Schulen der Vierzehn- bis Neunzehnjährigen unter dem Aspekt einer humanen Schule«. In: Persy, E./Tesar, E. (Hg.): Die Zukunft der Schulen der Vierzehn- bis Neunzehnjährigen, Frankfurt am Main 1997, zitiert nach Olechowski; online unter: https://homepage.univie.ac.at/richard.olechowski/statements/allgemeinbildung.html, (zuletzt abgerufen am 16.05.2021).

Fürstenau, Sara: »Mehrsprachigkeit als Voraussetzung und Ziel schulischer Bildung«. In: Fürstenau, S./Gomolla, M. (Hg.): Migration und schulischer Wandel: Mehrsprachigkeit, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2011, S. 25–50.

alltäglicher Rassismus

siehe Alltagsdiskriminierung

Alltagsdiskriminierung

»Eine Betroffene hat den alltäglichen Antisemitismus einmal als Nieselregen bezeichnet. Sie sagte, man habe das Gefühl, es sei schon okay, dann käme noch ein Tropfen und noch ein Tropfen. Irgendwann kommt man nach Hause und das ganze Haar sei nass. Diese Metapher fand ich sehr treffend.« (Bernstein 2019)

Alltagsdiskriminierung meint die vielen, immer wiederkehrenden Erlebnisse von Menschen, die von Diskriminierung (siehe Diskriminierung) betroffen sind, in ihrem täglichen Leben bzw. in ihrem Umfeld. Einzeln betrachtet werden diese Erlebnisse – vor allem von den Nicht-Betroffenen – oft als »nicht so schlimm« bewertet, was dazu führt, dass Menschen ihre Erfahrungen abgesprochen werden. Dabei werden durch kleine und oft unterschwellig aggressive Bemerkungen, Gesten und Handlungen (manchmal unbeabsichtigt und unbewusst) immer wieder ihre »Abweichung« von der Norm betont und ihre Nicht-Zugehörigkeit zur »Wir-Gruppe« festgestellt. (vgl. IDA e.V. o.J.) Man nennt das Mikroaggressionen (siehe Mikroaggressionen). Dies findet oft auf einer individuellen Ebene von Person zu Person statt, geschieht aber auch auf der gesellschaftlich-kulturellen Ebene (siehe Diskriminierung) zum Beispiel in den Medien oder der Werbung. (ebenda) Die in der Gesellschaft und Kultur vorhandenen Vorstellungen und Bilder über diskriminierte Menschen werden so durch Einzelpersonen wiederholt, bestätigt und neu hergestellt. Alltagsdiskriminierungen zeichnen sich u.a. durch ihre Regelmäßigkeit aus, aber können auch durch einen vermeintlich positiven, neugierigen oder gut gemeinten Charakter auffallen. (ebenda) Oft können Bemerkungen und Handlungen als übergriffig beschrieben werden (z.B. unerwünschte Berührungen oder Hilfestellungen, Fragen nach der Herkunft, Zuschreibung von Eigenschaften oder Einstellungen usw.). (ebenda) Ein alltägliches Beispiel für eine konkrete Art von Alltagsdiskriminierung wäre in diesem Fall Alltagsrassismus: das Loben von Deutschkenntnissen bei Menschen, die von Rassismus betroffen sind (möglicherweise ungeachtet dessen, dass die Person Deutsch als eine ihrer Hauptsprachen gelernt hat). (ebenda)

Literatur:

Bernstein, Julia/ König, Julia/ Pohl, Rolf: »Nie wieder, schon wieder, immer noch? Gesellschaftliche Kontinuitäten und Wandlungen des Antisemitismus«. Podiumsdiskussion moderiert von Tom Uhlig auf dem Fachtag »Antisemitismusprävention und -intervention als gesellschaftliche Querschnittsaufgaben« von Spiegelbild e.V. Wiesbaden, 7.11.2019.

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Alltagsrassismus, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=A&cHash=071ed3130f3f059547772f8744def82c (zuletzt abgerufen am 12.4.2021).

Ambivalenz

Ambivalenz bedeutet so viel wie Zerrissenheit, Spannungszustand oder Zwiespältigkeit (vgl. Duden 2021). Menschen, die an der Schnittstelle Kunst/Bildung arbeiten, sehen sich häufig mit ambivalenten Situationen konfrontiert. Ein Beispiel:

Einerseits finde ich als Kunstlehrer_in möglicherweise die Gemälde eines bestimmten im Lehrplan aufgeführten Malers der klassischen Moderne – bspw. Paul Gauguins – sinnlich sehr ansprechend: Ich mag die Farben, die Art und Weise wie die Farben zusammengestellt und aufgetragen wurden usw. Andererseits weiß ich vielleicht um die kolonialen Verstrickungen des Künstlers; weiß darum, dass durch die Motivik des ausgewählten Gemäldes exotisierende Konzepte/Ideen abgerufen und – so meine Befürchtungen – diesen durch das Unterrichten Raum gegeben und damit auch verfestigt werden. Gleichwohl ist mir bewusst, dass eine diskriminierungskritische Auseinandersetzung mit dem Werk auch Chancen bietet. Chancen, den Lernenden ein tieferes Verständnis in die sich durch die Geschichte fortsetzenden kolonialen Bildpolitiken zu ermöglichen und eine kritische Lesefähigkeit zu erlernen. Dies wiederum kann Lernenden einen Weg eröffnen, informierte künstlerisch-praktische Interventionen in und entlang solcherart von Werken vorzunehmen. Und trotzdem bleibt der ambivalente Spannungszustand, die Zerrissenheit bestehen, der/die sich nie gänzlich auflösen lassen wird.

Vielleicht geht es, wie Carmen Mörsch in diesem Bildungsmaterial auch schon an anderer Stelle betont hat (Karte »doing difference«), vor allem darum, sich über das »Wie?« in der Vermittlung von Kunst und Kultur im Kontext einer diskriminierungskritischen Bildungsarbeit Gedanken zu machen, eine Haltung dazu zu entwickeln und somit einen Umgang mit diesen Ambivalenzen zu finden.

Literatur:
Website des Dudenverlags, Ambivalenz, 2021,  https://www.duden.de/rechtschreibung/ Ambivalenz, (zuletzt abgerufen am 12.10.2021).

Anderen, die

siehe Othering

aneignen, Aneignung

Das Verb (sich etw.) aneignen, die Aneignung einer Sache, kann in unterschiedlichen Kontexten verwendet werden. In der deutschen Rechtssprache meint der Begriff, das widerrechtliche An-sich-Nehmen, bzw. die eigentümliche Besitzannahme eines Sachgegenstandes (vgl. Duden 2021). Im Falle der kulturellen Aneignung (siehe kulturelle Aneignung) beispielsweise, werden kulturelle Güter vermarktet und aus ihrem ursprünglichen kulturellen Kontext gerissen. Dabei werden die Rechte und Kulturen der Menschen missachtet, die diese kulturellen Güter produzieren. Sie werden für Profit ausgebeutet und bekommen häufig keinen großen Anteil an dem, was Unternehmen verdienen. Im kulturwissenschaftlichen Kontext meint die Aneignung den aktiven Prozess etwas an sich zu nehmen, zu erfassen, zu lernen, zu übernehmen, zu beherrschen oder auch wiederzuerlangen (siehe Rück_aneignung). Begriffe wie bspw. Queer, Slurs (Beleidigungen für Minderheiten), die ursprünglich abwertend gebraucht wurden, werden in ihrer Bedeutung positiv besetzt, indem sie von den Betroffenen als Selbstbezeichnung übernommen werden. Dies ist ein Beispiel dafür, wie sich der Aneignungsprozess auch als politische Strategie und Widerstand anwenden lässt.

Literatur:

Website des Dudenverlags, aneignen, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/aneignen (zuletzt abgerufen am 14.10.2021).

Anrufungen

Anrufung wird hier in Anlehnung an den Philosophen Louis Althusser benutzt. Es geht darum, dass Menschen lernen, sich als »Ich« und das Gegenüber als »Du« zu erkennen und voneinander abzugrenzen, indem sie im Zusammenhang mit Ritualen oder gebräuchlichen Ansprachen angesprochen bzw. bezeichnet, also »angerufen« werden. Mit diesen Bezeichnungen lernen sich die Menschen folglich zu identifizieren. Die Anrufungen werden als ideologisch verstanden, weil sie sich aus gesellschaftlichen Werte- und Normvorstellungen speisen und sie das angerufene Subjekt (siehe Subjekt, Subjektivierung) bilden und festschreiben. (ZHdK 2012)

»Althusser vergleicht dieses Verfahren mit dem Ruf des Polizisten ›He, Sie da!‹. Indem das Individuum sich umwendet, erkennt es an, dass der Anruf genau ihm galt, und nimmt die ihm von der Ideologie zugewiesene Subjektposition an. Das Individuum, das sich so in seine Unterwerfung fügt, wird zum Subjekt, indem es die ihm zugewiesene gesellschaftliche Position (in den […] [Kategorien] von Klasse, Gender und [Rassisiertheit]) als seine eigene (v)erkennt.« (Posselt 2003)

Bei Althusser handelt es sich hier um einen einmaligen Akt. Ein anderes Beispiel, das auf Judith Butler zurückgeht (vgl. ebenda): Wenn ein Baby geboren wird, wird es durch den »[…] Ausspruch ›Es ist ein Mädchen!‹ oder ›Es ist ein Junge!‹« (ZHdK 2012) als etwas bezeichnet bzw. von seinem Umfeld als solches anerkannt und behandelt. Das Baby kann und muss nicht bestätigen, dass diese Adressierung richtig ist – entlang dieser Zuordnung folgen aber viele Entscheidungen und Einflussnahmen auf den Menschen. (ebenda) Später muss die Anrufung, im Gegensatz zu Althussers einmaligem Akt (vgl. Posselt 2003), »immer wieder erneuert und bekräftigt werden, denn Situationen von konkreten Anrufungen […] gibt es genug – bspw. jedes Mal, wenn […] die »richtige« Tür zu einer öffentlichen Toilette [gefunden werden muss]« (ZHdK 2012).

Literatur:

Website der ZHdK, Wiki, Repräsentation und Repräsentationskritik, ideologische Anrufung, 2012, https://wiki.zhdk.ch/repraesentation/doku.php?id=wiki:text:vertiefung:anrufung, (zuletzt abgerufen am 13.05.2021).

Posselt, Gerald: »Interpellation«, 2003. In: produktive differenzen. forum für differenz- und genderforschung, https://differenzen.univie.ac.at/glossar.php?sp=27, (zuletzt abgerufen am 05.06.2021).

antikolonial

siehe Dekolonial, Dekolonialität

Antirassismus

Die Vorsilbe ant- oder anti- kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet dagegen, gegen(über), anstelle von. Somit handelt es sich bei Antirassismus, um Theorien, Handlungsansätze und Haltungen (siehe Haltung), die sich gegen Rassismus (siehe Rassismus) richten. Antirassismus stellt sich gegen lückenhafte Gesetze, Polizeigewalt, strukturellen Rassismus und erarbeitet Ansätze, wie eine Gesellschaft, die seit Jahrhunderten auf rassistische (Denk-)Strukturen, bspw. in Gesetzen, Institutionen, Vorurteilen etc. aufbaut, sich davon befreien kann, weiterhin Menschen (strukturell) auszuschließen, auszubeuten und zu unterdrücken, in dem rassistische (Denk-)Strukturen reproduziert werden (vgl. Diversity, Inclusion and Equity o.J.).

Literatur:

Website von Diversity, Inclusion and Equity, antiracism, o.J., https://diversityandinclusion.lehigh.edu/what-antiracism/antiracist-glossary-and-terms (zuletzt abgerufen am 14.10.2021).

Antisemitismus

Es handelt sich dabei um feindliche Wahrnehmungsweisen, Handlungen bis hin zum Wunsch nach der Vernichtung von Jüd_innen und alles was mit ihnen zu tun hat (vgl. Becker 2020).

»Der Begriff des Antisemitismus wurde […] im späten 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum geprägt und in Europa verbreitet. […] [In Bezug auf Antisemitismus sind] Formen der Diskriminierung aufgrund von Religion und [Rassifizierung (siehe Rassifizierung)] […] nicht klar zu trennen, sondern haben eine verwobene Geschichte […]«. (Danilina o.J.)

Antisemitismus hält Jüd_innen gleichzeitig für minderwertig und für überlegen, »[…] [sie] gelten als machtvoll und wohlhabend, als eine verschworene Gemeinschaft, die besonderen und missbräuchlichen Einfluss auf Politik und Wirtschaft habe. […] Antisemitismus ist deswegen nicht nur eine Feindschaft gegen eine Personengruppe, sondern bietet ein Modell der Welterklärung an […]. In außenpolitischen Zusammenhängen manifestiert sich Antisemitismus oft über ›Israel-Kritik‹: Die Politik des jüdischen Staates wird als größte und nahezu einzige Gefahr für den Weltfrieden gesehen. Die Politik der israelischen Regierung wird nicht nach den Maßstäben anderer Länder behandelt, sondern dämonisierend, nach Doppelstandards und delegitimierend. « (Bildungsstätte Anne Frank 2020, S. 3)

Literatur:

Becker, Randi: »Kein Platz für Jüdinnen? – Antisemitismus und Intersektionalität«, 2020. In: Gender Blog, 2020; online unter https://www.gender-blog.de/beitrag/antisemitismus-intersektionalitaet (zuletzt abgerufen am 18.06.2021)

Danilina, Anna: »Antisemitismus«. In: Diversity Arts Culture, Wörterbuch, Antisemitismus, o.J.; online unter https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/antisemitismus (zuletzt abgerufen am 15.10.2021)

Bildungsstätte Anne Frank: »Antisemitismus und Rassismus. Unterrichtsimpulse«. In: Bildungsstätte Anne Frank und Frankfurter Allgemeine Zeitung (Hg.): Racist Glasses. Lernlabor der Bildungsstätte Anne Frank. Sekundarstufe II – Politik, Deutsch, Ethik, Religion. Lernen mit der FAZ, Frankfurt am Main: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, 2020; online unter https://www.bs-anne-frank.de/mediathek/publikationen/unterrichtsimpulse-antisemitismus-und-rassismus (zuletzt abgerufen am 04.01.2022)

Aufklärung

»Mit dem Wort Aufklärung wird eine geistige Bewegung bezeichnet, die gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Europa entstand. Diese Denkrichtung erklärte die Vernunft (Rationalität) des Menschen und ihren richtigen Gebrauch zum Maßstab allen Handelns. Nur das, was mit dem Verstand begründet werden kann, was beweisbar ist, kann als Richtschnur des eigenen Verhaltens dienen. […]

Im geistigen Leben des 18. Jahrhunderts breiteten sich die Ideen der Aufklärung in Europa und Nordamerika schnell aus. Modernere Zeiten nahmen ihren Anfang. Erklärungen, die lange als wahr galten, wurden in Frage gestellt. Die Autorität von Königen und Fürsten wurde zunehmend zurückgedrängt. Die Menschen forderten mehr Freiheiten. In der französischen Revolution im Jahr 1789 gewannen diese Forderungen weltgeschichtliche Bedeutung.« (Toyka-Seid/Schneider o. J.)

Hinter der Aufklärung steckt die Idee universeller Werte wie Freiheit und Gleichheit, aber historisch zeigte sich, dass diese universellen Werte nur für weiße wohlhabende Männer galten. Frauen, Kindern und nicht-weißen Menschen wurde die Vernunft gerade zu Anfangszeit der Aufklärung abgesprochen. Zeitgleich wurde das Projekt der Kolonialisierung vorangetrieben. Die Kolonialisierung des afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Kontinentes durch die Europäer_innen unter den Vorzeichen der Aufklärung, ging einher mit Ausbeutung und Gewalt gegen die dort lebenden Menschen.

Literatur:

Schneider, Gerd/Toyka-Seid, Christiane: Aufklärung, o. J., https://www.hanisauland.de/wissen/lexikon/grosses-lexikon/a/aufklaerung.html. (zuletzt abgerufen am 14.10.2021)

Ausschlüsse (soziale/intersektionale)

Als Ausschluss wird bezeichnet, wenn jemand von einer bestimmten Tätigkeit, Gruppe etc. bewusst oder auch unbewusst ausgeschlossen wird. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Exklusion (das Gegenteil von Inklusion). Mancher Ausschluss wird angekündigt und eingeleitet durch ein spezifisches Vorgehen. Ein Beispiel hierfür wäre ein regelgeleitetes Parteiausschlussverfahren, an dessen Ende ein Ausschluss aus einer Partei stehen kann. Etwas anders verhält es sich mit alltäglichen sozialen Ausschlüssen: Menschen können mitunter rassifiziert werden und ihnen werden dann aufgrund von internalisierten (verinnerlichten) Rassismen bestimmte berufliche Tätigkeiten verwehrt oder aber Studierenden wird aufgrund des Klassenhintergrunds und der nicht vorhandenen habituellen Passung (siehe Habitus) in akademischen Kontexten keine Stelle als studentische Mitarbeiter_in angeboten, obwohl sie die für diese Tätigkeit wichtigen Fähigkeiten umfassend besitzen. Selbst in Zusammenhängen, in denen es um Emanzipation und Empowerment geht, kann es zu intersektionalen (siehe intersektional, Intersektionalität) Ausschlüssen kommen: (Ehrenamtliche) Organisationen und Zusammenschlüsse, die sich für die Belange von LGBTIQA+-Personen einsetzen, könnten aufgrund ihres Angebots, ihres Internetauftritts, ihrer personellen Zusammensetzung, ihrer Ansprache etc. mitunter den spezifischen Bedürfnissen und Erfahrungen von queeren BIPoCs nicht gerecht werden, was wiederum dazu führen kann, dass sich die Gruppe aus ausschließlich weiß-positionierten Menschen zusammensetzt. Auch Menschen, die von der Gesellschaft be_hindert werden, könnten hier häufig ausgeschlossen werden, weil die Räume bspw. nicht barrierefrei sind, die Angebote nicht in leichter Sprache ausgeschrieben werden usw. All das sind soziale, intersektionale Ausschlüsse, die aufgrund spezifischer Strukturen und einer (un-)wissentlichen diskriminierenden, dominanten Mehrheitsgesellschaft wirkmächtig sind und gegen den Willen der Ausgeschlossenen geschehen.

Automatisches Zeichnen

Das automatische Zeichnen ist eine Zeichenpraxis, die aus dem Umfeld der surrealistischen Künstler_innen der 1920er und 1930er Jahre hervorging. Die grundlegende Idee ist, dass man möglichst wenig überlegt beim Zeichnen und so spontane, unbewusste Formen und Impulse zulässt. Auch wenn die Zeichnungen dadurch willkürlich wirken, können sie als Ausdruck des Unterbewusstseins verstanden werden. Populär wurde die Methode auch für das Schreiben durch den französischen Künstler André Breton, der die Methode im Surrealistischen Manifest beschrieb. (vgl. Breton 2012)

Literatur:

Breton, André: Die Manifeste des Surrealismus. 13. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2012 (Rowohlts Enzyklopädie 55434).

B

Be_Hinderung, be_hindert werden

»Die Formulierung macht deutlich, dass Menschen nicht aufgrund ihrer individuellen Körper behindert SIND, sondern durch Barrieren und gesellschaftliche Ausschlüsse behindert WERDEN. Es sind nicht die individuellen Körper oder Fähigkeiten der Personen selbst, die Behinderung ausmachen, sondern Barrieren und fehlende Zugänge. [Anmerk. d. A.: Durch die Schreibweisen/Formulierungen Be_Hinderung (mit Gap) und be_hindert werden, wird versucht, den Herstellungscharakter der Kategorie Be_Hinderung deutlich zu machen]. Barrieren sind zum Beispiel fehlende Rollstuhlrampen oder fehlende Übersetzung in Gebärdensprache. Oder Barrieren führen dazu, dass es für Menschen mit Behinderung sehr schwer ist, eine professionelle Kunstausbildung zu machen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von dem sozialen Modell von Behinderung, das besagt, dass Menschen mit Behinderung von der Gesellschaft behindert und ausgegrenzt werden, wenn alles nur auf Körper und Fähigkeiten ausgerichtet ist, die einer bestimmten gesellschaftlichen Norm entsprechen. Diese Ausrichtung an einer Norm, die viele Menschen mit Behinderung ausschließt, nennt man auch Ableismus. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen hält eindeutig fest, dass Menschen mit Beeinträchtigungen die gleichen Menschenrechte und Grundfreiheiten haben wie Menschen ohne Beeinträchtigungen. Zugänge zu allen gesellschaftlichen Bereichen sind ein Menschenrecht. Wenn die Zugänge nicht vorhanden sind, spricht man von Diskriminierung. Diese Begriffe wurden im Rahmen des Aktivismus‘ der Behindertenbewegung und aus der Perspektive von Menschen mit Behinderung geprägt, deren bekanntester Slogan ist: ›Nothing about us without us‹ / ›Nichts über uns ohne uns‹. […] Eine Initiative, die sich für Zugänglichkeit in Kunst und Kultur in Berlin einsetzt, ist Berlinklusion. Berlinklusion ist ein Netzwerk, das die Perspektive von Künstler*innen, Kurator*innen und Kunstvermittler*innen mit und ohne Behinderungen einschließt.« (Diversity Arts Culture o.J.)

Anmerkung: Das Team schreibt Be_Hinderung mit Gap bzw. dem Unterstrich, um den sozialen hergestellten Charakter hervorzuheben.

Literatur:

Website von Diversity Arts Culture, Wörterbuch, behindert werden, o. J., https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/behindert-werden, (zuletzt abgerufen am 14.10.2021).

bedeutungsverschiebend, Bedeutungsverschiebung

Der Begriff Bedeutungsverschiebung beschreibt die Modifikation von Bedeutungen (z.B. von Bildern, Symbolen oder Wörtern) durch die Verschiebung ihrer Kontexte. Dabei werden z.B. zu Themen, Diskussionen und Wörtern, neue Ideen, Konzepte und Begriffe hinzugefügt, sodass sich die von der Dominanzgesellschaft geprägte Bedeutung oder die Haltung dazu verändert.

In der diskriminierungskritischen Arbeit ist dies eine politische Strategie, um diskriminierende Strukturen z.B. in der Sprache entgegenzuwirken. Die Strategie dahinter ist, dass Sprache sowie die Menschheitsgeschichte sich ständig im Wandel befinden. Mit diesem Ansatz eröffnen sich neue (Denk)-Räume, entstehen kreative Prozesse und politische Bewegungen, mit denen sich zukünftig »Geschichte« neu denken und (be-)schreiben lässt. Bedeutungsverschiebungen zielen darauf ab, die Bedeutung der Symbole, Wörter, Diskurse in der Gesellschaft so zu verändern, dass politische Machtinteressen neu verhandelt werden, um dadurch politische Veränderungen hervorzubringen. Im Fall der diskriminierungskritischen Arbeit ist es der Kampf für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft und soziale Gerechtigkeit.

Begabung 

»Der statische, naturalistische Begabungsbegriff, (…), diente zur Rechtfertigung eines Schulsystems, das Kindern unterer sozialer Schichten Aufstiegschancen vorenthielt. Um dem naturalistischen Denken entgegenzutreten, ist es hilfreich, sich vor Augen zu halten, dass es sich bei ›Begabung‹ um keinen empirischen Begriff handelt: Begabung lässt sich nicht beobachten (und streng genommen auch nicht testen), Begabung ist eine Attribution [Ergänzung, ergänzt d. A.], eine Zuschreibung. Zu beobachten dagegen ist dies: Einer Person fällt es ungewöhnlich leicht, komplizierte Sachverhalte zu lernen, eine zweite Person besitzt eine verblüffende Auffassungsgabe, wieder eine andere ist erstaunlich produktiv, einfallsreich, leistungsstark etc. Erklärt man jemanden für begabt, dann schließt man von einigermaßen offenkundigen Faktoren, die man für aussagekräftig hält, auf die Quelle oder Ursache dieser Faktoren. Wenn jemand relativ frühzeitig und gekonnt ein Instrument beherrscht, nennt man die Person musikalisch begabt. Würde man indes erfahren, dass die gezeigten Leistungen aufgrund eines erzwungenen Dauertrainings erbracht worden sind, dann geriete das Urteil umgehend ins Wanken, obwohl sich an der exzellenten Performanz nichts geändert hat. Das verdeutlicht, dass wir die Begabung der Person nicht unmittelbar erkennen. Wir stützen uns lediglich auf Interpretationen von mehr oder weniger eindeutigen Sachverhalten.« (Hoyer 2012, S. 14)

Literatur:

Hoyer, Timo: »Begabungsbegriff und Leistung. Eine pädagogische Annäherung«. In: Hackl, Armin/Pauly, Claudia/Steenbuck, Olaf/Weigand, Gabriele (Hg.): Werte schulischer Begabtenförderung. Begabung und Leistung. Frankfurt a. M.: Karg-Stiftung, 2012, S. 14–22.

belohnte Ignoranz

Der Begriff wird in Anlehnung an Gayatri Chakravorty Spivak benutzt. Er meint Unwissenheit und Ignoranz, die den Menschen in kolonisierten Ländern entgegengebracht wurde und wird. Diese Unwissenheit bzw. das bewusste Ignorieren der Realitäten in den kolonisierten Ländern durch Forschende, die zum Beispiel nie die beforschten Länder besucht haben, ist als politische Strategie zu verstehen, die vermeintliche »Objektivität« herstellen soll(te), um eine Identifikation und die Herstellung von Mitgefühl gegenüber der indigenen Bevölkerung zu vermeiden. (vgl. Castro Varela und Dhawan 2009, S. 348 f.) Dies wurde notwendig, da die Aufklärung zeitgleich die Idee von der Gleichwertigkeit aller Menschen aufwarf, während die Kolonisierung nicht-europäischer Länder aufgrund der gewaltsamen Unterwerfung der Bevölkerung jedoch diesen Wert missachtete. (vgl. ebenda, S. 349) Belohnte Ignoranz diente also dazu, die Macht der Kolonisierenden aufrechtzuerhalten. Dies schreibt sich bis heute fort. Belohnt wird diese Ignoranz insofern, dass die Wissenschaftler_innen aus den kolonisierenden Ländern als Expert_innen gehandelt und für ihre Wissensproduktion entlohnt werden. Es kann aber zum Beispiel auch bedeuten, dass (weißen) Forschenden keine Nachteile entstehen, wenn sie zum Beispiel die Realitäten rassistisch diskriminierter Menschen ignorieren oder wenn Lehrende die Realitäten der bei ihnen lernenden minorisierten (siehe minorisiert) Personen ignorieren.

Literatur:

Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita: »Breaking the Rules. Bildung und Postkolonialismus«. In: Mörsch, Carmen (Hg.): Kunstvermittlung 2. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Kassel: Diaphanes Verlag, 2009, S. 339–352; online unter https://www.lab-bode-pool.de/de/t/mit-schulen-arbeiten/bildungsprozesse-initiieren/strategie-des-verlernens/ (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Bias

»Der Begriff Bias kommt aus dem Englischen und beschreibt kognitive Verzerrungen, wie z.B. automatische Stereotype und andere fehlerhafte Neigungen bei der Wahrnehmung, Erinnerung und Beurteilung. Biases treten meist unbewusst (= Unconscious Bias) auf.« (Wondrak 2014)

»Diskriminierung kann durch den sog. Unconscious Bias entstehen. Darunter versteht man kognitive Wahrnehmungsverzerrungen, denen wir uns nicht bewusst sind. Diese Verzerrungen entstehen im Zusammenhang mit Stereotypen und hängen unmittelbar zusammen mit gesellschaftlichen Diskriminierungsprozessen. Sie wirken sich auf unser Urteilen, unsere Entscheidungsfindung und schließlich auf unser Handeln aus. Sie können Personalauswahlentscheidungen und Leistungsbewertungen beeinflussen und dazu führen, dass wir Menschen ungewollt unfair bewerten, auch wenn wir denken im Sinne der Fairness zu handeln.« (Universität zu Köln, 2020)

Literatur:

Wondrak, Manfred: Unconscious Bias, Stereotype und Vorurteile, 2014; online unter https://www.anti-bias.eu/wissen/definitionen/unconsciousbias-definition/ (zuletzt abgerufen am 12.10.2021).

Website der Universität zu Köln, Gender Equality & Diversity, #Unboxing Discrimination, Unconscious, Bias, 2020; online unter https://vielfalt.uni-koeln.de/antidiskriminierung/unboxingdiscrimination/diskriminierung (zuletzt abgerufen am 12.10.2021).

Black, Indigenous und People of Color (BIPoC)

»›BIPoC‹ ist eine positiv besetzte, politische Selbstbezeichnung rassistisch diskriminierter Personen. Sie beschreibt einen gemeinsamen Erfahrungshorizont, den Menschen teilen, die nicht weiß [Herv. d. A.] sind. Dieser entsteht z.B. durch nicht zugestandene Privilegien. Mit diesem Ausdruck wird nicht (primär) Hautfarbe beschrieben.« (Aydemir et al. 2020)

Literatur:

Aydemir, Fatma et al.: Eure Heimat ist unser Albtraum. 8. Aufl., Berlin: Ullstein Buchverlage, 2020; online unter https://www.das-nettz.de/glossar/poc-bpoc-bipoc, (zuletzt abgerufen am 14.08.2021).

B = Black (in dt. Schwarz)

»›Schwarz‹ und ›Schwarzsein‹ bezeichnen eine politische und soziale Konstruktion, keine biologische Eigenschaft. Dieser Begriff beschreibt also nicht die Hautfarbe von Menschen, sondern eine Konstruktion, die Schwarzen Menschen eine bestimmte soziale Position zuweist. In einer durch Rassismus geprägten Gesellschaft ist dies eine benachteiligte und durch Diskriminierung geprägte Position. Schwarz – auch als Adjektiv groß geschrieben – hat in Deutschland eine Widerstandsgeschichte, die in die 1980er Jahre zurückreicht und eng mit der afrodeutschen und Schwarzen Bewegung verknüpft ist. Durch die widerständige Aneignung einer Fremdbezeichnung und in Anlehnung an die Black Power-Bewegung im englischsprachigen Raum wurde er als emanzipatorische Selbstbezeichnung und als Alternative zu eindeutig rassistischen Begrifflichkeiten eingeführt. Der Begriff ›Schwarze Deutsche‹ setzt der angeblichen Unvereinbarkeit von Schwarzsein und Deutschsein etwas entgegen. Er verweist auf die Geschichte Schwarzer Präsenz in Deutschland, die bis lange vor die Kolonialzeit zurückreicht.« (Wer andern einen Brunnen gräbt 2012)

Literatur:

Website von Wer andern einen Brunnen gräbt, Schwarz/Schwarzsein, 2012, https://weranderneinenbrunnengraebt.wordpress.com/2012/09/15/schwarzschwarzsein/ (zuletzt abgerufen am 21.07.2021).

I = indigenous (in dt. indigen)

Indigene »sind laut Definition der Vereinten Nationen die Nachfahren der Menschen, die ein Gebiet bereits bewohnten, bevor sie von Gruppen aus anderen Teilen der Welt unterworfen, untergeordnet oder kolonialisiert wurden oder ihr Gebiet Teil eines Staates wurde. Bis heute sind sie nicht maßgeblich an den nationalen Regierungen der Länder beteiligt, in denen sie leben. Weltweit gibt es schätzungsweise etwa 370 Millionen Indigene in mehr als 70 Staaten. Indigene ist als übergeordnete Selbstbezeichnung akzeptiert. Ebenso kann in einem Bericht die bestimmte Gruppe beim Namen genannt werden, z.B. Aborigines, Cherokee, Maya, Tuareg, Massai usw. Unangebracht sind Begriffe wie ›Ureinwohner‹, ›Eingeborene‹, ›Naturvolk‹, ›Indianer‹ etc.“« (Neue deutsche Medienmacher*innen o.J.)

Literatur:

Website von Neue deutsche Medienmacher*innen, NdM-Glossar: Indigene, o.J., https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/indigene/ (zuletzt abgerufen am 10.07.2021).

PoC = Singular: Person of Color/ Plural: People of Color

»Das ist die Selbstbezeichnung und ein solidarisches Bündnis von unterschiedlichen Communities, die Rassismus, Stigmatisierung und Ausgrenzung erfahren. PoC wird auch in Wechselwirkung mit dem Begriff weiß verwendet. In Deutschland zählen daher Menschen aus der afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Diaspora dazu. […]« (Westphalen 2020)

»People of Color dient als analytischer und politischer Begriff, der sich an all diejenigen Menschen und Communities wendet, die in kolonialer Tradition als ›Andere‹ rassifiziert und unterdrückt wurden bzw. werden. Er wird aktiv als Selbstbezeichnung – oft verbunden mit einem politischen Verständnis – verwendet. Der Begriff zielt darauf ab, die dem Rassismus innewohnende Strategie des Teilens und Herrschens zu unterlaufen. Denn mit Hilfe dieser Strategie spielt die weiße Dominanzgesellschaft rassifizierte Gruppen gegeneinander aus, indem sie sie hierarchisiert und ihnen unterschiedliche Privilegien gewährt. Dies schwächt ihre wechselseitige Solidarität und erhält Rassismus weiterhin aufrecht. Dagegen versuchen rassistisch diskreditierbare [abgewertete] Menschen mit dem Begriff People of Color, sich einerseits die ihnen verweigerte gesellschaftliche Definitionsmacht wieder anzueignen, andererseits die Vielfältigkeit der Rassismuserfahrungen von People of Color zu verdeutlichen und dadurch schließlich solidarische Bündnisse über die Grenzen marginalisierter Communitys hinweg zu ermöglichen.« (IDA e.V. o.J.)

Anmerkung: Da der Begriff im angloamerikanischen Raum entstand, bezieht er sich hauptsächlich auf die dortigen Verhältnisse. Im Deutschen gibt es noch keine Entsprechung. Auch wenn der Begriff in einem breiteren Verständis von weißsein und of Color sein verwendet wird, dass sich nicht auf die Hautfarbe beziehen soll, gibt es manchmal von Menschen, die nicht von antischwarzem, antiindigenem und antiasiatischem Rassismus betroffen sind, Bedenken oder Ablehnung sich als PoC zu bezeichnen. Zum Beispiel werden viele Menschen, die in Deutschland oder Österreich von antislawischem oder/ und antimuslimischem Rassismus betroffen sind, in bestimmten Kontexten als weiß gelesen, beziehungsweise haben sie Zugang zu weißen Privilegien. (vgl. Erkurt 2021) Sie machen daher andere Rassismuserfahrungen und haben oft/ manchmal/ trotzdem oder gerade deswegen Schwierigkeiten sich als PoC zu verstehen oder als solche anerkannt zu werden.

Literatur:

von Westphalen, Nora: »Diese Begriffe solltest du in der Rassismus-Debatte kennen – und richtig einsetzen«. In: elle, 30.9.2020; online unter https://www.elle.de/begriffe-rassismus-debatte (zuletzt abgerufen am 17.05.2021).

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, People of Color , o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=P&cHash=01eae52f49497c7c5385f8079ae6f1b4 (zuletzt abgerufen am 30.06.2021).

Erkurt, Melisa: »Ich bin keine Person of Color«. In: taz, 12.4.2021; online unter https://taz.de/Als-Muslima-in-Oesterreich/!5760727/ (zuletzt abgerufen am 30.06.2021).

Blackfacing

»Von ›Blackface‹ wird gesprochen, wenn eine Person eine Schwarze Person [..] auf eine Art und Weise darstellt, bei der koloniale bzw. rassistische Stereotype über diese Person (wieder) hergestellt werden. Der Begriff ›Blackface‹ kommt aus den USA, wo im 19. Jahrhundert zu Zeiten der Versklavung Schwarzer Menschen [weiße] Performer_innen sich mit schwarzer Farbe angemalt haben und als vermeintlich Schwarze Personen für ein [weißes] Publikum aufgetreten sind. Die Geschichte des Blackfaces in Europa reicht bis ins 16./17. Jahrhundert und somit zu den Anfängen des europäischen Kolonialismus (siehe Kolonialität, Kolonialismus) zurück, wo beispielsweise in Shakespeare-Aufführungen weiße Personen Schwarze dargestellt haben. […]« (LesMigras 2009)

Manchmal wird der Begriff auch für die Darstellung anderer rassistischer Stereotype benutzt. Wir weisen deshalb darauf hin, dass es andere Begriffe für die Darstellung süd-/ ostasiatischer Stereotype z.B. die Bezeichnung Yellowface, Redface für Stereotype bzgl. Native Americans (siehe Native Americans), etc. gibt (Padgett 2020).

Literatur:

Website von LesMigras, »Blackface« in LSBTIQ Communities, 2009, https://lesmigras.de/blackface-in-lsbtiq-communities.html (zuletzt abgerufen am 13.05.2021

Padgett, Kenneth: Yellowface! – The History of Racist Asian Stereotypes, 15.9. 2020; online unter https://www.yellow-face.com/ (zuletzt abgerufen 10.06.2021).

bürgerlich, Bürgertum

Der Begriff wird heute meist im Sinne von mittelständisch (in Abgrenzung von der armen Unterschicht und der wohlhabenden Oberschicht) oder im Sinne von bildungsbürgerlich verwendet. Im Laufe der Zeit hat der Begriff immer wieder einen Bedeutungswandel erfahren. Seit der mittelalterlichen Ständegesellschaft waren damit Menschen gemeint, die über Grundbesitz in der Stadt verfügten, aber nicht adelig oder Bauern waren. In der Regel verfügten über volle politische Beteiligungs- und Nutzungsrechte nur (christliche) Männer, die genügend Geld besaßen (vgl. Schulz 2019).

»Die soziale Trägerschicht des oft seit Generationen ansässigen Stadt-[Bürgertums] bildeten vor allem selbständige Kaufleute und Handwerksmeister, in geringerem Umfang auch Rechtsgelehrte, Mediziner, Professoren, Gymnasiallehrer und Pfarrer mit ihren Familienangehörigen. […] Tatsächlich grenzte das Stadt-[Bürger]-Recht nämlich in der Regel Staatsbeamte, freie Unternehmer und Gewerbetreibende, vor allem aber religiöse Minderheiten und Migranten aus.« (Schulz 2019)

Das Arbeits- und Leistungsideal impliziert, dass sich gesellschaftliche Anerkennung an Vermögen, Einkommen und Karriere bemisst und darauf gepocht wird, sich dies selbst fleißig, sparsam und diszipliniert erarbeitet zu haben. Betteln und Faulheit gelten als unehrenhaft, Armut gilt in der Regel als selbstverschuldet (vgl. Schulz 2019). Diese Ansichten haben sich bis in den zeitgenössischen Sozialstaat überliefert (Stichwort Klassismus) und lassen sich in den oft abwertenden gesellschaftlichen Diskursen über z.B. Hartz-4-Empfänger_innen wiederfinden. Die Bildung bekommt im Bürgertum eine besondere Bedeutung, um sich von anderen Schichten zu unterscheiden (vgl. Schulz 2019). Besonders Sprache und Künste bekommen eine starke Wertigkeit zugeschrieben. Es werden nicht nur Lesezirkel, sondern auch Vereine und das Vereinswesen als Orte der Interessengemeinschaften der bürgerlichen Kultur und Sozialpraktiken gegründet (vgl. Schulz 2019). Erst mit der Zeit erlangten in vielen Vereinen Frauen und Jüd_innen Zutritt.

Die Vorstellungen von „natürlichen“ Unterschieden der Geschlechter tragen zu einem spezifisches Geschlechterrollenverständnis bei und ordnen der Frau den privaten Raum und die Erziehung zu: die Kleinfamilie dient der Weitergabe der Wertevorstellungen und Verhaltensweisen des Bürgertums (z.B. Wertschätzung von Kunst und Wissenschaft, eine strenge Sexualmoral) (vgl. Schulz 2019). Die Künste dienen der »Ausprägung eines dem Adel vergleichbaren Habitus« (Mörsch 2019, S. 42), der »Verknüpfung eines guten moralischen Sinns mit ästhetischem Geschmack« (ebenda, S. 43) und sind ein Werkzeug zur bürgerlichen Selbstoptimierung, wie Carmen Mörsch schreibt: Diese sollen aus einem bürgerlichen Verständnis von Gemeinnützigkeit auch an andere gesellschaftliche Gruppen, vorrangig als unterlegen betrachtete, weitervermittelt werden. Insbesondere die Kunstvermittlung dient der bürgerlichen (weißen) Frau dazu, sich einen gesellschaftlichen Freiraum zu erkämpfen, erfordert aber die als »unmündig« und »entwicklungsbedürftig« skizzierte Adressat_innengruppe der unteren Schichten.

Die Vorstellung vom »liberalen« Bürgertum, das sich durch die Entwicklung und Anerkennung von universellen Menschenrechten auszeichnet(e), muss kritisch hinterfragt werden, dabei wird z.B. ausgeblendet, dass Imperialismus und Kolonialismus auch wirtschaftspolitischen Interessen des Bürgertums entgegen kamen (Stichwort: Kolonialwarenhandel) und insbesondere in der Philosophie der Aufklärung (auch durch Kant und Hegel) »›Rassen‹theorien« (vgl. Dietrich/Strohschein 2019, S. 117) erfunden und biologisiert wurden und »der Mythos der angeblichen religiösen, kulturellen und biologischen Überlegenheit weißer Europäer_innen […] die […] Kolonialherrschaft legitimierte.« (Dietrich/Strohschein 2019, S. 117)

Literatur:

Dietrich, Anette/ Strohschein, Juliane: »Kolonialismus«. In: Arndt, Susan/Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Kolonialismus aus Wörtern spricht. (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast, 2019, 3. Auflage, Seiten 114–12.1

Schulz, Andreas (2019): Bürger, Bürgertum, Version 22.10.2019, 17:30 Uhr, in: Staatslexikon online, Bürger, Bürgertum; online unter: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/B%C3%BCrger,_B%C3%BCrgertum (zuletzt abgerufen am 04.01.2022)

Mörsch, Carmen: Die Bildung der A_N_D_E_R_E_N durch Kunst. Eine postkoloniale und feministische historische Kartierung der Kunstvermittlung. Wien: Zaglossus, 2019.

C

cis-weiblich, Cis-Frauen; cis-männlich, Cis-Männer

»Frauen bzw. Männer, deren bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht mit der gelebten Geschlechtsidentität übereinstimmt [werden als Cis-Frauen/cis-weiblich und Cis-Männer/cis-männlich bezeichnet]. Somit wurde einer Cis-Frau bei der Geburt ein weibliches Geschlecht zugeordnet und sie identifiziert sich selbst als Frau. Einem Cis-Mann wurde bei der Geburt ein männliches Geschlecht zugeordnet und er identifiziert sich auch als Mann. […] [Dabei ist] Cis […] eine lateinische Vorsilbe […] und bedeutet ›diesseits‹. Damit wird bezeichnet, dass eine Person in Ü̈bereinstimmung mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht lebt. Cis-geschlechtlich zu sein, entspricht der Norm. Das heißt, in unserer heteronormativen Gesellschaft wird davon ausgegangen, dass alle Menschen cis-geschlechtlich sind.« (iPÄD o.J.)

Literatur:

Website von Initiative intersektionale Pädagogik (iPÄD), Glossar, Cis-Frauen und Cis-Männer, o.J., http://www.i-paed-berlin.de/de/Glossar/#cisfrauenundcismnn-er (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

Code of Conduct

»Unter einem Code of Conduct wird eine Sammlung von Richtlinien und/oder Regelungen, welche sich Unternehmen im Rahmen einer freiwilligen Selbstbindung selbst auferlegen 

[verstanden]. Die formulierten Verhaltensanweisungen dienen als (grundlegende) Handlungsorientierung für Mitarbeiter, um erwünschtes Verhalten zu kanalisieren bzw. unerwünschte Handlungen zu vermeiden«. (Lin-Hi 2021) Wie detailliert diese Leitlinien formuliert werden, ist gänzlich unterschiedlich: Sie reichen ganz allgemein von der Aufforderung respektvoll mit einander zu sprechen bis hin zur präzisen Beschreibung, dass stets die selbstgewählten Bezeichnungen diskriminierter Gruppen genutzt werden sollen. Nicht nur in Unternehmen, sondern auch staatlichen Institutionen, pädagogischen (diskriminierungskritischen) Lehr-Lernsituationen finden solcherart Regelungen vermehrt Eingang. Gerade unter einer pädagogischen Perspektive gilt es zu überlegen, ob Leitlinien durch Vorgesetzte/Verantwortliche vorgegeben werden oder ob diese gemeinsam mit Lerngruppen erarbeitet werden sollten. Ein Vorteil der gemeinsamen Erarbeitung für jeweils spezifische Kontexte scheint es zu sein, dass die Regelungen einerseits auf die konkrete Arbeitssituation abgestimmt werden können, andererseits führt eine eigene Erarbeitung aufgrund gestiegener Identifikation mitunter auch dazu, dass die Regelungen stärker akzeptiert und umgesetzt werden. 

Literatur:

Lin-Hi, Nick: »Code of Conduct«, 2021. In: Gabler Wirtschaftslexikon, 2021; online unter  https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/code-conduct-51600 (zuletzt abgerufen am 15.10.2021).

Codes und Register

Register sind Sprech- und Schreibweisen, die für ein situationsspezifisches Umfeld gebraucht werden. Die (bewusste oder unbewusste) Wahl des sprachlichen Registers hängt von Situationen oder Gesprächspartner_innen ab. Als Angestellte_r bedient man sich gegenüber seines_r Vorgesetzten eines anderen Sprachregisters als unter Freund_innen. Beispiele sind Jugend-, Alltags-, oder Bildungssprache. (vgl. Leibniz Universität Hannover)

Mit Codes werden entweder einfachere oder komplexere Arten des Satzbaus und der Wortwahl beschrieben. Auch diese sind wiederum abhängig von der sozialen Herkunft, der Person, die spricht. So werden einfachere Artes des Satzbaus und Wortwahl (z.B. Wie geil!) eher im Alltag und in der Jugendsprache gebraucht, während lange Erläuterungen und Begründungen (z.B. Ich finde das Bild aufgrund der Strichführung des Malers sehr expressiv.) im Hochdeutschen eher in bildungsbürgerlichen Kontexten gebraucht werden.

Das Wechseln zwischen den Codes und Registern muss erlernt werden. Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist und/oder in deren Umfeld Bildungssprache/Hochdeutsch nicht zum Alltag gehört, fällt dieser Wechsel oft nicht leicht. In manchen Kontexten (z.B. Schule, Ämter, Beruf) werden sie dafür abgewertet (schlechtere Noten im Fach Deutsch, als »inkompetent« bewertet werden, nicht ernst genommen werden etc.). Aber auch andersherum kann es Menschen, die mit anerkannter Sprechweise aufgewachsen sind, schwer fallen, in für sie ungewohnte Codes und Register zu wechseln. Im Vergleich erfahren sie dadurch jedoch nur äußerst selten Nachteile, da ihre Art zu Sprechen und sich auszudrücken von der Gesellschaft in der Regel gewünscht ist. (vgl. Gogolin/Lange 2011)

Literatur:

Website der Leibniz Universität Hannover, Sprachbildung, o.J. https://www.sprachbildung.uni-hannover.de/fileadmin/sprachbildung/Praesentation_4_170215.pdf (zuletzt abgerufen am 21.08.2021, nicht mehr abrufbar).

Gogolin Ingrid/Lange, Imke: »Bildungssprache und Durchgängige Sprachbildung«. In: Fürstenau, Sara/Gomolla, Mechtild (Hg): Migration und schulischer Wandel: Mehrsprachigkeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2011, S. 107–127.

Critical Race Theory/Studies

»Critical Race Theory (CRT) ist ein Theorieansatz, der sich seit den 1970er Jahren in der US-amerikanischen Rechtswissenschaft geformt hat. Er setzt sich interdisziplinär mit der Verwobenheit von [Rassisiertheit], Rassismus und Recht auseinander. Er sieht einerseits das Rechtssystem als Mittel zur Herrschaft, setzt dessen Möglichkeiten und Mittel dann aber andererseits auch gegen Ungleichheiten und Rassismus ein. In letzten Jahren wird die CRT auch vermehrt in Europa populärer.« (Barskanmaz 2020)

Zentral geht die CRT davon aus, dass Rassismus als soziales Phänomen alltäglich ist und das Handeln und Denken von Menschen bestimmt. Es ist ein maßgeblicher Faktor dafür, wer welche Chancen und (z.B. finanziellen) Möglichkeiten in der Gesellschaft hat und wer nicht. Um diesem sozialen Phänomen zu begegnen, setzt die CRT auf race consciousness, d.h. die Anerkennung des Faktors Race in der Gesellschaft und dessen unterschiedliche Erscheinungen. Dabei ist zu beachten, dass unterschiedliche Rassismen existieren, da verschiedene gesellschaftliche Gruppen (z.B. in Deutschland Türk_innen, Vietnames_innen oder Jüd_innen) unterschiedliche Rassismuserfahrungen machen (vgl. ebenda)

Literatur:

Barskanmaz, Cengiz: Critical Race Theory in Deutschland, 2020; online unter https://verfassungsblog.de/critical-race-theory-in-deutschland/ (zuletzt abgerufen am 06.08.2021).

cuir

cuir – gesprochen wie der englische und ins Deutsche übernommene Begriff queer – ist ein theoretisches Konzept, bei dem Forscher_innen des Amerikas des globalen Südens (Mittel- und Südamerika) die Queer-Studies einer postkolonialen Lesung unterziehen. Gemeinsam sei Queer-Studies und Postkolonialismus, wie Michaela Koch vom Zentrum für Gender & Diversity schreibt, dass sie ein subversives Potential hätten, wodurch unser Denken stets herausgefordert werde. Die Tatsache, dass aber gerade queeren Konzepten starke und auch restriktive Verbindungen zur europäischen Wissenschaft als auch zu Ländern mit fortgeschrittenem Kapitalismus eingeschrieben sind, fordert Forscher_innen des Amerikas des globalen Südens heraus: Mit der sogenannten »Cuir theory« stellen sie diese Hegemonie in Frage und verfolgen eine Dekolonisierung der Queer theory. (vgl. Koch 2020) 

Literatur:

Koch, Michaela: Cuir – Decolonizing Queer Theory, 2020; online unter https://zgd-hamburg.de/2020/12/03/cuir-decolonizing-queer-theory/ (zuletzt abgerufen am 16.05.2021).

D

degrowth

»Der Begriff ›Degrowth‹, oft mit ›Postwachstum‹ übersetzt, versammelt verschiedene Ansätze von Wachstumskritik und knüpft an die Studie Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome von 1972 an. Degrowth-Anhänger*innen fordern, dass die ökonomische Logik und Sprache der öffentlichen Debatte dekolonialisiert wird. Die Abschaffung des Wirtschaftswachstums definieren sie als gesellschaftliches Ziel. Indem das Konzept auf den Widerspruch zwischen Nachhaltigkeit und weiterem Wirtschaftswachstum verweist, wendet es sich auch gegen eine Entpolitisierung der Debatte um nachhaltige Entwicklung. Degrowth zeigt außerdem eine alternative Richtung auf, wie zukünftige Gesellschaften weniger Ressourcen verbrauchen, alternative Wirtschaftspraktiken erproben und sich anders organisieren und leben können als wir heute.« (Brebit o. J.)

Literatur:

Website von Brebit. Brandenburgische Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationstage, Glossar, degrowth, o.J., https://www.brebit.org/Glossar.html (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Dekolonial, Dekolonialität

»Der Begriff verweist auf eine Haltung oder eine Vorstellung von der Welt, die Geschichte und Gegenwart nicht allein von Europa aus bewertet, sondern stattdessen auch jene Menschen, die seit der europäischen kolonialen Expansion im 15. Jahrhundert auf verschiedene Weise unterdrückt worden sind/werden, als historische Akteur*innen und gesellschaftliche Subjekte begreift. Dekolonial bezieht sich dabei nicht nur auf die praktische politische Entkolonisierung von Nationalstaaten, sondern vor allem auch auf ein Dekonstruieren und Verlernen von kolonialrassistischen Denkmustern und Gesellschaftsstrukturen, die seit 600 Jahren wirken.« (Brebit o.J.)

Literatur:

Website von Brebit. Brandenburgische Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationstage, Glossar, dekolonial, o.J., https://www.brebit.org/Glossar.html (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

determinieren

Der Begriff kommt aus dem Lateinischen determinare und bedeutet festlegen, Grenzen setzen, begrenzen und wird in der Regel bildungssprachlich gebraucht. Wenn also etwas determiniert ist, wird die Entwicklung einer Sache dadurch eingeschränkt, dass bestimmte Vorannahmen, Regeln oder Hindernisse im Vorfeld festgelegt wurden.

Ein Beispiel hierfür lässt sich an der philosophisch diskutierten Grundannahme des Determinismus erläutern: Wenn davon ausgegangen wird, dass es einen biologischen Determinismus gibt, d.h. dass z.B. Geschlecht biologisch festgelegt wird, wird die Einschränkung gemacht, dass Geschlecht nicht vielfältig ist und sozial hergestellt wird (siehe Herstellung, soziale), sondern sich nur in einem binären Spektrum zwischen »Mann« und »Frau« bewegt, die Norm so ist, wie sie ist. Die soziale Realität von Menschen, die sich nicht innerhalb dieser (Geschlechter)-Norm bewegen, wird aberkannt, sodass strukturelle Diskriminierung stattfindet und die Grundrechte der Menschen missachtet werden.

Dis_ability Studies

»Die Disability Studies sind ein neuer Wissenschaftsansatz, der Behinderung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Anders als die traditionellen, medizinisch und stark am Individuum orientierten ›Behinderungswissenschaften‹ (wie beispielsweise Sonderpädagogik) nehmen die Disability Studies die Perspektive eines sozialen oder kulturellen Modells von Behinderung ein: Behinderung ist das, was Gesellschaft, Kultur und Sprache daraus machen und weniger der beeinträchtigte Körper an sich. Entstanden sind die Disability Studies in den 80er Jahren in Großbritannien und den USA. Ein Großteil der Forschung findet immer noch auf Englisch statt, aber auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz wächst das Interesse an den Disability Studies.

In Köln und Bochum gibt es schon Lehrstühle für Disability Studies, in Hamburg ein eigenes Institut. An der Humboldt-Uni zu Berlin gibt es ebenfalls einen Fachbereich dazu. Disability Studies sind interdisziplinär: Unter ihrem Dach beschäftigen sich zum Beispiel Forschende aus den Kultur-, Literatur- und Geschichtswissenschaften, Architektinnen und Architekten mit dem Thema Behinderung. Die Analyse von Medien nimmt in den Disability Studies einen breiten Raum ein. Schließlich haben Journalistinnen und Journalisten durch ihren Blick auf Behinderung einen großen Einfluss auf das Bild behinderter Menschen in der Öffentlichkeit.« (Leidmedien o.J.)

Literatur:

Website von Leidmedien, Disability Studies – Neues Denken zu Behinderung, o.J., https://leidmedien.de/geschichte/disability-studies-neues-denken-zu-behinderung, (zuletzt abgerufen am 08.07.2021).

Diskriminierung

»Diskriminierung ist die ungleiche, benachteiligende und ausgrenzende Behandlung von konstruierten Gruppen und diesen zugeordneten Individuen ohne sachlich gerechtfertigten Grund. Diskriminierung kann sich zeigen als Kontaktvermeidung, Benachteiligung beim Zugang zu Gütern und Positionen, als Boykottierung oder als persönliche Herabsetzung. Der Begriff bezeichnet sowohl den Vorgang als auch das Ergebnis, also die Ausgrenzung und strukturelle Benachteiligung [siehe weiter unten »strukturelle Diskriminierung«] der diskriminierten Personen und Gruppen. Die Durchsetzung von Diskriminierung setzt in der Regel soziale, wirtschaftliche, politische oder diskursive [sich in gesellschaftlichen Diskussionen und Gesprächen entwickelnde] Macht voraus. Diskriminierung ist nicht auf individuelles Handeln beschränkt, sondern auch in gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Strukturen verankert. Um dies deutlich zu machen, wird zwischen Diskriminierung auf subjektiver, interaktionaler, institutioneller, gesellschaftlich-kultureller und struktureller Ebene unterschiede[n]«. (IDA e.V. o.J.)

Literatur:

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Diskriminierung, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=D&cHash=4ee76652f2f01767495570bb3181a668 (zuletzt abgerufen am 26.3.2021).

institutionelle Diskriminierung

»[…] dauerhafte Benachteiligungen sozialer Gruppen, die auf überindividuelle Sachverhalte wie Normen, Regeln und Routinen sowie auf kollektiv verfügbare Begründungen zurückgeführt werden […]:« (Hasse/Schmidt 2012)

a) Personengruppen werden rechtlich unterschiedlich behandelt und zwar legal durch die Gesetzgebung (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S. 19) zum Beispiel kann in Deutschland erst seit 2018 »divers« als Geschlechtsangabe ins Geburtenregister eingetragen werden, früher mussten laut Personenstandsgesetz z.B. Inter* (siehe Inter*) fälschlicherweise auf ein Geschlecht (männlich/weiblich) festgelegt werden. (vgl. Sacksofsky 2020)

b) durch alltägliche Handlungen in Organisationen, die Personen unterscheiden und benachteiligen zum Beispiel bei der Anstellung in Jobs (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S. 19) oder bei der Vergabe von Mietwohnungen oder wenn Lehrer_innen Kindern aus migrantisierten Familien keine Empfehlung für das Gymnasium geben

Institutionelle Diskriminierung wird oft unbeabsichtigt von den dort arbeitenden Menschen, z.B. Lehrer_innen in Schulen, vorgenommen oder aber auch durch routinierte Abläufe des Tagesgeschäftes hergestellt. (vgl. ebenda) Die Begriffe »strukturell« und »institutionell« werden oft nicht trennscharf benutzt. In manchen Beiträgen wird von struktureller Diskriminierung gesprochen, wenn eigentlich institutionelle Diskriminierung gemeint ist.

Literatur:

Hasse, Raimund/Schmidt, Lucia: »Institutionelle Diskriminierung«. In: Bauer, Ulrich/Bittlingmayer, Uwe H./Scherr, Albert (Hg.): Handbuch Bildungs- und Erziehungssoziologie. Bildung und Gesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2012, S. 883–899; online unter https://doi.org/10.1007/978-3-531-18944-4_52  (zuletzt abgerufen am 26.3.2021).

Gomolla, Mechtild/Radtke, Frank-Olaf: Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. 3. Aufl., Wiesbaden: Springer, 2009, 3. Auflage.

Sacksofsky, Ute: »Geschlechterverhältnisse im Recht«. In: INFORMATIONEN ZUR POLITISCHEN BILDUNG 342, 2020. Geschlechterdemokratie; online unter https://www.bpb.de/izpb/307456/geschlechterverhaeltnisse-im-recht

individuelle Diskriminierung

Hier geht es um »persönliche[n] Haltungen, Einstellungen oder Handlungen« in einem Spektrum zwischen offenen Beleidigungen (IDA e.v. o.J:) und Belästigungen, abfälligen Bemerkungen bis hin zu eher unterschwelliger Alltagsdiskriminierung (siehe Alltagsdiskriminierung), die Personen aufgrund ihrer Abweichung von gesellschaftlich anerkannten Normvorstellungen abwerten oder ausgrenzen (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019). Hierbei spielen als Mechanismen u.a. Othering (siehe Othering) und Stereotypisierung (siehe Stereotypisierung) eine Rolle. (IDA e.V. o.J.)

Literatur:

Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Diskriminierung an Schulen erkennen und vermeiden. Praxisleitfaden zum Abbau von Diskriminierung in der Schule. 4. Aufl., 2019, S. 8; online unter https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Leitfaeden/leitfaden_diskriminierung_an_schulen_erkennen_u_vermeiden.html?nn=304718 (zuletzt abgerufen am 26.11.2021).

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Individueller Rassismus, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=I&cHash=0cc99326d25523d11b9fae848876fb1d (zuletzt abgerufen am 16.06.2021).

gesellschaftlich-kulturelle (oder auch symbolische) Diskriminierung

beobachtet die Ebene, auf der Normen und Ideologien Richtwerte sind: Es geht hier um gemeinsame Werte, kulturelle Ordnungen und Überzeugungen, die Gesellschaften teilen. (Winker/Degele 2010, S. 20) Dazu gehören Ansichten darüber, was als »normal« oder »wertvoll« gilt, wessen Probleme ausgeblendet oder unsichtbar gemacht werden z.B. in politischen Debatten oder den Medien, oder wer als Zielgruppe von Texten z.B. Zeitungen oder Schulbüchern unausgesprochen mitgedacht wird oder wer auf Abbildungen wie dargestellt wird. (IDA e.V. o.J.) Wichtig ist hier, dass auch in und durch kulturelle Erzeugnissen gesellschaftliche Hierarchien bzw. Macht- und Dominanzverhältnisse (siehe Machtverhältnisse, siehe dominant) hergestellt, bestätigt und verfestigt werden.

Literatur:

Degele, Nina/Winker, Gabriele: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. 2. Aufl., Bielefeld: transcript, 2010.

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Gesellschaftlich-kultureller Rassismus, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=G&cHash=0d1dd6c18c7d2aeb44b0a00087806597 (zuletzt abgerufen am 25.5.2021).

strukturelle Diskriminierung

damit ist die Gesamtheit von Diskriminierung in der Gesellschaft auf einer übergeordneten Ebene gemeint, die unsere Gesellschaft sozial strukturiert, und »[…] die verschiedene Teilaspekte aufweisen kann wie Ausgrenzung, Gewalt, Unterdrückung, Marginalisierung [siehe Marginalisierung] etc. und die einhergeht mit Stereotypisierung [siehe Stereotypisierung], Vorurteilsbildung etc.« (Czollek et al. 2012, S.11) Strukturelle Diskriminierung entsteht durch die Wechselwirkung der verschiedenen Ebenen von Diskriminierung miteinander: Die Dynamik des Zusammenwirkens der verschiedenen Diskriminierungsebenen normalisiert und legitimiert die Privilegien und Vorteile der dominanten (siehe dominant) Gruppen in der Gesellschaft. (vgl. aspeninstitute 2016) Der Begriff meint, dass es also nichts ist, was bewusst gewählt wird, sondern was in allen Systemen (Politik, Wirtschaft, Soziales Zusammenleben etc.) bereits historisch angelegt ist und ihre Funktionsweise bestimmt. (vgl. ebenda) Wir empfehlen grundsätzlich das Ineinanderwirken verschiedener Kategorien im Sinne von Intersektionalität (siehe Intersektionalität) mitzudenken.

Literatur:

Czollek, Leah Carola/Perko, Gudrun/Weinbach, Heike: Praxishandbuch Social Justice und Diversity. Weinheim, Basel: Beltz Juventa, 2012.

Website von aspeninstitute, Justice and Civic Identity, Racial Equity, 11 Terms You Should Know to Better Understand Structural Racism, 2016, https://www.aspeninstitute.org/blog-posts/structural-racism-definition/ (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Diskriminierungskritik, diskriminierungskritisch

»Der Begriff Diskriminierungskritik wird [manchmal] analog zum Begriff Rassismuskritik verwendet. Er berücksichtigt, dass alle Menschen durch eine Vielzahl von Diskriminierungsformen sozial positioniert werden. Er geht von der Annahme aus, dass eine Gesellschaft ohne Diskriminierung nicht besteht und wir alle mit der Selbstverständlichkeit von Diskriminierung aufgewachsen und vertraut sind. Dies bedeutet auch, dass Diskriminierung nicht nur beabsichtigte und bewusste Benachteiligungen umfasst, sondern auch strukturelle, unbewusste und unbeabsichtigte Formen von Diskriminierung.« (IDA e.V. o.J.)

Anmerkung: Es wird empfohlen, die Begriffe Diskriminierungskritik und Rassismuskritik nicht analog zu verwenden, da sich Rassismuskritik im eigentlichen Wortsinn auf die Rassialisierung/Rassifizierung von Menschen und die Kritik daran bezieht. (Intersektionale) Diskriminierungskritik hingegen richtet im engeren Sinne den Blick auf verschiedene Differenzkategorien, aufgrund derer Menschen Diskriminierung erfahren, und untersucht die Interdependenzen zwischen diesen.

Literatur:

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Diskriminierungskritik, o.J., https://www.idaev.de/recherche-tools/glossar?fbclid=IwAR3EYkPARbUAODPycdD_H4INAskivjQg_tRXnpf6bsHabSYMTXflUrAlwDo&tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=D&cHash=4ee76652f2f01767495570bb3181a668 (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

dissonant

Der Begriff dissonant bedeutet soviel wie unstimmig, unschön. Dissonant werden auch Dinge oder psychologische Vorgänge bezeichnet, die einem gefühlt widersprüchlich und unvereinbar erscheinen. (Duden 2020)

Literatur:

Website des Dudenverlags, dissonant, 2020, https://www.duden.de/suchen/dudenonline/dissonant?utm_source=apple (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

»dissonante Körper«

Mit dem Ausdruck »dissonante Körper« sind im Sinne der Autorin keine unschönen oder unstimmigen Körper gemeint, sondern es wird eine Irritation beschrieben, die durch die Verkörperung marginalisierter, also von Diskriminierung betroffener Personen auftritt. Dissonante Körper irritieren die westlichen (siehe westlich, Westen) weißen, cis-männlichen heteronormativen »Sehgewohnheiten«, da sie sich in einem für sie unterrepräsentierten sozialen Milieu bewegen. Aus diskriminierungskritischer Perspektive spielt die Wahrnehmung des Körpers eine entscheidende Rolle. So werden Menschen nicht nur aufgrund ihres Charakters oder ihres Verhaltens in Kategorien gesteckt, sondern vor allem aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes.

»Dissonante Körper« werden in Positionen oder Berufen wahrgenommen, die hohe soziale Anerkennung genießen, z.B. Frauen in Führungspositionen, Menschen mit Kopftuch in Lehrberufen, Schwarze Menschen als Hauptfiguren in Büchern und Filmen etc.. Sie weichen vom konventionellen Erscheinungsbild einer weiß, cis-männlich heteronormativen Gesellschaft ab. Aufgrund dieser Abweichung kommt es zu Ablehnung und strukturellen Ausschlüssen, die den Zugang zu diesen Berufen erschwert. Ihre Verkörperung im sozialen Feld spielt in der diskriminierungskritischen Arbeit eine wichtige Rolle. Sie werden zu Vorbildern, zu Zeichen des Widerstandes gegen konventionelle Rollenbilder, die andere Ausgeschlossene sowie die zukünftige Generation prägen.

Diversität, divers, (engl. Diversity)

»Jeder Mensch hat Eigenschaften, Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die ihn von anderen unterscheiden. Einige Merkmale bringen Privilegien [siehe Privilegiertheit] mit sich, andere erschweren den Zugang zu Ressourcen [siehe Ressourcen]. Der Diversitätsansatz problematisiert gesellschaftliche Machtverhältnisse in ihrer Intersektionalität [siehe Intersektionalität], die über Normen, Diskriminierung [siehe Diskriminierung] und Privilegierungen in Verbindung mit zugeschriebenen Kategorien wie »Hautfarbe«, Herkunft, Aufenthaltsstatus, Religion, Gender, sexuelle Orientierung, Behinderung, Alter und sozialer Herkunft [siehe soziale Herkunft, siehe Klassismus] bzw. sozialem Status verknüpft sind. Normen und Macht spielen eine entscheidende Rolle, wenn Menschen von gesellschaftlichen Ressourcen ausgeschlossen werden oder einen privilegierten Zugang zu ihnen erhalten. Diversität bedeutet also nicht nur Vielfalt oder Vielseitigkeit, sondern auch Diskriminierungskritik, Macht- und Normenkritik, Empowerment [siehe Selbstermächtigung] und Powersharing sowie eine intersektionale Perspektive.« (IDA e.V. o.J.)

Der Diversitäts-Begriff wird in verschiedenen Bereichen unterschiedlich weiterverwendet bzw. angewendet. In der Praxis wird manchmal die gesellschaftliche Vielfältigkeit durch diesen Begriff betont, es findet aber keine diskriminierungskritische Perspektivierung statt. Hier ist zu prüfen, was im Einzelfall wirklich gemeint ist. In manchen Konzepten des Diversity Management bspw. kann eine Tendenz beobachtet werden, macht- und herrschaftskritische und vor allem kapitalismuskritische Perspektiven auszublenden und Diversität insbesondere durch das Einstellen von einem »bunten Strauß« von »Insidern« herstellen zu wollen (siehe Tokenism), die dann manchmal als Aushängeschild für die Diversität der Institution dienen sollen, aber innerhalb der Institution weiterhin oder gar verstärkt von diskriminierenden Strukturen betroffen sind. (Amstutz 2018) Die Idee einer Verschiedenheit gegenüber positiv eingestellten Unternehmenskultur allein, oder das Unterzeichnen von Erklärungen, untergräbt weder diskriminierende Strukturen noch verändert es Machtverhältnisse.

Literatur:

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Diversität, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=D&cHash=4ee76652f2f01767495570bb3181a668 (zuletzt abgerufen am 16.06.2021).

Amstutz, Nathalie: Diversity Management kritisch? Un/Gleichheiten, 2018; online unter https://www.gendercampus.ch/de/blog/post/diversity-management-kritisch (zuletzt abgerufen am 28.09.2021).

Diversitätsentwicklung

»Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung ist ein innovativer Ansatz zur Veränderung von Organisationen, die die gesellschaftliche Vielfalt nicht (genug) abbilden. Ziel ist es, einen wertschätzenden Umgang mit Diversität zu erreichen und (strukturelle) Diskriminierung abzubauen. Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung reagiert auf den steigenden Bedarf und die Notwendigkeit, Diversität als Querschnittsthema [das bedeutet in allen Bereichen und auf allen Ebenen] in Institutionen zu verankern. Dabei werden Ansätze der Antidiskriminierungsarbeit mit Ansätzen der Organisationsentwicklung kombiniert. Der Blick ist zunächst nach innen gerichtet, um Wertorientierungen, Haltungen, Normen oder auch (Kommunikations-)Abläufe im Hinblick auf Ausschlüsse zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern. Auch die Umsetzung rechtlicher Vorgaben, die auf dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz oder auf verschiedenen verbindlichen Menschenrechtskonventionen fußen, können Teil solcher Organisationsentwicklungsprozesse sein. Zentral ist es, strukturelle Barrieren, die Ausschlüsse und Diskriminierung zur Folge haben, abzubauen und einen wertschätzenden Umgang mit Diversität, beispielsweise im Team, zu fördern. Fragen in der Diversitätsorientierten Organisationsentwicklung können sein: Wie kann eine diskriminierungsarme Arbeitskultur aussehen, in der Raum für unterschiedliche Arbeitsweisen besteht und alle wertgeschätzt werden, auch Personen aus marginalisierten Communities? Wie können Stellenausschreibungen Menschen mit unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten ansprechen? Wie können unterrepräsentierte Communities besser erreicht werden? Wie kann eine barrierearme und respektvollere Kommunikation aussehen? Wie können Künstler*innen mit Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen (besser) eingebunden und gestärkt werden? Welche Verfahren und Prinzipien gelten im Falle von Diskriminierung? Und wie kann das Thema Diversität strukturell verankert werden, zum Beispiel durch ein Leitbild? […].« (Diversity Arts Culture o.J.)

Literatur:

Website von Diversity Arts Culture, Wörterbuch, Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung, o.J., https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/diversitaetsorientierte-organisationsentwicklung (zuletzt abgerufen am 26.5.2021).

dominant, Dominanz

»Als dominant werden Verhaltensweisen bezeichnet, bei denen andere zur Unterordnung gezwungen werden. Eine Person oder Gruppe setzt sich gegenüber einer anderen Person oder Gruppe durch. Dies geschieht jedoch nicht– wie im Falle von Herrschaft – durch unmittelbaren Zwang in Form von Repression, Ge- oder Verboten. Wenn Machtverhältnisse in die verinnerlichten Normen und sozialen Strukturen einer Gesellschaft eingelagert sind, können vielmehr alle ihre Angehörigen Dominanz ausüben, indem sie die herrschende Normalität bewusst oder unbewusst mittragen. Beispiele dafür sind, wenn rassistische Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt […] mit »kultureller Fremdheit« oder mangelnder Leistungsbereitschaft erklärt werden; wenn die Gleichberechtigung von Männern* und Frauen* behauptet wird, obwohl Frauen* immer noch den größten Teil der Reproduktions- und Carearbeit leisten; oder wenn die Mitarbeiter:innen eines Amtes von Besucher:innen ganz selbstverständlich verlangen, Deutsch zu sprechen, weil Deutsch Amtssprache sei, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Gegenübers. Diese Prozesse festigen wiederum die ungleiche Verteilung von Ressourcen, Repräsentanz und Partizipationschancen, auf der die Ausübung von Dominanz beruht.« (IDA e.V. o.J.)

Literatur:

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Dominanz, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=D&cHash=4ee76652f2f01767495570bb3181a668 (zuletzt abgerufen am 25.03.2021).

dominante Logik

(siehe Machtverhältnisse, Machtstrukturen)

dominante Subjektposition

(siehe Subjekt)

dominantes Wissen

(siehe Herrschaftswissen)

Dominanzverhältnisse

»Dominanz [ist] weniger greifbar, zumal nicht unmittelbar mit Gewaltausübung verknüpft; dennoch steckt sie in jedem und jeder von uns, wird mal mehr, mal weniger bedacht ausgelebt. Auch wenn uns das nicht immer bewusst sein mag, sind unsere Normen, ›unsere Lebensweise, unsere Selbstinterpretationen sowie die Bilder, die wir vom Anderen entwerfen, in Kategorien der Über- und Unterordnung gefaßt‹ (1995, 22). Damit sind auch wir Teil von Macht- und Dominanzverhältnissen, die vielfach nicht gesehen oder abgestritten werden. Aufgrund des Anspruchs auf Gleichheit gilt es vor allem für die Mehrheitsgesellschaft, die gesellschaftliche Realität mit ihren Hierarchien zu verschleiern bzw. Dominanz und Herrschaft als natürlich oder rational erscheinen zu lassen. […]« (Satilmis 2016, S. 25)

Literatur:

Satilmis, Ayla: »Dominanzkultur(en) — oder: Verstrickungen in Macht- und Dominanzverhältnisse. Konzeptionelle Überlegungen für die rassismuskritische Arbeit«. In: Detzner, Milena/Drücker, Ansgar/Seng, Sebastian (Hg.): Rassismuskritik – Versuch einer Bilanz über Fehlschläge, Weiterentwicklungen, Erfolge und Hoffnungen, Düsseldorf: Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e. V. (IDA), 2016, S. 24-29; online unter https://www.idaev.de/fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/Reader/2016_IDA_Rassismuskritik.pdf. (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Double Bind 

»Der angloamerikanische Sozialwissenschaftler, Philosoph, Anthropologe, Biologe und Kommunikationstheoretiker Gregory Bateson formulierte gemeinsam mit einem Team von Anthropologen Ende der 1950er Jahre die sogenannte Doppelbindungstheorie (double bind) […]. Das double bind beschreibt, kurz gesagt, die lähmenden Folgen von gleichzeitig empfangenen sich widersprechenden Botschaften – sogenannte Doppelbotschaften. Das klassische Beispiel ist die Mutter, die ihr Kind schlägt und dabei sagt, dass es dasselbe liebe. Doppelbotschaften erweisen sich als besonders problematisch, wenn diese unbewusst empfangen und verarbeitet werden und als bedrohlich, wenn die Situation nicht verlassen werden kann und/oder das Sprechen darüber nicht möglich ist.« (Castro Varela 2019)

Solche Double-Bind-Situationen erleben häufig Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Permanente Doppelbotschaften führen zu Widersprüchen und zur Destabilisierung der eigenen Wahrnehmung, da einerseits verlangt wird, sich den gesellschaftlichen Normen anzupassen, die Normen aber nie von den Betroffenen erfüllt werden können, da ihre Körper und ihr Charakter wiederum nicht in das normative Bild passen.

Zum Beispiel erleben Menschen, die von Rassismus betroffen sind folgende Situation: In der Berufswelt wird erwartet, herausragende Leistungen zu erbringen. Trotz dieser Leistung werden diese Menschen tendenziell nicht angestellt oder sie werden angestellt, weil sie genau in das Stereotyp passen, das ihnen zugeschrieben wird. Zum Beispiel Asiat_innen als fleißige Informatiker_innen etc.

Dieses Gefühl nicht genommen zu werden, weil man nicht der Norm entspricht oder genommen zu werden, weil man stereotypisiert wird, führt zu einer Double-Bind-Situation.

Egal welche Situation eintrifft, es bleibt ein Gefühl der Ambivalenz zurück. Ähnliches gilt für andere Gruppen die von Diskriminierung betroffen sind. Das permanente ver_andert werden von außen führt mit der Zeit zu einer Verunsicherung der eigenen Person.

Literatur:

Castro Varela, María Do Mar: Ambivalente Botschaften und Doppelbindung – Warum Kulturelle Bildung das Verlernen vermitteln sollte, 2019; online unter https://www.kiwit.org/kultur-oeffnet-welten/positionen/position_13120.html, (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Drag-Performance

Die Herkunft bzw. die Bedeutung des Begriffs »Drag« ist nicht gänzlich geklärt. »Einer Theorie zufolge handelt es sich um ein Akronym (›dressed as a girl‹ bzw. ›dressed as a guy‹). Als wahrscheinlicher gilt jedoch die Herleitung über das englische Wort ›drag‹, das so viel wie ›schleppen‹ bedeutet und sich auf die Schleppe an langen Kleidern bezieht«. (Queer Media Society o.J.) Folglich bezeichnen »sich männliche Personen [als Dragqueen], die sich i.d.R. als schwul oder bisexuell identifizieren, wenn sie Kleidung, Haarpracht und Make-up anlegen, die nach heteronormativer Lesart für das weibliche Geschlecht vorgesehen sind. Die als typisch weiblich empfundenen äußerlichen wie inneren Eigenschaften werden dabei überzeichnet. Unter einem Drag-Künstlernamen treten sie so bei Veranstaltungen oder CSDs auf«. (ebenda) Diese Auftritte werden wiederum auch als (Drag-)Performance bezeichnet. »Das weibliche, i.d.R. lesbische Pendant nennt man Dragking. Auch trans Personen treten als Dragqueens wie -kings auf«. (ebenda)

Es gilt hierbei aber dringend zu beachten, »Drag« nicht mit trans Frauen (siehe trans*) gleichzusetzen. Während letztere sich nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, handelt es sich bei Drag um eine Kunstform, bei der es um ein lustvolles Spiel mit Identitäten geht. Rollen und Kostüme können nach Abschluss der Performance wieder »abgelegt« werden – die eigene Geschlechtsidentität hingegen nicht. (vgl. Queer Lexikon)

Literatur:

Website von Queer Media Society, Glossar, o.J., https://www.queermediasociety.org/glossar (Zuletzt abgerufen: 08.08.2021).

Website Queer Lexikon, Glossar, o.J., https://queer-lexikon.net/2017/06/15/drag-queen/ (Zuletzt abgerufen: 08.08.2021).

E

Einladungspolitiken 

Mit Einladungspolitiken ist die Art und Weise gemeint, wen Institutionen wie zum Beispiel Museen als Zielgruppe von Kunstvermittlung denken und wie diese Menschen angesprochen werden. Gerade in Anbetracht von Forderungen nach stärkerer gesellschaftlicher Teilhabe oder im Rahmen von Bemühungen zur Diversitätsentwicklung kann festgestellt werden:

»Dabei werden gesellschaftliche Gruppen anvisiert, die nicht zum Stammpublikum der Institutionen gehören und von denen angenommen wird, dass sie einer aktiven Einladung bedürfen. Es handelt sich um Teile der Bevölkerung, die über vergleichsweise wenig kulturelles und ökonomisches Kapital verfügen und die daher von einer privilegierten Position aus als ›benachteiligt‹ oder ›bildungs-fern‹ gelten. […] Dabei sind die jeweils vorgenommenen Identifizierungen weder zufällig noch neutral, sondern von den Perspektiven und Interessen der Einladenden geformt. Sie haben nicht nur die Funktion, das Andere herzustellen, sondern auch, das Eigene als angestrebte Norm zu bestätigen. Bei der Bezeichnung «bildungsfern» zum Beispiel stellt sich die Frage nach dem Bildungsverständnis, das es erlaubt, bestimmte Personen als fern davon zu verorten.« (Mörsch und Fürstenberg o. J.)

Literatur:

Mörsch, Carmen und Stephan Fürstenberg: Für Verweilende, Arbeiten in Spannungsverhältnissen 2, Adressierung und das Paradox der Anerkennung. In: Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (Hg.): Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung, o.J., online unter https://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=2&m2=6&lang=d (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

emotionale Arbeit 

Emotionale Arbeit (engl. emotional labour) bezeichnet eine besondere Anforderung, die im Dienstleistungsbereich (kundenorientierte Berufe) vermehrt auftritt, wobei hier meist feminisierte Berufe betroffen sind. Die arbeitenden Menschen müssen z.B. an der Kasse immer freundlich bleiben oder als Flugbegleiter_innen stets die Rolle der zuvorkommenden Dienstleister_in spielen. Teil ihres Berufes ist also die Arbeit mit den Emotionen oder das Spielen von Emotionen, was eine erhöhte Belastung für diese Berufsgruppen darstellt (Hochschild 1979). Besonders belastende emotionale Arbeit kann auch zu geistigen Gesundheitsproblemen wie z.B. Burnout führen. (Zapf et al. 2000)

Vermehrt wird der Begriff auch verwendet, um die zusätzliche emotionale Arbeit zu beschreiben, die z.B. Pädagog_innen mit Rassismuserfahrung vollbringen müssen, um Rassismus oder Weißsein in der Lehre zu vermitteln. Dabei entsteht eine emotionale Belastung, die die Arbeitsbedingungen erheblich erschweren können. (Adusei-Poku 2018)

Literatur:

Zapf, Dieter/Seifert, Claudia/Mertini, Heidrun/Vogt, Christoph/Holz, Melanie/Vondran, Elisabeth/Isic, Amela/Schmutte, Barbara: »Emotionsarbeit in Organisationen und psychische Gesundheit.« In: Musahl, Hans P./Eisenhauer, Thomas (Hg.): Psychologie der Arbeitssicherheit. Beiträge zur Förderung von Sicherheit und Gesundheit in Arbeitssystemen. Heidelberg: Asanger, 2000, S. 99–106; online unter https://www.uni-frankfurt.de/45703910/Zapf_et_al__2000__Emotionsarbeit_in_Organisationen_und_psychische_Gesundheit.pdf (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

Hochschild, Arlie Russell: Das gekaufte Herz: die Kommerzialisierung der Gefühle. Übers. von Sighard Neckel, 2. Aufl., Frankfurt/Main New York: Campus Verlag, 2006 (Campus Bibliothek).

Adusei-Poku, Nana: »Alle müssen alles lernen oder: emotionale Arbeit«. In: Art Education Research, 2018, S. 1–8.

epistemische Gewalt

»Epistemik bezeichnet den Vorgang des Erkennens. Epistemische Gewalt liegt dann vor, wenn z. B. westliche Wissenschaftler:innen vermeintliche oder tatsächliche Probleme von Menschen analysieren und bearbeiten, die sie dem Globalen Osten bzw. Süden (siehe Globaler Süden) zuordnen, und sie dabei die Kategorien und Deutungen der Betroffenen nicht berücksichtigen oder ihnen die eigenen Kategorien und Deutungen überstülpen und so vereinnahmen. Ein typisches Beispiel für epistemische Gewalt: In einem Gremium gegen Rassismus sitzen nur weiße, europäische Männer oder Frauen und entwerfen Lösungsansätze, ohne die betroffenen Menschen in den Prozess einzubeziehen. Dadurch können sie als Akteur:innen ihre Deutung der Welt durchsetzen. Diese Haltung hat ihre Wurzeln im Kolonialismus [siehe Kolonialismus]. Sie definiert Angehörige der kolonialisierten Länder als unveränderbar anders und implizit minderwertig. Dadurch trug bzw. trägt sie maßgeblich dazu bei, Kolonialismus und Rassismus zu rechtfertigen.« (IDA e.V. o.J.)

Literatur:

Website des IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Epistemik, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=E&cHash=70f200aae61f8d0829b5bcdc6623cae3 (zuletzt abgerufen am 19.4.2021)

epistemologisch, Epistemologie

Epistemologie wird synonym zur Erkenntnistheorie gebraucht. Damit ist epistemologisch das, was sich auf die Frage nach Erkenntnis bezieht: z.B. Was kann ich wissen? Was ist Wissen? Welche Wissensformen gibt es?

In der diskriminierungskritischen Arbeit wird untersucht, welches Wissen in welcher Weise von wem genutzt wird, um bestimmte Minderheiten zu unterdrücken bzw. auf welche Art und Weise durch Wissen strukturelle Ausschlüsse verursacht werden.

Erkenntnisinteresse

»Jürgen Habermas, ein Vertreter der Kritischen Theorie, prägte Ende der 1960er-Jahre den Begriff der Erkenntnisinteressen. Er unterschied drei Richtungen: erstens das technische Erkenntnisinteresse empirisch-analytischer Wissenschaften, das auf instrumentelle Anwendung ausgerichtet ist, zweitens das praktische Erkenntnisinteresse historisch-hermeneutischer Wissenschaften, das an Handlungen und Kommunikation orientiert ist und drittens das emanzipatorische Erkenntnisinteresse kritischer Wissenschaften, das freiheitsorientiert radikale Veränderungen gesellschaftlicher Verhältnisse anstrebt. Mit den jeweiligen Erkenntnisinteressen sind demnach unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaft, von Menschen, aber auch von Forschungsmethoden und politischen Bewertungen verbunden, auch wenn sich zahlreiche Überschneidungen finden. Grundfragen unterschiedlicher Interessen beziehen sich aber beispielsweise auf Fragen von Wertfreiheit oder Beurteilung, von Deskription oder Normativität oder von Optimierung oder Überwindung gesellschaftlicher Bedingungen.

Wissenschaft und Forschung sind demnach nicht von grundlegenden Haltungen zu trennen und vor diesem Hintergrund einzuschätzen, auch wenn diese nicht explizit formuliert und offengelegt sind.« (erwachsenenbildung.at o. J.)

Literatur:

Website von erwachsenenbildung.at – Wissen vernetzt, Bildung wirkt. Wissenstheorien, o.J., https://erwachsenenbildung.at/themen/eb-forschung/theorien-methoden-inhalte/wissenschaftstheorien.php#erkenntnisinteressen (zuletzt abgerufen am 15.10.2021).

Europäische Klassik

Die Europäische Klassik umfasst Musiken im europäischen Stile, die etwa im 18. und 19. Jahrhundert entstanden.

»Die Bezeichnung Klassik geht auf das lateinische Wort Classicus zurück. Dieses wurde in der Antike benutzt, um einen ›Bürger erster Klasse‹ zu beschreiben. In diesem Sinne versteht sich die Klassik als Musik des gehobenen Bildungsbürgertums. Zu unterscheiden sind bei der klassischen Musik mehrere Strömungen, die allgemein unter Klassik zusammengefasst sind. Diese zeigen, wie heterogen der Begriff ist:

  • alte Musik,
  • klassische Musik des Mittelalters,
  • Musik der Renaissance,
  • Musik des Barocks,
  • frühe Klassik,
  • Wiener Klassik,
  • Romantik,
  • Neue klassische Musik.

So fallen zum Beispiel Werke der barocken Tanzmusik ebenso unter Klassik wie Symphonien von van Beethoven oder Strauß sowie Opern und Operetten oder die Werke von Mozart. Die Richtungen verlaufen nicht linear, sondern überlappen sich zeitlich etwas. Prägend für den Begriff Klassik in der Bevölkerung ist vor allem die Wiener Klassik. Wichtig ist, dass diese Bezeichnung unabhängig von Stilen wie Konzerten, Kammermusik oder Arien ist.« (Lexikon der Musik o.J.)

Diese Musiken werden unter dem Begriff der Kunstmusik gefasst. Dabei handelt es sich um einen Abgrenzungsbegriff, der sich von Musiken abgrenzt, die vom Mainstream bzw. der allgemeinen Bevölkerung z.B. Popmusik, gehört werden.

»Entgegen der wirklichen musikalischen Qualität wird Rap und Hip-Hop in den Feuilletons der Zeitungen oftmals als nicht vollwertige Musik bezeichnet. Diese Abwertung von Musik von sozial unteren Klassen hat Tradition, z.B. wurde die Musik von Elvis Presley oder den Beatles als minderwertig eingestuft. Demgegenüber wird die klassische Musik und Oper nach wie vor von den bürgerlichen Schichten als Hochkultur erkoren. Diese Deutungshoheit sichert den oberen Schichten das Monopol der Kulturproduktion und -rezeption.« (AG Postkoloniale Migrationen 2013, S. 11)

Literatur:

Website von Lexikon der Musik, Klassik, o.J., https://www.lexikon-der-musik.de/klassik/ (zuletzt abgerufen am 13.10.2021.)

AG Postkoloniale Migrationen: RCG – Magazin zu Intersektionalität, 2013; online unter https://heimatkunde.boell.de/sites/default/files/rcg_magazin_komplett2014_10_11_1.pdf (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

eurozentrisch, Eurozentrismus

»beschreibt die Beurteilung nicht-europäischer Kulturen aus der Perspektive europäischer Werte und Normen. Europa wird als das Zentrum des Denkens und Handelns verstanden und Europas Entwicklungsgeschichte wird als Maßstab für jegliche Vergleiche mit anderen Ländern und ›Kulturen‹ gesehen.« (quixkollektiv o.J.)

Literatur:

Website von quixkollektiv, Glossar – Eurozentrismus, o.J., https://www.quixkollektiv.org/glossar/allgemeines-glossar/ (zuletzt abgerufen am 13.05.2021).

Exotismus/Exotisierung

Unter dem Begriff Exotismus wird die Praxis des Exotisierens gefasst. Chandra-Milena Danielzik und Daniel Bendix schreiben in Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonailismus im Wissensarchiv deutsche Sprache »dass der Blick auf etwas vermeintlich Exotisches ein eurozentrischer und (kolonial-)historisch geprägter Blick [sei] […]. Dies [werde] verständlich, wenn mensch die Wortherkunft [beachte]: ›Exotisch‹ bedeutet ›ausländisch‹ oder ›fremdländisch, überseeisch‹ und fand im Zeitalter der europäischen ›Aufklärung‹, des Kolonialismus und Imperialismus Eingang in die deutsche Sprache. ›Überseeisch‹ verweist dabei auf das Objekt der ›Exotik‹: Es sind die Menschen der damaligen europäischen Kolonien. Wer oder was als ›exotisch‹ gilt, scheint auch im gegenwärtigen weißen bundesrepublikanischen Alltasgsgebrauch eindeutig: weiße Menschen werden nicht unter die Kategorie ›exotisch‹ gefasst. Da ›exotisch‹ also eine rassialisierte und somit ideologische Kategorie ist, erscheint es sinnvoll, von Exotismus bzw. der Praxis des Exotisierens zu sprechen […].« (Danielzik/Bendix 2019, S. 633)

Literatur:

Danielzik, Chandra-Milena und Bendix, Daniel: »Exotik / exotisch«. In: Arndt, Susan/ Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache.  Ein kritisches Nachschlagewerk. Hrsg. von Unrast-Verlag, Münster, 2019, S. 633.

F

Fachleiter

Im Bundesland Rheinland-Pfalz erfolgt die Ausbildung für das Lehramt an Gymnasien der Lehramtsanwärter_innen – der sogenannte Vorbereitungsdienst (Referendariat) – in Kooperation mit den Staatlichen Studienseminaren und den Ausbildungsschulen, an denen die Referendar_innen tätig sind. Während es an den Ausbildungsschulen vor allem darum geht, die Schulpraxis kennen zu lernen, erfolgt im Berufspraktischen Seminar die Ausbildung in bildungswissenschaftlichen, schul- und beamtenrechtlichen Grundlagen und in den Studienseminaren der beiden Fächer (Fachdidaktische Seminare) die fachdidaktische Ausbildung. Diese Ausbildung wird gestaltet und verantwortet von sogenannten Fachleiter_innen, die in der Regel selbst tätig als Kunstlehrer_innen sind und die Anwärter_innen im Unterrichten (von Kunst) ausbilden. Dabei begleiten und unterstützen sie die Referendar_innen nicht nur während der Ausbildung, sondern verantworten gemeinsam mit anderen Fachleitungen die 2. Staatsprüfung und erteilen eine Bewertung der erbrachten Leistungen in der zweiten Staatsprüfung, die für ein späteres eigenständiges Unterrichten an staatlichen Schulen positiv ausfallen muss. (vgl. Studienseminare/Bildungsseminare RLP 2017)

Literatur:

Website der Studienseminare/Bildungsserver RLP, 2017, https://studienseminar.rlp.de/gym.html (zuletzt abgerufen am 04.08.2021).

feminisiert

Als feminisiert werden Berufe oder Tätigkeiten bezeichnet, wenn sie zu einem hohen Anteil von weiblich gelesenen Personen ausgeführt werden oder es eine gesellschaftliche Erwartung gibt, dass diese Berufe von weiblich gelesenen Personen ausgeführt werden sollten. Oftmals geht dies einher mit sexistischen Rollenbildern (»Frauen als sorgende Mütter oder freundliche Sekretärinnen«). Beispiele für feminisierte Bereiche sind in der Bildung, Erziehung, Pflegeberufen oder im Dienstleistungsbereich. Oftmals werden diese Berufe schlechter bezahlt. Auch wenn eine strikte Geschlechtertrennung in vielen Berufen nicht mehr vorliegt, sind Gleichstellung oder Gleichverteilung z.B. im Bereich Bildung, Erziehung oder Pflege immer noch weit entfernte Ziele. (vgl. Bücker 2020)

Literatur:

Bücker, Teresa: »Zeit, die es braucht. Care-Politik als Zeit-Politik«. In: Bundeszentrale für politische Bildung, 2020; online unter https://www.bpb.de/apuz/care-arbeit-2020/317843/zeit-die-es-braucht-care-politik-als-zeit-politik (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

feministisch, Feminismus

»Feminismus ist vielfältig und unterscheidet sich. Grundanliegen aller feministischen Strömungen sind die Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, die im öffentlichen wie auch im persönlichen Leben verwirklicht werden soll. Ihre Vielfalt bietet Ansätze und Potentiale für die Gestaltung des gegenwärtigen tiefgreifenden sozialen Wandels.

Feminismen werden im Plural gedacht und gelebt. Denn sie bilden vielfältige Ansätze zur Geschlechter- und Gesellschaftskritik. So beziehen sie sich auf Gleichheit in der Bildung, im Beruf und in Beziehungen und auf individuelle Selbstbestimmung über Körper, Sexualität und das Gebären. Deswegen sollte man eher von Feminismen sprechen. Sie setzen sich für Veränderungen der Geschlechterverhältnisse wie auch der gesellschaftlichen Ungleichheit generell ein. Der Begriff des Feminismus entstand erst im späten 19. Jahrhundert. Er setzte sich in der internationalen Welle der neuen Frauenbewegungen ab 1968 weltweit als Leitbegriff durch.

Um die Unterschiede zwischen Feminismen zu vergleichen und zu verstehen, sind drei Leitfragen wichtig:

  1. Welches Bild oder Verständnis von Geschlecht (siehe Geschlecht) wird vertreten (Geschlechterdimension): Wird die universale (einheitliche) Gleichheit oder die Differenz von Frauen und Männern betont? Oder wird Geschlecht vor allem als kulturell geprägt und gestaltet – als ›sozial konstruiert‹ (siehe Herstellung, soziale) – verstanden? Allerdings zeigen Feminismen häufig Mischungen zwischen diesen Geschlechterbildern.
  2. Welches Bild der bestehenden Gesellschaft und den damit verbundenen Problemen wird zugrunde gelegt (Gesellschaftsdimension)? Beispiele sind das Bild der patriarchalen Männergesellschaft (siehe Patriachat) im radikalen Feminismus oder der kapitalistischen Gesellschaft im sozialistischen Feminismus.
  3. Welche weiteren mit Geschlecht wechselwirkenden Ungleichheiten wie u.a. nach Klasse, [Rassisiertheit] werden als relevant gesehen (intersektionale Dimension)?«

(Lenz 2018)

Literatur:

Lenz, Ilse: Was ist Feminismus, 2018; online unter https://www.gwi-boell.de/de/2018/05/25/was-ist-feminismus (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

Feministische Kunstgeschichte 

Künstlerinnen der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert sind weitgehend in Vergessenheit geraten, da die Kunstwelt fast ausnahmslos von Männern dominiert war. Wie die Kunstwissenschaftlerin Linda Nochlin in ihrem Essay »Why Have There Been No Great Women Artists« (1971) feststellt, kann der Grund dafür in den strukturellen Ausschlüssen von Frauen aus den gängigen Ausbildungsmöglichkeiten sowie in gesellschaftlichen Normen gefunden werden. Ohne die institutionellen Möglichkeiten, die Männern vorbeihalten waren, konnte sich kein Äquivalent zu beispielsweise Michelangelo oder Leonardo DaVinci herausbilden. Frauen wurden weitestgehend aufgrund ihrer Rolle als Frau aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen. Die wenigen bekannten Ausnahmen waren Frauen aus adligen Familien, die im Rahmen ihrer humanistischen Erziehung unter anderem auch das Zeichnen erlernten. (vgl. Nochlin 2015)

Die Feministische Kunstgeschichte untersucht die Repräsentation von Geschlecht in der Kunst. Welche Funktion und Rolle nehmen Frauen in der Kunstgeschichte ein? Welche strukturellen Ausschlüsse führten dazu, dass weibliche geschweige denn queere Positionen den Beruf des_der Künstler_in ergreifen konnten? Welche Karrierestrategien verfolgten Künstlerinnen und wie wurden deren Werke rezipiert?

Literatur:

Nochlin, Linda : »Why Have There Been No Great Women Artists«. In: Reilly, Maura (Hg.): Women artists.the Linda Nochlin reader. London: Thames & Hudson, 2015, S. 42–68.

fett (engl. fat)

Das Wort fett beschreibt eine Marginalisierung (siehe Marginalisierung) von mehrgewichtigen Menschen, wobei hier einige Mehrgewichtige unterscheiden, dass es sich bei dem Wort fett vor allem um eine Schwermarginalisierung handelt. Schlankeren Mehrgewichtigen wie sie in der Schönheitsindustrie als curvy vermarktet werden, haben beispielsweise weniger Probleme passende Kleidung zu finden, müssen sich bei öffentlichen Veranstaltungen nicht Sorgen machen, dass es keine bzw. zu enge Sitzplätze für sie gibt etc. (Wir muessten mal reden o.J) Dies geht mit den konventionellen Schönheitsidealen und Gesunsheitsmodellen einher, in denen Schlanksein als Norm gilt. Mehrgewichtigen Menschen werden mit dem Wort fett negative Eigenschaften zugeschrieben. Es wird als Beleidigung genutzt, um mehrgewichtige Menschen auszugrenzen und abzuwerten. So kommt es vor, dass sie bei gesundheitlichen Problemen nicht Ernst genommen werden, da ihre Beschwerden häufig pauschal auf ihr Gewicht zurückgeführt werden. (vgl. Kropp/Hegerfeld 2021) Empowerment-Bewegungen, wie die fat femme movement oder fat acceptance-Bewegung kämpfen gegen die Diskriminierung von Mehrgewichtigen, fat-shaming bzw. Fettfeindlichkeit an. (vgl. Strahlendorf 2015)

Das Wort fett bzw. fat wird in diesem Sinne als Selbstbezeichnung verwendet, um der Negativität dieses Wortes entgegenzuwirken. (Wir muessten mal reden o. J.)

Literatur:

Website von Wir muessten mal reden, Awareness Glossar, Fett-, https://wirmuesstenreden.blogspot.com/p/woketionary.html (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Kropp, Maria/Hegerfeld Sinah: Fat Shaming/Fat Empowerment – Was bedeutet Fatshaming?, 2021; online unter https://www.gleichstellungsportal.de/abc-der-gleichstellung/fat-shaming-fat-empowerment/ (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

Strahlendorf, Sandra: Fat is Fabulous?, 2015; online unter https://www.ifb-adipositas.de/blog/2015-08-12-fat-fabulous?fbclid=IwAR1J3pFHfRyUi6kdyo3YKc-dGJHZcftMyrFEzZnqu_8T0P6yeNRwXiSSd24 (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

fit, Fitness

siehe Gesundheit und Fitness

formal

Laut Duden bedeutet formal so viel wie die äußere Form betreffend bzw. auf ihr beruhend. (Duden 2021)

Literatur:

Website des Dudenverlags, formal, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/formal (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

formale Bildung

»Unter formeller Bildung wird [folglich] das gesamte hierarchisch strukturierte und zeitlich aufeinander aufbauende Schul-, Ausbildungs- und Hochschulsystem gefasst, mit weitgehend verpflichtendem Charakter und unvermeidlichen Leistungszertifikaten. Unter nicht-formeller Bildung ist jede Form organisierter Bildung und Erziehung zu verstehen, die generell freiwilliger Natur ist und Angebotscharakter hat. Unter informeller Bildung werden ungeplante und nicht-intendierte Bildungsprozesse verstanden, die sich im Alltag von Familie, Nachbarschaft, Arbeit und Freizeit ergeben, aber auch fehlen können. Sie sind zugleich unverzichtbare Voraussetzung und ›Grundton‹, auf dem formelle und nicht-formelle Bildungsprozesse aufbauen.» (bmfsfj 2001, S. 23)

Formelle/formale Bildung folgt der Idee der Standardisierung von Bildungsinhalten. Konkret bedeutet das bspw. für Schulen, dass alle Schüler_innen einer Schule in einem  Bundesland am Ende ihrer Schullaufbahn ein spezifisches Wissen und Können nachweisen müssen. Dies wird mit Hilfe staatlich anerkannter und formalisierter Schulabschlüsse (Mittlere Reife, Abitur etc.) überprüft und bei Bestehen zertifiziert. Es handelt sich dabei um Wissen, welches kanonisiert ist und damit um staatlich legitimierte Bildungsinhalte. Nicht-formelle/nicht-formale Bildung ist im Gegensatz zu formalen Bildungsinhalten der staatlichen Institutionen nicht zwingend kanonisiert. D.h. dass diese auch minorisiertes Wissen und Können umfassen kann, das zum Beispiel in queeren aktivistischen Zusammenhängen angeeignet wurde und von einer Dominanzgesellschaft bewusst oder unbewusst ignoriert wird. 

Literatur:

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (bmfsfj): Streitschrift Zukunftsfähigkeit des Bundesjugendkuratoriums, 2001; online unter https://www. bmfsfj.de/resource/blob/94532/2121bca9f8c34e2ca21b49a57254b1d3/prm-15359-broschure-zukunftsfahigkeit-si-data.pdf, S. 23 (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

G

Ge-Anderten, ge-andert

siehe »sogenannter deutschsprachiger Raum«

Gegenkanonisierung

Eine Gegenkanonisierung kann eine Strategie von minorisierten Gruppen (siehe minorisiert) sein, mit der in den hegemonialen Kanon (siehe Hegemonie, siehe Kanon) verwobene normative kulturelle Vorstellungen der dominanten gesellschaftlichen Gruppen infrage gestellt werden können. Mit Antonio Gramsci kann eine Gegenkanonisierung als Werkzeug von minorisierten Gruppen verstanden werden »[…], die sich selbst zur Kunst des Regierens erziehen wollen und die daran interessiert sind, alle Wahrheiten zu kennen, auch die unerfreulichen, […]«. (Becker et al. 2013, S. 192) Eine Gegenkanonisierung kann dazu dienen, der Fremdzuschreibung und den hegemonialen Anrufungen (siehe Anrufungen) der dominanten Gruppen, marginalisierte Positionen bzw. Perspektiven entgegen zu stellen und so »[…] Bewußtsein [sic!] von ihrem eigenen gesellschaftlichen Sein, ihrer eigenen Stärke, ihrer eigenen Aufgaben, ihrem eigenen Werden [zu] erlangen«. (Becker et al. 2013, S. 192) Also selbstbestimmt die eigene Geschichte zu schreiben, Deutungshoheit (wieder) zu erlangen bzw. Bedeutungen zu verschieben (siehe Bedeutungsverschiebung) und neue Räume zu besetzen. Damit verbunden ist der Kampf um Hegemonie einerseits, nach unserem Verständnis andererseits aber auch die ständige kritische Befragung nach Ausschlüssen (und den dazugehörigen Mechanismen) (vgl. Gürses 2012), die eine Gegenkanonisierung gegebenenfalls herstellt, aus einer intersektionalen und machtkritischen Perspektive. Denkbar ist auch, das Konzept und die Notwendigkeit eines Kanons an sich in Frage zu stellen. Ein Gegenkanon kann mit Verweis auf Linda Nochlins (vgl. Nochlin 2015) bekanntes Essay »Why Have There Been No Great Women Artists?« auch als Instrument für marginalisierte Gruppen verstanden werden, um auf die institutionellen und intellektuellen Schwächen eines Feldes hinzuweisen und an der Herstellung »vorbildlicher« Institutionen und Lehrpläne mitzuwirken.

Literatur:

Becker, Florian/ Candeias, Mario/ Niggemann, Jan/ Steckner, Anne (Hg.): Gramsci lesen. Einstige in die Gefängnishefte. Hamburg: Argument Verlag, 2013 (Gefängnishefte 10: 1325).

Gürses, Hakan: »Der Wille zum Kanonisieren. Kunst und Bildung im Wechselspiel.« In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs 15, 2012; online unter http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/12-15/meb12-15.pdf (zuletzt abgerufen am 15.10.2021).

Nochlin, Linda: »From 1971: Why Have There Been No Great Women Artists?«. In: ARTnews Website, home, artnews, retrospective, 2015; online unter https://www.artnews.com/art-news/retrospective/why-have-there-been-no-great-women-artists-4201/ (zuletzt abgerufen am 14.10.2021).

Gender-Gap

Das Gender-Gap bezeichnet eine sprachliche Markierung, bei der an den Stamm eines Wortes ein _ (Gap) angehangen wird. Ziel ist es dabei auf sprachlicher Ebene alle Geschlechter sichtbar zu machen und so zu einer geschlechtergerechten Sprache beizutragen. (siehe geschlechtergerechte Sprache)

Während beim sogenannten generischen Maskulinum stets nur die männliche Form genannt und damit auch ausschließlich repräsentiert wird (Schüler), hat die Schreibweise mit Binnen-I (SchülerInnen) das Ziel sowohl alle männlichen als auch weiblichen Lernenden auf einer sprachlichen Ebene sichtbar zu machen. Die Verwendung eines Gender-Gaps folgt hier konsequent einem diskriminierungskritischen Ansatz und verdeutlicht qua Markierung (Gap), dass es mehr als zwei Geschlechter gibt: Schüler_innen. Neben dieser haben sich auch die Schreibweisen mit Stern (Schüler*innen) und mit Doppelpunkt (Schüler:innen) etabliert. Wie auch durch den Unterstrich wird hier Raum für die sprachliche Repräsentation aller Geschlechter geschaffen – sie finden Platz in der Lücke.  Auch beim Sprechen kann das Gap betont werden. Dazu machen Sprecher_innen am Ende des Wortstamms eine kleine Pause, verbinden die beiden Wortteile nicht miteinander und erzeugen so eine sprachliche Lücke – ein Gap.

Gentrifizierung

»Geprägt von der britischen Soziologin Ruth Glass (1964) bezeichnet der Begriff Gentrification [englisch: ›djentrifikeyschn‹] oder Gentrifizierung die Entwicklung, wenn ein zumeist zentraler Stadtteil oder ein Quartier bauliche Veränderung erlebt und sich über einen relativ kurzen Zeitraum die Bevölkerungsstruktur verändert. Sozial schwächer gestellte Personen (Geringverdiener_innen, HartzIV-Empfänger_innen etc.) werden verdrängt, eine wohlhabendere Nachbarschaft und ein neuer sozialer Charakter prägen das Gebiet. Kritische Stadtforscher_innen nutzen den Begriff, um auf Missstände bei der Stadtplanung und in der Immobilienwirtschaft aufmerksam zu machen. Die Verdrängung oder Vertreibung sozial/finanziell schwächer gestellter Mieter_innen an zumeist dezentrale [d.h. nicht im Stadtzentrum bzw. den Kommandozentralen der Weltwirtschaft] oder investitionsunfreundliche Orte wird demnach nicht nur in Kauf genommen, sondern ist wesentliches Merkmal von Gentrifizierung. Die Abläufe von Gentrification werden häufig mithilfe einer Einteilung in verschiedene Phasen aufgezeigt, wobei diese unterschiedlich gedeutet werden. […] In engem Zusammenhang zu Gentrifizierung sehen viele Forscher_innen die beruflichen, infrastrukturellen und selbstverwirklichenden Perspektiven, die das Leben in den Innenstädten [vermittelt]. Institutionelle Vermarktungsstrategien (beispielsweise in Reise-Guides oder Film und Fernsehen) sowie bauliche Modernisierung verstärken das Bild des Wohlstand versprechenden Lebens in den begehrten Vierteln der Innenstädte sogenannter ›Global Cities‹ (Sassen 1990), also Städte, die als ›Komandozentralen‹ der Weltwirtschaft gelten.« (KRASS assoziationen o.J.)

»Als Pioniere der Gentrifzierung fungieren oft Kunst und Kultur, die mitunter auch strategisch angesiedelt werden und die neue Gegend aufwerten sollen.« (Seefranz o.J.) Beispielhaft dafür sind etwa die Ausführungen von Richard Florida über die sogenannte »Kreative Klasse«.

Literatur:

Website von KRASS assoziationen, Glossar, Gentrification/Gentrifizierung, o.J, https://www.krass-mag.net/?glossar=gentrification-gentrifizierung (zuletzt abgerufen am 17.5.2021).

Seefranz, Catrin: Gentrifizierung. In: Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (Hg.): Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung, o.J. online unter https://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=10&m2=3&lang=d (zuletzt abgerufen am 1.12.2021).

Geschlecht

»Im Englischen wird unterschieden zwischen ›gender‹ und ›sex‹. Kurz gesagt beschreibt ›sex‹ das ›biologisch‹ [sic!] Geschlecht, also ganz platt formuliert Penis/Eichel vs. Vulva/Klitoris. ›Gender‹ beschreibt das anerzogene und sozial konstruierte Geschlecht. Im deutschen [sic!] muss ich mich da leider meistens etwas umständlicher ausdrücken. Ich versuche es mal anhand eines Beispiels. Eine Person wird mit einem Penis und Hoden geboren. Die Ärztin würde der Mutter also mitteilen, sie hätte einen Sohn bekommen. Das Geschlecht (›sex‹) scheint also erst mal eindeutig männlich. Die Eltern sind überrascht, denn aufgrund von Ultraschalluntersuchungen sind sie davon ausgegangen, das Kind wird ein Mädchen. Sie schmeißen also schnell die ganzen rosa Klamotten weg und streichen das Kinderzimmer blau. Das ist also der Teil, mit dem es beginnt, dass ein Geschlecht anerzogen wird (›gender‹). Einem Baby ist es nämlich verständlicherweise scheiß egal, welche Farbe das Kinderzimmer oder die Klamotten haben. Ich kann Euch aber sagen, dass viele Menschen sehr irritiert sind, über männliche Babys, die in rosa Strampler gesteckt werden. Und ich kann Euch sagen, dass wenn dieses Kind es mag im Kleid in die Schule zu gehen, es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gemobbt wird.« (Kritische Männlichkeit 2021)

Literatur:

Website Kritische Männlichkeit, Glossar, Geschlecht/Gender/Sex, 2021, https://kritische-maennlichkeit.de/glossar/geschlecht-gender-sex/ (zuletzt abgerufen am 18.10.2021).

geschlechtergerechte Sprache

»Mit der Verwendung von geschlechtergerechter Sprache soll erreicht werden, dass alle Personen gleichwertig angesprochen bzw. genannt werden. Sprache ist ein wesentliches Medium für die Vermittlung von Wissen und Werten. Studien zeigen, dass, wenn nur die männliche Form (generisches Maskulinum) benutzt wird, Menschen sich im Wesentlichen Männer vorstellen. Damit alle Personen angesprochen werden, kann von »Studierenden« statt »Studenten« gesprochen werden oder von Schüler*innen anstatt Schülern. Die sogenannte Beidnennung (Schülerinnen und Schüler) ist für eine geschlechtergerechte Sprache nicht ausreichend, da hierbei nur Männer und Frauen angesprochen werden.« (inter*-NRW o.J.)

Weitere Möglichkeiten einer vielfältigen geschlechtlichen Repräsentation nachzukommen ist die Verwendung des Unterstrichs oder des Doppelpunktes (analog zum Stern): Schüler_innen oder Künstler:innen. (siehe Gender_Gap)

Literatur:

Website von inter* NRW, Geschlechtergerechte Sprache, o.J., https://inter-nrw.de/ glossar/ (Zuletzt abgerufen: 04.08.2021).

Gesundheit und Fitness

beschreiben als ideal angenommene körperliche Zustände in unseren westlichen, kapitalistischen Leistungsgesellschaften.

»ArbeitnehmerInnen müssen beweglich, belastbar, permanent lernbereit und -willig sein. […] Zur Bedingung sozialer, und das heißt auf dem Arbeitsmarkt gewinnbringend einsetzbarer Wertschätzung gehören Jugendlichkeit, Schönheit, Fitness und Gesundheit (vgl. Degele/Sobiech 2007). […] Allen vier Kategorien ist gemeinsam, dass sie zur möglichst kostengünstigen Reproduktion der Arbeitskraft beitragen.« (Degeler/Winker 2007)

Zum Beispiel haben erkrankte Arbeitnehmer_innen Anspruch auf Lohnfortzahlung auch wenn sie nicht auf die Arbeit kommen können, weshalb die genannten Eigenschaften für Arbeitgeber attraktiv erscheinen und eine bessere Leistungsfähigkeit vermitteln. Mitunter wird zu diesem Zweck auch Politik gemacht, z.B. das Gesundheitssystem umgebaut. Der Körper wird dabei auch zum Gegenstand sozialer Kämpfe. Fitness bzw. Sportlichkeit »gilt als Indikator für Leistungsfähigkeit und Selbstdisziplin, ein sportlich aussehender Körper symbolisiert Macht und Kontrolle über sich und über die Welt.« (Muntschick 2016) Nicht fit zu sein bedeutet in der Logik der Leistungsgesellschaft ein selbstverschuldetes Fehlverhalten und schlechte Verhaltensweisen und wird als persönliches Versagen aufgefasst. (Deutschlandfunk Kultur 2019) Entlang dieser Normen treten diskriminierende Zustände auf.

Literatur:

Degele, Nina / Winker, Gabriele: Intersektionalität als Mehrebenenanalyse, 2007; online unter http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/degelewinker/ (zuletzt abgerufen am 17.05.2021).

Muntschick, Verena: »Der Health Look als Statussymbol«. In: Zukunftsinstitut 2, 2016; online unter https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/der-health-look-als-statussymbol/ (zuletzt abgerufen am 17.5.2021).

Deutschlandfunk Kultur 2019: Fitness und Politik. Schlanke Körper für schlanke Unternehmen. Jürgen Martschukat im Gespräch mit Thorsten Jantschek. Beitrag vom 26.10.2019; online unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/fitness-und-politik-schlanke-koerper-fuer-schlanke.990.de.html?dram:article_id=461878 (zuletzt abgerufen am 17.05.2021).

Gewaltverhältnisse 

»Der Begriff ›Gewaltverhältnisse‹ versteht unter Gewalt nicht nur individuelle, intendierte Akte der Verletzung, sondern macht auf soziale Verhältnisse und Beziehungen aufmerksam, auf Strukturen, in deren Kontext Gewalt ausgeübt wird und die selbst Verletzungsoffenheit herstellen«. (Sauer 2002)

Mit anderen Worten wird unter Gewaltverhältnissen eine Form der Gewalt verstanden, die Menschen nicht nur physisch verletzt und angreift, sondern durch die strukturellen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. Gewalt bedeutet in diesem Kontext, dass Verletzungen entstehen können, da Menschen durch ihr Geschlecht, ihre Herkunft, Religion, Aussehen etc. gesellschaftlich abgewertet werden. Das drückt sich nicht nur durch individuelle Beleidigungen aus, sondern in der Art und Weise, wie Gesetze, Regeln und Verbote aufgestellt sind, die bestimmte Menschengruppen nicht schützen und sogar in ihrer Freiheit einschränken, z.B. wenn Menschen verboten wird das Kopftuch zu tragen oder wenn Menschen dafür verurteilt werden nicht bestimmten Rollenbildern und Normen anzugehören. Damit geht einher eine bestimmte Norm also eine Herrschaft aufrechtzuerhalten, um sogenannte Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren (siehe Herrschaftsverhältnisse).

Literatur:

Sauer, Birgit: »Geschlechtsspezifische Gewaltmäßigkeit rechtsstaatlicher Arrangements und wohlfahrtsstaatlicher Institutionalisierungen: Sttatsbezogene Überlegungen einer geschlechtssensiblen politikwissenschaftlichen Perspektive«. In: Dackweiler, Regina-Marisa/Schäfer, Reinhild (Hg.): Gewalt-Verhältnisse: Feministische Perspektiven auf Geschlecht und Gewalt. Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2002, S. 81–106.

global

Das Adjektiv global kommt aus dem Lateinischen globus ›Kugel‹, oder auch Erdkugel und beschreibt Ereignisse, Phänomene, Theorien, die weitumfassend, weltweit, übergreifend sich auf der Welt/der Erdkugel stattfinden bzw. sich ereignen. (Duden 2020)

Literatur:

Website des Dudenverlages, global, 2020, https://www.duden.de/rechtschreibung/global (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

globaler Norden und globaler Süden

Begriffe wie globaler Süden bzw. globaler Norden wurden eingeführt um den diskriminierenden/überholten Begriff »Dritte Welt« abzulösen.

»Dieser ist ein Begriff für Länder und Regionen, die aus einer europäischen Sicht als ›unterentwickelt‹ gelten. Zur Zweiten Welt gehörten demnach sogenannte Schwellenländer, die Erste Welt sind hochentwickelte Industrieländer. Diese Hierarchie wird kritisiert, zudem wird damit eine Verantwortung von Ungleichheiten verschleiert. Geeigneter sind daher die Begriffe Globaler Süden und Globaler Norden. Sie sind nicht geografisch zu verstehen (auch Australien liegt im Süden), sondern beschreiben eine benachteiligte oder privilegierte Position in einer globalisierten Welt.« (Neue deutsche Medienmacher, o.J.)

Literatur:

Website von Neue deutsche Medienmacher, NdM-Glossar, Dritte Welt, o.J., https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/dritte-welt/ (zuletzt abgerufen am 28. 4.2021).

H

Habitus

»Mit dem Begriff des Habitus wird die grundlegende soziologische Fragestellung nach dem Zusammenhang von Individuum und Gesellschaft, von Person und Struktur bearbeitet. Der Habitus als ein vielschichtiges System von Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmustern, das die Ausführungen und Gestaltung individueller Handlungen und Verhalten mitbestimmt, hat einen gesellschaftlichen Ursprung. Er ist begründet in der sozialen Lage, dem kulturellen Milieu und der Biografie eines Individuums. Als eine Art sozialer Grammatik ist der Habitus in die Körper und Verhaltensweisen der Einzelnen eingeschrieben.« (Liebsch 2016, S. 85)

»Der Habitus bezeichnet zum einen die habitualisierten Gewohnheiten und Handlungen von Personen. Zum anderen wird mit Habitus auch ein sozialisatorisch erworbenes Schema zur Erzeugung immer neuer Handlungen bezeichnet, das Grenzen und Spielräume sozialer Ordnungen reproduziert und verändert. […] bezeichnet der Habitus immer beides: das bereits Strukturiert-Sein und die strukturierende Funktion der Handlungen von Individuen, die gesellschaftliche Prägung und die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten.« (Liebsch 2016, S. 88)

»Im Habitus werden – zumeist unbewusst – durch Sozialisation angeeignete Normen verkörpert [zum Bsp. wie sich Menschen kleiden, pflegen, wie sie sich begrüßen], die Kollektive wie Berufsgruppen, Generationen oder Klassen verbinden. Der Habitus prägt [mitunter] sehr subtil Gestik, Sprache oder Körperhaltung und ist nicht einfach umzuformen oder abzustreifen [Verkleiden ist zwecklos]. Pierre Bourdieu, in dessen Soziologie der Habitusbegriff als klassenspezifische Haltung wichtig ist, beschreibt ihn als ›Leib gewordene Geschichte‹. Bourdieu schreibt dazu: ›In diesem Sinne verstanden, d.h. als System der organischen und mentalen Dispositionen und der unbewussten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata bedingt der Habitus die Erzeugung all jener Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen, die der so wohlbegründeten Illusion als Schöpfung von unvorhersehbarer Neuartigkeit und spontaner Improvisation erscheinen, wenngleich sie beobachtbaren Regelmässigkeiten [sic!] entsprechen; er selbst nämlich wurde durch und innerhalb von Bedingungen erzeugt, die durch eben diese Regelmässigkeiten [sic!] bestimmt sind.‹« (Handout Carmen Mörsch)

Literatur:

Liebsch, Katharina: »Identität und Habitus«. In: Korte, Hermann/Schäfers, Bernhard (Hg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. 9. Aufl.,Wiesbaden: Springerverlag, 2016, S. 79-100.

Handout Carmen Mörsch, o.J,, zitiert Bourdieu, Pierre: »Strukturalismus und soziologische Wissenschaftstheorie«. In: Ders.: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1970, S. 40.

habituelle Normierung

Diese Formulierung meint in diesem Material, dass im Rahmen der Lehre zum Beispiel im Einzelunterricht oder Plenum den Studierenden auch ein bestimmter Habitus (unbewusst) vermittelt und von ihnen übernommen wird, der dem jeweiligen Feld eigen ist. Normierung bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie »genormt« werden bzw. »etwas einer Norm angleichen«, der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet »etwas korrekt einrichten«, Synonyme sind auch etwas eichen, etwas festsetzen. (vgl. Duden 2021) Hierbei besteht stets eine Wechselwirkung zwischen dem Individuum, dessen Habitus »[…] in der Sozialisation als kognitive Kompetenz oder ästhetischer Geschmack erworben [wird] […]« (Wrana et al. 2014, S. 173) und den Strukturen bzw. dem gesellschaftlichen Kontext:

»[…] [der] Habitus [ist] selbst strukturiert. Er ist ein Produkt spezifischer Existenzbedingungen und ist seinerseits bereits konditioniert und seiner sozialen Umgebung angepasst. So ist der Habitus nicht zu trennen von seinem sozialen Kontext, den Bourdieu ›Feld‹ nennt. Bourdieu begreift den Habitus auch als eine Fähigkeit zum Unterscheiden und Urteilen. Er ist verbunden mit einem Sinn für Unterschiede, für eine korrekte Beherrschung der Stilmittel und Darstellungsweisen, den Bourdieu ›praktischen Sinn‹ nennt.« (Liebsch 2016, S. 87)

Es kann zum Beispiel darum gehen, wie in einer Kunstakademie über Kunstwerke gesprochen wird, welche Wörter ich benutze, was ich dabei auslasse, wie ich sitze oder stehe während ich meine Arbeit präsentiere: Eine studierende Person, die keine Vorerfahrung mit an einer deutschen Kunsthochschule institutionalisierter Kunst hatte, hatte Probleme mit den intransparent erscheinenden Maßstäben für die Zuteilung von Anerkennung zu den studentischen Kunstwerken. Um sich dem normierten Habitus in unseren Klassen zu nähern, entwickelte die Person eine Strategie. Sie begann eine Liste zu führen, mit Begriffen, die die Dozent_innen jeweils anerkennend oder negativ benutzten, wenn sie ein Werk bewerteten. Z.B. schienen Begriffe wie illustrativ oder dekorativ in der freien Kunst negativ zu sein. Es musste erst erlernt werden, welche Werke so bezeichnet wurden, denn es schien nicht unbedingt objektive Kriterien dafür zu geben. Auch musste gelernt werden, wie ein Werk am besten zu präsentieren war, das formal ähnliche Züge mit vorher als »dekorativ« bezeichneten Arbeiten hatte, um nicht gleichermaßen bezeichnet zu werden. Die Person bezeichnete diese Vorgänge, warum manches als gut und manches nicht als gut gelten konnte als gewisse »Magie« und betonte aber wiederum, dass sie mittlerweile verstehe und anerkenne, warum und, dass die Bewertungen so ausfielen. Die habituellen Normen wurden also von der Person verinnerlicht.

Literatur:

Liebsch, Katharina: »Identität und Habitus«. In: Korte, Hermann/Schäfers, Bernhard (Hg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. 9. Aufl., Wiesbaden: Springerverlag, 2016, S. 79–100.

Website des Dudenverlags, Wörterbuch, normieren, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/normieren (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Wrana, Daniel/Ziem, Alexander/Reisigl, Martin/ Nonhoff, Martin/Angermuller, Johannes: DiskursNetz. Wörterbuch der interdisziplinären Diskursforschung. Berlin: Suhrkamp, 2014.

habituelle Reproduktion

Der Habitus befähigt Individuen, »[…] sich im sozialen Leben allgemein und in speziellen sozialen Feldern angemessen und auch findig bewegen zu können […]« (Fuchs-Heinritz/König 2014, S. 93) Reproduktion bedeutet etwas oder sich wieder herstellen (Duden 2021) und meint hier die Neuerstellung und Aufrechterhaltung des gruppenspezifischen Habitus. Er dient der Kommunikation, dem Zuordnen und der Wiedererkennung von Menschen, die zu einer Gruppe gehören. Darin eingelagert sind die Normen, die ein Kollektiv wie zum Beispiel eine Berufsgruppe wie zum Beispiel freie Künstler_innen oder Kunsthistoriker_innen verbinden. Der gruppenspezifische Habitus kann zur Aufrechterhaltung eines Feldes (siehe soziales Feld), wie zum Beispiel der Kunst, dienen:

»Akteure und Gruppen produzieren und reproduzieren die Felder. In der Reproduktion zeigen sich die Beziehungen zwischen den Positionen, die jemand einnimmt, und den Positionen [im sozialen Raum (siehe sozialer Raum)], die jemand bezieht. Ihre Formen hängen von den Beziehungen zwischen Habitus und Kapitalien (siehe Kapital) ab und werden als soziale Praxis verwirklicht. Da die Reproduktion eine nur wahrscheinliche Tendenz der gesellschaftlichen Entwicklung ist, ist es immer möglich, dass einzelne Akteure sich dieser Tendenz widersetzen. Dies kann zur Umstrukturierung der [sic!] Habitus, der Distribution von Kapitalien und der Felder [siehe soziales Feld] führen […]«. (Papilloud 2003, S. 55f.)

Literatur:

Fuchs-Heinritz, Werner/König, Alexandra: Pierre Bourdieu. Eine Einführung. 3. Aufl., Konstanz: UKV, 2014.

Papilloud, Christian: Bourdieu lesen. Einführung in eine Soziologie des Unterschieds. Bielefeld: Transcript, 2003.

Website des Dudenverlags, Wörterbuch, Reproduktion, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/Reproduktion (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

habituelle Passung

Im Habitus (s.o.) eines Menschen zeigt sich, von welchen materiellen, sozialen, kulturellen oder intellektuellen Umständen ein Mensch geprägt wurde. Gerade in Institutionen, wie zum Beispiel der Schule, zeigt sich aber, dass nicht alle Menschen gleich »passen«:  Die Institution Schule fordert ein bestimmtes Verhalten von allen Schüler_innen. Der Habitus von Menschen aus ökonomisch benachteiligten Schichten wird oft nicht akzeptiert und sie werden vom Bildungssystem aussortiert. Die habituelle Passung beschreibt somit die Übereinstimmung des sozial geprägten Habitus von Menschen mit den Anforderungen einer Institution oder bestimmten Feldern der Gesellschaft. Oftmals versuchen Menschen dann ihren Habitus zu verstecken, wenn sie fühlen, dass dieser in der konkreten Situation nicht akzeptiert wird. (vgl. Bourdieu/Passeron 1971)

Literatur:

Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude: Die Illusion der Chancengleichheit: Untersuchung zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs. Stuttgart: Klett, 1971 (Texte u. Dokumente zur Bildungsforschung).

Habituswechsel

»Seinen soziologischen Sinn erhält dieses Konzept [des Habitus] durch die Annahme, dass der Habitus eines Individuums hauptsächlich durch seine Stellung in der sozialen Struktur geprägt ist (die ihrerseits Resultat geschichtlicher Auseinandersetzungen ist). In welcher Familie mit welcher kulturellen und materiellen Ausstattung ein Mensch geboren wird und aufwächst, das begrenzt und ermöglicht seine Wahrnehmungs- und Handlungsweisen, das stattet ihn mit grundlegenden Ressourcen aus.« (Fuchs-Heinritz/König 2014, S. 94f.)

Bei Bourdieu wird zwar nicht ganz klar, in welchem Verhältnis Habitus und Feld (siehe soziales Feld) stehen und wie der Aufenthalt in verschiedenen Feldern mit einem spezifischen Habitus sich auf den ursprünglichen Habitus auswirkt. (vgl. ebenda, S. 124) Es ist jedoch möglich, durch das Ansammeln von Kapital, insbesondere sozialem und kulturellem Kapital, die eigene Position im sozialen Raum (siehe sozialer Raum) beziehungsweise im Feld zu verändern. (vgl. ebenda, S. 114f.) So lerne ich durch die Ausbildung in einem Theater möglicherweise wohlhabendere Menschen kennen, die mir ein Vorstellungsgespräch für einen guten Job vermitteln können, zu dem ich sonst keinen Zugang gehabt hätte. Und so habe ich sehr viel Zeit im Theater verbracht und gelernt, wie man dort geht, steht, spricht, lacht, fragt, denkt. Durch das Übernehmen bzw. »Einverleiben« eines gruppenspezifischen Habitus durch z.B. den Wechsel des sozialen Umfeldes und u.a. durch die pädagogische Vermittlung von z.B. vermeintlich kleinen Höflichkeitsgesten erscheint es möglich, dass sich der Habitus zumindest teilweise verändert. (vgl. ebenda, S. 106) Das heißt, ich verstehe wie die Leute, die sich dort üblicherweise aufhalten, denken und was sie interessiert, kann mitmachen und bin deshalb anschlussfähig und weiß, was gut ankommt oder was eher ein unausgesprochenes »Das-macht-man-nicht« ist. Dies verändert, wenn ich dort viel Zeit verbringe, auch meine Wahrnehmung der Welt und meine Haltung zu bestimmten Fragen, möglicherweise verändert sich mein Geschmack und ich verändere meinen Stil. Genau dieser Prozess der Veränderung der Wahrnehmungs-/ Deutungs- und Handlungsmuster dürfte langsam meinen Habitus verändern und somit auch meine Position im sozialen Raum. Dieser Prozess muss nicht ohne weiteres ablaufen:

»Trotz solcher Modifikationen im Lebenslauf ist der Habitus insgesamt ziemlich stabil; deshalb reagiert er auch sehr inflexibel auf neue Situationen, die er handlungspraktisch zu bearbeiten nicht (ausreichend) in der Lage ist.« (ebenda, S. 95)

Damit verbundene Schwierigkeiten können sein, ein Stück weit meinen vorherigen Habitus zu verändern und damit eine geringere Anschlussfähigkeit an mein vorheriges Umfeld zu riskieren, sofern ich mich der Anpassung an das neue Feld nicht völlig verweigere. Schmerzlich damit verbunden kann das Wissen um den Kampf verschiedener gesellschaftlicher Gruppen untereinander sein und die eigene feine Abgrenzung zwischen den beiden Welten zu erkennen. Denn auch mein ursprünglicher Habitus lässt sich beim Eintritt in einen neuen Raum nicht willkürlich und willentlich und nur langsam – wenn überhaupt – verändern. Ich bleibe also zumindest ein Stück weit als Außenseiter_in erkennbar oder erlebe Unterschiede bewusster.

Literatur:

Fuchs-Heinritz, Werner/König, Alexandra: Pierre Bourdieu. Eine Einführung. 3. Aufl., Konstanz: UKV, 2014.

Haltung

Der Begriff der Haltung begegnet pädagogisch Tätigen mitunter in fachwissenschaftlichen/-didaktischen Publikationen. Vermittelt wird: Um gute Lehrer_innen etc. sein zu können, bedarf es einer bestimmten Haltung. Unscharf bleibt allerdings, was unter diesem Begriff genau zu verstehen ist und wie diese Haltung zu erreichen sei. Für die Kunstpädagogik formulieren Wetzel und Lenk, dass eine Haltung »ein Konglomerat aus Fachwissen, künstlerischen Erfahrungen, pädagogischen Vorstellungen, ethischen Überzeugungen, aus Zugewandtheit und einer Leidenschaft für die Sache – in letztlich persönlich gefärbter Mischung« sei. (Wetzel/Lenk 2013, S. 5) Sie verweisen dabei aber auch darauf, dass die bloße Frage nach der Haltung im Kunstunterricht als ein mögliches Qualitätskriterium derzeit schon einer Provokation gleiche. Denn: Der dominante Fachdiskurs für den schulischen Kunstunterricht ist geprägt von Diskussionen um Kompetenzen, Lernprozesse, Lernselbstmanagement, Qualitätssicherung, Professionalisierung etc. Alles Begriffe, die eine Nähe zur Wirtschaftslehre und der »pädagogischen Psychologie« anklingen lassen und von einer »funktionalen Bildungsvorstellung« zeugen. Lehrpersonen werden in diesen Bildungskonzepten als (passive) Lernprozessbegleiter_innen entworfen – die eigene Haltung spielt dabei keine Rolle. Nach Wetzel und Lenk sollten Kunstlehrer_innen mit Haltung »Persönlichkeiten sein, die aus der eigenen Erfahrung um die Eigenwilligkeit künstlerischer Prozesse heraus die Studierenden bzw. Schüler[_innen] in ihren Interessen und Bemühungen wahrnehmen, sie darin unterstützen und an den jeweiligen Prozessen der Formung ›mitkneten‹«. (vgl. ebenda, S. 8) Diese Begriffsbestimmung muss für eine diskriminierungskritische Lehre eine Ergänzung erfahren. Das von Wetzel/Lenk betonte Wahrnehmen (der Interessen und Bemühungen von Schüler_innen durch die Lehrkraft) spielt in der diskriminierungskritischen Bildungsarbeit eine grundlegende Rolle für die eigene Haltung. Kindler und Piesche schreiben dazu: »Wahrnehmung verstehen wir als zentralen Teil einer diskriminierungskritischen Bildungsarbeit. Sie ist die Voraussetzung für eine klare Haltung. Erst aus der Haltung kann ein diskriminierungskritisches Bildungshandeln hervorgehen«. (Kindler/Piesche 2020: 3) Weiter führen Sie aus, dass nach der Haltung, die letztlich das Handeln ausmache, oftmals nicht gefragt werde, auch weil Wahrnehmung sich auf einen Bereich beziehe, der als nicht formal-objektiv bewertet werde. (vgl. ebenda) Um nun eine explizit diskriminierungskritische Haltung (und Handlung) zu erzielen, schlagen Piesche und Kindler vor diese kritisch zu befragen, was wiederum nötig macht, die eigene Wahrnehmung zu schärfen. 

Das vorliegende Lehr-Lernmaterial ermöglicht die eigene Wahrnehmung über eine diskriminierungskritische Perspektivierung zu schulen und eine diskriminierungskritische Haltung an der Schnittstelle Kunst und Bildung einzuüben.

Literatur:

Kinder, Katja/Piesche, Peggy: WAHRNEHMUNG – HALTUNG – HANDLUNGDiskriminierungskritische Bildungsarbeit: Eine prozessorientierte Intervention. Hg. v. Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) e.V., Berlin, 2020.

Wetzel, Tanja /Lenk, Sabine (Hg.): Mit Ecken und Kanten. Kunstunterricht als eine Frage der Haltung. München, Kopaed, 2013.

Handlungsmacht

»Der Begriff Handlungsmacht oder auch Handlungsfähigkeit (engl.: agency) wurde durch Diskussionen in der Soziologie und Philosophie [umrissen], die ihn je nach Perspektive auf unterschiedliche Art für die Kunstvermittlung relevant werden lassen. Zum einen kann H., insofern sie [sich] auf strategisch-produktive Machtbegriffe [bezieht], als Grundlegung für das Denken von Interaktion in Organisationen, Gruppen und Institutionen dienen, die mit Fokus auf die Handlungsspielräume der Akteur/-innen gedacht wird. Zum anderen stellt Handlungsmacht einen Marker oder ein Maß dafür dar, inwiefern und wem es möglich ist, sich überhaupt in einer Situation oder an einer Gemeinschaft zu beteiligen. […] Der Handlungsmacht einen produktiven Machtbegriff zugrunde zu legen, ermöglicht es, das Handeln in Vermittlungssituationen als eine andauernde Aushandlung der Verhältnisse durch die Beteiligten untereinander zu betrachten. Gerade im Feld der Gegenwartskunst mit ihren mehr oder weniger hierarchisch organisierten Sprechpositionen ist es geboten, geschickt mit dem Verhältnis von Macht und Wissen umzugehen, um Sprech- und Handlungsmacht für die Kunstvermittlung und für die an ihr beteiligten »Dritten« zu erlangen.« (Settele 2012)

Literatur:

Settele, Bernadett: Handlungsmacht. Begriffe für die Kunstvermittlung, ein Glossar. 2012; online unter http://www.master-kunst-luzern.ch/2014/03/handlungs-macht-2012-von-bernadett-settele/ (zuletzt abgerufen am 18.10.2021).

Hegemonie, Hegemonialisierung

hegemoniale Adressierung/Zuschreibungen (siehe Anrufungen)

»Hegemonie kann die Vorherrschaft bestimmter Personengruppen und Denkmuster gegenüber anderen beschreiben. Dabei zeichnet sich diese Herrschaft nicht hauptsächlich durch Zwang und Gewalt aus, sondern durch ein pädagogisches Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten. Die herrschenden Personengruppen/Vorstellungen sind gesellschaftlich so dominant und beeinflussend, dass die Regierten trotz ihrer eigenen Vorstellungen im Einklang mit den vorherrschenden Gruppen/Vorstellungen stehen und nicht dagegen vorgehen.« (quixkollektiv o.J.)

»Nach Antonio Gramsci ist Hegemonie ein Konzept, in dem eine Klasse oder Gruppe über andere regiert, in dem sie in der Lage ist, ihre eigenen Interessen so zu formulieren, dass sie als die allgemein, gesellschaftlichen Interessen erscheinen und als Konsens darzustellen. Somit entsteht eine Hegemonie oft ohne Anwendung von direkter Gewalt, sondern durch einen erfolgreich durchgesetzten Autoritätsanspruch (natürlich wird dennoch Gewalt angewendet, um diesen zu realisieren und stabilisieren).« (dissens o.J.)

Der Begriff Hegemonialisierung bzw. hegemonialisieren wiederum betont in diesem Zusammenhang den Herstellungscharakter von Hegemonie – auf sprachlicher Ebene wird dies jeweils durch das Suffix -isierung bzw. isieren (eine Silbe, die man an einen Wortstamm anhängt) verdeutlicht. Die Diskurse, die bspw. über bestimmte zu vermittelnde Inhalte im Kunstunterricht der Schule geführt werden, unterliegen einer Prozesshaftigkeit. Um sie wird in einem »ideologischen Kampf« durch »gegnerische Positionen« gerungen, wobei sich letztlich die herrschende Gruppe (die Regierenden) aufgrund ihrer Dominanz gegenüber den Regierten durchsetzt. (vgl. Wrana et al. 2014: 176) Die Betonung der Diskursivität von Hegemonie geht zurück auf Laclau und Mouffe, die in ihrer postmarxistischen Theoriebildung »Hegemonie als politische Artikulationspraxis« beschreiben. (vgl. ebenda et al. 2014: 177) Der dominante, hegemoniale Diskurs über spezifische Inhalte in Schulcurricula ist damit keine vermeintlich neutrale Vorstellung, sondern »wesentlich politisch«. (vgl. ebenda 2014: 177)

Literatur:

Wrana, Daniel/ Ziem, Alexander/ Reisigl, Martin/ Nonhoff, Martin/ Angermuller, Johannes: DiskursNetz. Wörterbuch der interdisziplinären Diskursforschung. Berlin: Suhrkamp Verlag. 2014.

Website von quixkollektiv, Glossar, Hegemonie, o.J., https://www.quixkollektiv.org/glossar/allgemeines-glossar/ (zuletzt abgerufen am 13.05.2021).

Website von dissens, Institut für Bildung und Forschung, Glossar, Intersektionale Gewaltprävention, o.J., https://isgp.dissens.de/glossar (zuletzt abgerufen am 1.12.2021).

Herkunft, soziale

»Soziale Herkunft als Diversity-Merkmal bezeichnet das sozialkulturelle Erbe, die milieu- bzw. schichtspezifische Verortung eines Menschen durch die Betrachtung der Lebenssituation der Eltern. […]« ( Gender & Diversity Portal o.J.)

»[…] im Anschluss an Pierre Bordieu die Ressourcen und Wertesysteme, in die ein Mensch hineingeboren wird und in denen die Sozialisation stattfindet. […]« (Europa Universität Viadrina o.J.)

Literatur:

Website von Gender & Diversity Portal, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Glossar, Soziale Herkunft, o.J., https://www.diversity.uni-freiburg.de/Lehre/Glossar (zuletzt abgerufen am 2.12.2021).

Website von Europa Universität Viadrina, Glossar, Soziale Herkunft, o.J., https://www.europa-uni.de/de/struktur/unileitung/stabsstellen/dm/glossar/index.html (zuletzt abgerufen am 2.12. 2021).

Herrschaftskritik

siehe Machtkritik 

Herrschaftsverhältnisse 

Der Begriff Herrschaftsverhältnisse beschreibt die Verteilung von Macht innerhalb der Gesellschaft. Wenn der Streit um begrenzte Güter, Normen oder Rechte nicht in einer Einigung endet, setzen sich dominante Gruppen in der Gesellschaft durch und herrschen über den Rest der Gesellschaft. Es herrscht also diejenige Gruppe, die aufgrund besseren Umständen in der Lage ist, diese Verhältnisse in der Gesellschaft zu bestimmen.

Herrschaftsverhältnisse werden auf politischer Ebene oft durch wirtschaftliche Macht möglich und aufrechterhalten. Sie müssen sich dabei jedoch oft legitimieren, um stabil zu bleiben. Zu diesem Zwecke existieren Ideologien, die gesellschaftliche Ungleichheiten oder soziale Normen als unveränderliche Tatsachen darstellen. Gewaltverhältnisse (siehe Gewaltverhältnisse) sind dabei gewaltvolle Bedingungen denen sich Menschen gesellschaftlich fügen sollen. Sie stabilisieren die Herrschaftverhältnisse und machen sie überhaupt möglich, da nur durch Gewalteinwirkung (z.B. in Form von Gesetzen, weniger Rechte für Minderheiten etc.) eine Herrschaft aufrechterhalten werden kann. (Scherr 2016)

Literatur:

Scherr, Albert: »Macht, Herrschaft, Gewalt«. In: Scherr, Albert (Hg.): Soziologische Basics: Eine Einführung für pädagogische und soziale Berufe. 2. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2016, S. 165–171.

Herrschaftswissen

Unter Herrschaftswissen wird das dominante Wissen einer herrschenden Gruppe verstanden, d.h. das Wissen, das durchgesetzt wird, ist je nach Kontext beeinflusst, durch einen westlichen, weißen, männlichen und heteronormativen Blick. Dabei wird auf die nicht-herrschende Gruppe (zumeist Gruppen, die strukturelle Diskriminierung erfahren) Kontrolle ausgeübt, in dem reguliert wird, welches Wissen als gültig und weiter vermittelbar gilt. Es wird versucht, eine bestimmte politische Ordnung zu verbreiten und zu stabilisieren. Die herrschende Gruppe kann somit weiterhin von den wirtschaftlichen und politischen Erzeugnissen, die auf Ungleichheits- und Ausbeutungssystemen beruht, profitieren. Zum Beispiel ist es aus Herrschaftsperspektive vorteilhaft, dass in Schulen und Universitäten Rassismus kaum oder nur am Rande thematisiert wird. Perspektiven von Minderheiten werden nicht aufgegriffen und auch die historische Betrachtung der Welt beruht auf dem Wissen der herrschenden Gruppe. Würden mehr Menschen, die Unterdrückungsmechanismen verstehen und von den kolonialen Verbrechen erfahren, könnte es zu politischen Widerständen kommen. Das System würde verändern, was aus der herrschenden Perspektive nicht gewollt ist, da sie mit den Umständen zufrieden sind. Für die diskriminierungskritische Arbeit muss ich also verstehen, wie Herrschaftswissen hergestellt wird und was genau Herrschaftswissen meint. »Nur wer um die dominanten Darstellungsweisen weiß, ist auch in der Lage, sie zu erkennen, zu kritisieren und zu verändern.« (Mörsch 2022)

Literatur:

Mörsch, Carmen: »Üben – Kanon – Hegemonie«. Kartenset. In: Bildungsmaterialien für diskriminierungskritische Perspektiven an der Schnittstelle Bildung/ Kunst, 2022.

Herstellung, soziale

Sozial hergestellt oder auch sozial konstruiert, sind kulturelle Phänomene, die nicht, wie häufig argumentiert, auf biologischen Tatsachen beruhen, sondern durch gesellschaftliche Prozesse und politische Diskurse erst zur sozialen Realität werden. Das heißt, mit der Benennung von Kategorien wie beispielsweise Frau, Mann, be_hindert, etc. werden soziale Phänomene nicht nur beschrieben und festgelegt, sondern auch gelebt. Sie sind wie Schablonen, anhand derer sich Menschen orientieren und woran sie ihre Welt betrachten, woran Gesetze, Regeln und Normen, festgemacht werden. Das bedeutet auch, dass sich die sozialen Phänomene im Laufe der Menschheitsgeschichte verändern lassen und nicht festgeschrieben sind, wie es bei biologistischen Annahmen der Fall ist. Sätze wie »Typisch …« gehen davon aus, dass kulturelle Phänomene »natürlich« verankert sind. Der sozial hergestellte Charakter, d.h. die politischen und gesellschaftlichen Umstände werden in ihrer Gesamtwirkung nicht mitgedacht, sodass politisches und kollektives Handeln als nicht nötig befunden werden. Für eine diskriminierungskritische Perspektive ist der sozial hergestellte Charakter von sozialen Kategorien und Begriffen daher voraussetzend, da mit traditionellen Bildern gebrochen wird und die Mechanismen von struktureller Diskriminierung beschrieben und unterbrochen werden können.

Heteronormativität

»Heteronormativität beschreibt eine Weltanschauung und ein gesellschaftliches Wertesystem, das nur zwei Geschlechter (männlich und weiblich) und heterosexuelle Beziehungen (ein Mann und eine Frau) zwischen diesen Geschlechtern anerkennt und als normal ansieht. In einer heteronormativen Gesellschaft werden an alle Menschen soziale Erwartungen gerichtet, wie sie als Männer und Frauen miteinander leben sollen. Menschen werden entweder als Mann oder Frau geboren (und dementsprechend erzogen) und gehen nur mit dem jeweils anderen Geschlecht sexuelle Beziehungen ein. Menschen, die nicht in diese zweigeschlechtliche Ordnung passen, weil sie sich beispielsweise als non-binary, trans* oder inter* identifizieren oder keine heterosexuellen Beziehungen haben, werden als ›anders‹ und ›nicht normal‹ wahrgenommen und beschrieben (Othering). Sie outen sich, wenn sie diesen sozialen Erwartungen nicht entsprechen. Wenn Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität normal sind, dann reagieren Gesellschaften auf Abweichungen mit verschiedenen Formen von Diskriminierung und gesetzlichen Strafen. Außerdem richten sich dann fast alle gesellschaftlichen und kulturellen Angebote an die heteronormative Norm: Romane werden zum Beispiel in der Bücherei mit dem Label ›Besonderes Schicksal‹ versehen, wenn sie eine homosexuelle Liebesgeschichte erzählen, oder Kritiker*innen beschreiben einen komplexen Film mit vielen Themen und einem homosexuellen Liebespaar als queeren Film, worauf er nur noch von einem Nischenpublikum gesehen wird.« (Diversity Arts Culture o.J.)

 

Literatur:

Website von Diversity Arts Culture, Wörterbuch, Heteronormativität, o.J., https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/heteronormativitaet (zuletzt abgerufen am 18.10.2021).

heterosexuell

»Hetero-Romantik/heterosexuell/heteroromantisch [ist die] sexuelle bzw. romantische Orientierung, die sich im Rahmen der Zweigeschlechtlichkeit auf Personen des anderen Geschlechts richtet: Männer/Jungen, die sich sexuell/romantisch (nur) zu Frauen/Mädchen hingezogen fühlen. Frauen/Mädchen, die sich sexuell/romantisch (nur) zu Männern/Jungen hingezogen fühlen. Heterosexualität ist historisch ein Gegenbegriff zu Homosexualität.« (Debus/Laumann 2020)

Literatur:
Debus, Katharina/Laumann, Vivian: Glossar zu Begriffen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Heterosexualität. Berlin: Dissens, 2020; online unter https://interventionen.dissens.de/materialien/glossar (zuletzt abgerufen am 2.12.2021).

Heterosexismus

Heteroseximus beschreibt die

»Gewalt, Abwertung und Diskriminierung gegenüber Menschen mit Verhaltensweisen, Geschmäckern und Eigenschaften, die als nicht heterosexuell gelten. Abwertung/Erschwerung von Kontakten auf Augenhöhe zwischen heterosexuellen und nicht heterosexuellen Menschen (z.B. wenn gleichgeschlechtlichen Freund*innenschaften zwischen Menschen verschiedener sexueller Orientierungen mit Misstrauen begegnet wird).« (Debus/Laumann 2020)

Literatur:

Debus, Katharina/Laumann, Vivian: Glossar zu Begriffen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Heterosexismus. Berlin: Dissens, 2020; online unter https://interventionen.dissens.de/materialien/glossar (zuletzt abgerufen am 2.12.2021).

historisch

Das Adjektiv historisch bezeichnet »etwas, das für die Geschichte, die Geschichtsschreibung bedeutsam ist, entweder, weil es so noch nie dagewesen ist, oder aber, weil es sich für den weiteren Verlauf der Geschichte als wesentlich erweisen könnte. […] Das Adjektiv historisch wurde im frühen 16. Jahrhundert aus dem lateinischen historicus ›geschichtlich‹ entlehnt, das seinerseits auf das Griechische zurückgeht. […] Eine Eigenschaft des Adjektivs historisch in der erweiterten Bedeutung ist jedoch die, dem beschriebenen Ereignis einen herausragenden Charakter zu verleihen […] Ein historisches Ereignis muss nicht in der fernen Vergangenheit stattgefunden haben, es kann sogar in der Zukunft liegen.« (Rüdebusch 2017)

Literatur:

Rüdebusch, Frauke: Historisch, 2017; online unter https://gfds.de/historisch/ (zuletzt abgerufen am 21.08.2021).

historisch gewachsen/historische Kontinuität

»Wir gehen davon aus, dass gesellschaftliche Strukturen aus den Handlungen der vergangenen Generationen resultieren. Die Strukturen prägen das gegenwärtige Handeln, geben ihm seine Spielräume, Grenzen, Ausrichtungen, Motivationen, etc. Das gegenwärtige Handeln schafft wiederum Strukturen. Auch Rassismen sind strukturell verankert und werden in Handlungen reproduziert, womit sie in Strukturen für das kommende Handeln münden. Rassismen sind historisch flexibel, sie verändern sich und passen sich ihren sozialen Kontexten an. Es gibt dementsprechend keine überhistorische Definition von Rassismen. Rassismen sind immer im gesellschaftlichen Kontext zu betrachten. […]« (Thematisches Netzwerk Antirassismus o.J.)

Literatur:

Website von Thematisches Netzwerk Antirassismus, Glossar, historisch gewachsen, o.J., http://www.no-racism.net/antirassismus/glossar/rassismus.htm#histo (zuletzt abgerufen am 02.12.2020).

historische Gerechtigkeit

»Der Begriff ›historische Gerechtigkeit‹ bezieht sich auf Rechte und Pflichten, die sich aus historischem Unrecht und seinen Folgen ergeben [zum Beispiel Genozid, Sklaverei, Verfolgung, Kolonialismus, etc.]. Historische Gerechtigkeit wird geübt, wenn den entsprechenden Rechten und Pflichten Genüge geleistet wird. Beispiele solcher Leistungen sind die Rückgabe geraubten Eigentums, die Behebung von angerichteten Schäden an Land, Gebäuden und Gegenständen, die Entschädigung von Personen für die Folgen von Freiheitsberaubungen, Körperverletzungen oder sozialem Ausschluss.« (Schefczyk 2016)

Der Begriff meint auch die wissenschaftliche und politische Bewegung, die sich für die Aufdeckung von historischem Unrecht und für die Verantwortungsübernahme durch nachfolgende Generationen einsetzt.

Literatur:

Schefczyk, Michael: »Historische Gerechtigkeit«. In: Goppel Anna/Mieth Corinna/ Neuhäuser Christian (Hg.): Handbuch Gerechtigkeit. Stuttgart: J.B. Metzler, 2016. Website von SpringerLink, Zusammenfassung, 2020; online unter https://doi.org/10.1007/978-3-476-05345-9_23 (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

Homofeindlichkeit

»Homo- und Bifeindlichkeit meint die Ablehnung, Aggressionen oder Feindseligkeit gegen homo- und bisexuelle Menschen oder Menschen, die als solches wahrgenommen werden. Oft ist auch von Homophobie die Rede. Phobien sind allerdings eigentlich Ängste im Sinne einer psychischen Beeinträchtigung. Diskriminierung hat damit jedoch nichts zu tun.« (GLADT e.V., o.J., S. 16)

Literatur:

GLADT e.V.: Solidarität macht stark. Ein Wegweiser für Jugendliche im Umgang mit Diskriminierung, Berlin, o.J.; online unter https://gladt.de/wp-content/uploads/2019/10/2019-Solidarität-macht-Stark.pdf (zuletzt abgerufen am 25.05.2021).

humanistisch, Humanismus

Der Humanismus ist eine Denkströmung, deren Beginn oft in der Renaissance im 15.–16. Jahrhundert verortet wird. Im Zentrum allen humanistischen Denkens steht immer der Mensch als Individuum sowie dessen Freiheit, Würde und Autonomie. Dies geschah in Abgrenzung zum religiösen Denken, das Gott ins Zentrum der Welt stellte. Oftmals wird der Humanismus damit als Teil der Aufklärung gesehen und vertritt ebenso deren Fortschrittsdenken, Universalismus und Prinzip der Vernunft. Humanistisches Denken prägte ebenfalls die Bildung und Erziehung des Individuums, die als Mittel zur Besserung des Menschen angesehen werden. (Enzyklopedia Britannica o.J.)

Der Humanismus wurde dabei hauptsächlich von weißen, bürgerlichen Cis-Männern propagiert, die implizit das Idealbild des humanistischen Individuums darstellen. Andere Menschengruppen wie z.B. Schwarze Menschen, Frauen und/oder Arbeiter_innen wurden hingegen versklavt, ausgebeutet oder anderweitig diskriminiert, besonders in den Kolonien der dominanten europäischen Mächte. Die Entfaltung des individuellen Potentials blieb historisch einer exklusiven Gruppe vorbehalten, die auf Kosten der Mehrheit die Ideale des Humanismus auslebten. Hier sind Parallelen zum Liberalismus (siehe liberal) erkennbar. In der Moderne wurde eine antihumanistische Bewegung stark, die die Essenzialisierung des Menschen, also Festlegung auf einen bestimmten Wesenskern nach einem humanistischen Ideal, kritisierte.

Literatur:

Website von Encyclopedia Britannica, humanism, o.J., https://www.britannica.com/topic/humanism (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

I

Identitätspolitik

»Das Konzept der Identitätspolitik bildet die Grundlage für den Fokus auf unsere eigene Unterdrückung. Wir glauben, dass eine tiefgehende und möglicherweise die radikalste politische Haltung direkt aus unserer eigenen Identität heraus entsteht und nicht aus dem Kampf gegen die Unterdrückung anderer Menschen« (The Combahee River Collective 1977, S. 51)

Das »Combahee River Collective« war ein Zusammenschluss Schwarzer lesbischer Aktivist_innen, die in den 1970er Jahren den Begriff »Identitätspolitik« prominent in Ihrem publizierten Manifest »Ein Schwarzes feministisches Statement« eingeführt haben. Dabei handelt es sich bei Identitätspolitik um einen »Sammelbegriff für Handlungen, die darauf abzielen, das Selbstverständnis als politisches Kollektiv innerhalb einer bestimmten Gruppe zu etablieren. Kritiker*innen von identitätspolitischen Ansätzen sehen darin die Gefahr einer ›Abgrenzung der Gruppe nach außen und einem Vereinheitlichungszwang nach innen‹. Für marginalisierte Gruppen bieten sie allerdings die Möglichkeit, ihren Anspruch auf gesellschaftspolitische Teilhabe sichtbarer zu machen und Ungleichheitsstrukturen als solche zu benennen.« (Rise o.J.)

Gegenwärtig, so ist zu beobachten, wird der Begriff Identitätspolitik in den öffentlichen Diskursen mitunter deutlich verkürzt dargestellt, polarisierend diskutiert und zum Teil von anti-emanzipatorischen/ -freiheitlichen Bewegungen zu vereinnahmen versucht wird. 

»Soziale Fragen« werden gegen Fragen der Repräsentation und Teilhabe von Menschen mit Rassismuserfahrung etc. ausgespielt. Ignoriert wird dabei beispielsweise, dass in einer weißen Mehrheitsgesellschaft vor allem die Menschen schlecht bezahlte Arbeiten ausführen und damit eine unzureichende finanzielle Absicherung erzielen, die auch von Rassismus, Klassismus, Sexismus etc. betroffen sind. Diese verkürzten Diskurse stehen auch in deutlichem Kontrast zu der vom Combahee River Collective eingenommenen politischen Haltung und getätigten Praxis, denn sie sprechen sich schon 1977 gegen »jede Form« von Determinismus und gleichzeitig für eine radikal intersektionale Perspektive aus. (vgl. The Combahee River Collective 1977, S. 52–54)

Literatur:

The Combahee River Collective: »Ein Schwarzes feministisches Statement« (1977). In: Kelly, Natasha A.: Schwarzer Feminismus. Grundlagentexte. Übers. von Melody Makeda Ledwon, Münster: Unrast, 2019, S. 52–54.

Website von Rise, Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus, Glossar, Identitätspolitik, o.J.,  https://rise-jugendkultur.de/glossar/identitaetspolitik/, (zuletzt abgerufen am 08.06.2021).

ignorant, Ignoranz 

Ignorant sein oder auch Ignoranz bedeutet in Bezug auf jemanden/etwas kenntnislos sein oder tadelnswerte Unwissenheit (vgl. Duden 2020). In der Diskriminierungskritik wird von Ignoranz gesprochen, wenn die Lebensrealität und Perspektiven von Menschen, die Diskriminierung erfahren, ignoriert, relativiert, nicht anerkannt oder abgestritten werden. Diskriminierungserfahrungen werden dabei als Einzelfall, Meinung oder individuelles Problem abgetan und nicht als strukturelles Problem ernst- und wahrgenommen. Das Nicht-Wissen-Wollen über strukturelle Diskriminierung oder Nicht-Wahrhabenwollen von sozialer Ungleichheit legitimiert den Status Quo und akzeptiert strukturelle Diskriminierung auf Kosten der Menschen, die darunter leiden.

Website des Dudenverlags, Ignoranz, 2020, https://www.duden.de/rechtschreibung/Ignoranz, (zuletzt abgerufen am 15.06.2021).

Institutionalisierung 

Institutionalisierung beschreibt den Prozess, in dem Wissen, Werte und Praktiken in eine gesellschaftlich allgemein anerkannte Form gebracht werden. So stellen zum Beispiel Kirche oder Ehe klassische Institutionen dar, die ein bestimmtes Wissen über Religion oder das Geschlechterverhältnis schaffen und verbreiten. Sie sollen damit eine soziale Ordnung und Orientierung schaffen, aber auch Regelungen für das Fortbestehen der Gesellschaft schaffen.

Oftmals beziehen sich diese Institutionen auf Traditionen und leiten daraus ihre Allgemeingültigkeit ab. Deshalb sind sie gerade dann Kritik ausgesetzt, wenn sich gesellschaftliche Verhältnisse wandeln. Die Institutionen verschwinden dann oder werden reformiert. Manchmal entstehen auch neue Institutionen, in denen neues Wissen, Werte und Praktiken festgehalten werden. Die Institutionalisierung kann neue Chancen für eine nachhaltige Veränderung der Gesellschaft bedeuten. (Abels 2009)

Literatur:

Abels, Heinz: Einführung in die Soziologie. Band 1: Der Blick in die Gesellschaft. 4. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009, S. 119–150 (Studientexte zur Soziologie).

Inter* 

»Inter*, intergeschlechtlich, intersexuell: Menschen, deren chromosomales/genetisches und/oder hormonelles und/oder gonadales und/oder genitales Geschlecht nicht eindeutig dem entspricht, was in Gesellschaft und Wissenschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt als körperlich weiblich bzw. männlich gilt, sondern die sowohl körperlich als männlich als auch als weiblich kontruierte Merkmale vereinen. Inter* können alle oben genannten Geschlechtsidentitäten haben und/oder sich zusätzlich oder ausschließlich als Inter* (oder andere inter*-spezifische Identitäten) identifizieren.« (Debus/Laumann 2020)

»Intergeschlechtlichkeit ist [somit] keine sexuelle Orientierung, sondern beschreibt eine körperliche Gegebenheit. Leider gehen Ärzt_innen häufig immer noch davon aus, dass zur gesunden Entwicklung eine eindeutige Geschlechtsidentität (entweder Frau ODER Mann) gehört und diese durch eindeutig männliche oder weibliche Geschlechtsmerkmale unterstützt wird. Deswegen war es bis heute verbreitet, Inter*Kinder nach der Geburt zu operieren, um ihr Geschlecht eindeutig zu machen. Für diese Operation besteht meistens keine gesundheitliche Notwendigkeit. Inter*Menschen haben oft lebenslang mit den Folgen der Operationen zu kämpfen und müssen sich weiteren Operationen unterziehen. Hinzu kann kommen, dass sich Menschen nicht mit dem Geschlecht identifizieren, was ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Seit dem 1.11.2013 ist die eindeutige Geschlechtszuordnung nicht mehr zwingend und das Datenfeld auf der Geburtsurkunde, in dem das Geschlecht anzugeben ist, kann leer bleiben. Dies ist eine rechtliche Anerkennung der Tatsache, dass Menschen nicht nur männlich oder weiblich sein können. Intergeschlechtliche Menschen können zukünftig als Erwachsene selber entscheiden, ob und welchem Geschlecht sie sich zuordnen wollen.« (iPÄD o.J.)

Literatur:

Debus, Katharina/Laumann, Vivien: Glossar zu Begriffen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Inter*, 2020, https://interventionen.dissens. de/materialien/glossar/page (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

Website von iPÄD – Intiative intersektionale Pädagogik, Glossar, Inter*, o.J., http://www.i-paed-berlin.de/de/Glossar/#inter (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

intersektional, Intersektionalität (intersektionale Achsen, Achsen der Ungleichheit)

»Intersektionalität hebt hervor, dass soziale Kategorien [siehe Kategorien] wie Geschlecht, Sexualität, Race/Ethnizität [wir sprechen von Rassifizierung], soziale Klasse und Behinderung selten eindimensional auftreten, sondern sich überkreuzen und wechselseitig aufeinander aufbauen. […] [D]iese Ungleichheitskategorien [können] weder isoliert betrachtet noch einfach angehäuft werden. Vielmehr ist eine Analyse ihrer Gleichzeitigkeiten, Verbindungen und Widersprüche notwendig (vgl. Degele/Winker 2011). ›Verwobenheiten‹ oder ›Überkreuzungen‹ (intersections)‹ müssen also analysiert werden um additive Perspektiven zu überwinden und den Fokus auf das Zusammenwirken von sozialen Ungleichheiten zu legen (Walgenbach 2012: 81).« (ZHdK o.J.)

Damit ist gemeint, dass jeweils spezifische und recht verschiedene Privilegien und Benachteiligungen entstehen können, die aus den unterschiedlichen Intersections resultieren: Zum Beispiel macht eine Person of Colour aus einem migrantisierten Arbeiter_innen-Elternhaus an der Universität andere Erfahrungen, als eine meist weiß gelesene, migrantisierte Person aus einem sozio-ökonomisch benachteiligten Akademiker_innen-Elternhaus. Mit »Intersektionalen Achsen« sind die sich überkreuzenden Linien der Unterscheidung und Kategoriebildung gemeint.

Literatur:

Website von ZhdK, Glossar, Intersektionalität, o.J., https://www.zhdk.ch/forschung/ehemalige-forschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/intersektionalitaet-5892 (zuletzt abgerufen am 17.06.2021).

intersektionale Diskriminierungserfahrung

(siehe mehrfache Diskriminierungserfahrung)

intersektionale Verortung im sozialen Raum

(siehe Positionierung, soziale)

»intersektionale Verwundbarkeit«

(siehe mehrfache Diskriminierungserfahrung)

K

Kanon, Kanonbildung

kunsthistorischer Kanon

Das Wort »canon« bedeutet im Lateinischen »Regel, Norm, Richtschnur, Messstab« (Duden 2021) und im Spätlateinischen unter anderem auch »Glaubensregel«. Unter einem künstlerischen oder kunsthistorischen Kanon kann demnach eine Auswahl »mustergültiger Autoren [und] Werke« (Duden 2021) bzw. kunsthistorischer Positionen verstanden werden. Diese gelten meist als besonders wertvoll und werden als beispielhafte Vertreter_innen verschiedener künstlerischer Disziplinen bzw. Stilrichtungen behandelt und nach von Menschen festgelegten (historischen) Zeitabschnitten sortiert. Die lateinische Wortherkunft verweist auch auf die normativen Vorstellungen, die in einen Kanon einfließen und durch ihn weitervermittelt werden. Aufgrund der gesellschaftlichen Anerkennung (siehe Hegemonie) des Kanons, seiner Regelhaftigkeit und Mustergültigkeit (s.o.), dient er zum Beispiel in Bildungseinrichtungen dazu, bestimmte Kunstwerke auszuwählen, vor anderen zu priorisieren und in eine Rangfolge zu bringen. Wir verstehen daher den kunsthistorischen Kanon, wie er auch in Schulen und Universitäten gelehrt wird, als wirksames und mächtiges Werkzeug der Absicherung kultureller Hegemonie (siehe Hegemonie). Wie bereits Linda Nochlin in ihrem bekannten Essay »Why Have There Been No Great Women Artists?« von 1971 feststellte: »[…] things […] are stultifying, oppressive and discouraging to all those, […] who did not have the good fortune to be born white, preferably middle class and, above all, male.« (Nochlin 2015) – ist die im westlichen Kanon eingebettete Perspektive bzw. dominante Subjektposition zumeist (cis-)männlich, weiß, heterosexuell, bürgerlich, christlich und able-bodied (siehe Ableismus).

Literatur:

Website des Dudenverlags, Kanon, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/Kanon_Lied_Leitfaden_Norm (zuletzt abgerufen am 15.10.2021).

Nochlin, Linda: »From 1971: Why Have There Been No Great Women Artists?«. In: ARTnews, retrospective, 2015; online unter https://www.artnews.com/art-news/retrospective/why-have-there-been-no-great-women-artists-4201/(zuletzt abgerufen am 14.10.2021).

Kapital (nach Bourdieu)

kulturelles Kapital
soziales Kapital
symbolisches Kapital

»[…] Erfolg bei diesem Wettkampf [der Akteur_innen um ihre Stellung im sozialen Raum und um Ressourcen] hängt vom Zusammenspiel dreier Kapitalsorten ab, mit denen die AkteurInnen eines Feldes (siehe soziales Feld) in unterschiedlicher Weise ausgestattet sind: dem ökonomischen Kapital (Geld), sozialen Kapital (Kontakte, Beziehungen, Anerkennung) und dem kulturellen Kapital (Bildung, Kennerschaft, [Bücher, Instrumente,…]). Aus dem komplexen Ineinanderwirken dieser Kapitalsorten setzt sich das symbolische Kapital (Prestige, Privilegiertheit [auch z.B. akademische Titel] zusammen, mit dem eine Person im sozialen Raum (siehe sozialer Raum) rechnen kann. Die Währungen variieren je Feld und sind im Prozess beständiger Aushandlung. Zweck des Spieles ist es, Kapitalien [anzuhäufen] und damit auf die Position derer zu kommen, welche die Währung jeweils am stärksten definieren: ›Ein Kapital oder eine Kapitalsorte ist das, was in einem bestimmten Feld zugleich als Waffe und als umkämpftes Objekt wirksam ist, das, was es seinem Besitzer erlaubt, Macht oder Einfluss auszuüben‹ (Bourdieu/Wacquant 1997). Die Interessen, die Hoffnungen und Erwartungen der AkteurInnen dieser Felder (siehe soziales Feld) werden durch die jeweils gültigen Währungen bestimmt und bringen diese Währungen gleichzeitig selbst hervor« (Mörsch o.J.).

Literatur:

Mörsch, Carmen: Glossar zum Analysezugang «Soziales Feld» o.J. unveröffentlichtes Handout.

Kategorien, soziale; Kategorien sozialer Unterscheidung; Ungleichheitskategorien, soziale

Kategorien wird in diesem Material als sozialwissenschaftlicher Begriff benutzt. Kategorien dienen dazu, Menschen anhand von bestimmten Merkmalen in Gruppen einzuteilen, die relevant dafür sind, ob sie innerhalb der Gesellschaft als »gleich« oder »anders« erachtet werden und anhand dieser gemeinsamen Merkmale (auch wenn diese ursprünglich sozial konstruiert sind) Vor- oder Nachteile haben bzw. Diskriminierung erleben. Dies kann sich zum Beispiel auf die Einkommenssituation, die Nationalität, den Körper, die vermutete Zugehörigkeit zu einer migrantisierten oder rassifizierten Gruppe, die Sexualität, das Geschlecht usw. beziehen. Alle sozialen Kategorien (wie z.B. Geschlecht, sexuelle Orientierung, Be_Hinderung, Klasse und Rassisiertheit etc.) können in diesem Sinne auch als soziale Ungleichheitskategorien bezeichnet werden, weil sie zur sozialen Unterscheidung herangezogen werden (können).

Klasse, (soziale)

»Soziale Klasse meint eine Gruppierung von Menschen, die eine bestimmte Position im Wirtschaftssystem einnimmt (z. B. Arbeiter, Manager oder Selbstständige). Häufig werden zudem ähnliche sozio-ökonomische Verhältnisse (Einkommen, Macht, Bildung) und ähnliche Interessen als konstituierend für eine Klasse angesehen. In aller Regel wohnt der Einteilung der Gesellschaft in verschiedene soziale Klassen implizit oder explizit eine Hierarchisierung von sozialen Klassenpositionen inne.« (Pollak 2018, S. 225)

Literatur:

Pollak Reinhard: »Klasse, soziale«. In: Kopp Johannes/Steinbach Anja (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie. Wiesbaden: Springer VS, 2018, S. 225-228.

Klassismus, klassistische Diskriminierung

»Dieser Begriff bezeichnet die systematische Diskriminierung auf Grundlage der sozio-ökonomischen Position oder Herkunft einer Person oder Gruppe. Klassismus richtet sich überwiegend gegen Menschen aus ›niedrigeren‹ Klassen. Das betrifft insbesondere Arbeiter*innen (›working class‹) und arme Menschen. Bestimmte Werte und Fähigkeiten werden dabei sozialen Klassen zugeordnet. Dabei werden der working class in aller Regel negative Aspekte zugeschrieben.« (verdi Jugend o.J.)

»[…] Es geht bei Klassismus also nicht nur um die Frage, wie viel Geld jemand zur Verfügung hat, sondern auch welchen Status er[_sie] hat und in welchen finanziellen und sozialen Verhältnissen er[_sie] aufgewachsen ist. […] Der Begriff Klassismus ist ein noch nicht sehr weitverbreiteter Begriff, der ›classism‹ aus dem US-amerikanischen Kontext ins Deutsche transportiert. Er folgt nicht einer bestimmten Definition von Klasse, wie zum Beispiel der von Marx, Bourdieu oder Max Weber, auch wenn es Überschneidungen zu den Definitionen gibt. Vielmehr wurde mit dem Begriff eine eigene Setzung vorgenommen, bei der nicht davon ausgegangen wurde, dass alle die oben genannten Theorien kennen. Der Begriff wurde maßgeblich durch die Erfahrungen von Communities geprägt, die mehrfachdiskriminiert werden, also zum Beispiel durch Gruppen innerhalb der Frauenbewegung oder der ›Black Movements‹, die Klassismus erfahren. Mit dem Begriff werden deswegen verschiedene Diskriminierungsdimensionen aus einer intersektionalen Perspektive berücksichtigt. Außerdem umfasst der Begriff nicht nur die ökonomische Stellung von Menschen, sondern auch die verschiedenen Abwertungserfahrungen auf kultureller, politischer, institutioneller und individueller Ebene. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nennt die soziale Herkunft und Position nicht als Diskriminierungsdimension. Wir berücksichtigen Klassismus in unserer Arbeit, da die Klassenherkunft zum Beispiel maßgeblich bestimmt, wie leicht wir Zugang zum Kulturbetrieb erlangen, welche Werte wir bestimmten Kunstformen zuschreiben und ob die Werke, die wir schätzen, ein Teil des Kanons sind.« (Diversity Arts Culture o.J.)

Literatur:

Website von Diversity Arts Culture, Wörterbuch, Klassimus, o.J., https://diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch/klassismus, (zuletzt abgerufen am 01.07.2021).

Website von verdi Jugend, Argumente – so könnt ihr diskutieren, Glossar, o.J., https://www.aktiv-gegen-diskriminierung.info/argumente/glossar#subnav (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

körpernormiert, Körpernormen

Der Begriff bezieht sich auf gesellschaftliche Normvorstellungen, wie ein Körper zu sein hat. Es geht dabei zum Beispiel um Schönheitsideale oder welche Körper als gesund und leistungsfähig angesehen werden usw.

kognitive Gerechtigkeit

»[…] das Konzept, das von Shiv Visvanathan vorgeschlagen wurde, ist ein Ideal: dass alle Bestände menschlichen Wissens, egal ob wissenschaftlicher Art oder nicht, gleichviel Wert sein müssen, um eine nachhaltige soziale Entwicklung lokaler Kollektive abzusichern.« (Piron et al. 2016, übersetzt von C. Jaspers)

Kognitive Gerechtigkeit ist verbunden mit verschiedenen Ideen von der »offenen Wissenschaft«, die zum Beispiel beinhalten, dass der Zugang zu wissenschaftlichen Ressourcen wie Datenbanken, Publikationen etc. kostenlos und digital verfügbar sein sollte, aber auch dass eine höhere Sprach- und Methodenvielfalt und die Anerkennung von nicht wissenschaftlich hergestelltem Wissen angestrebt und anerkannt wird (vgl. Piron et al. 2016). Ein weiterer Aspekt ist die Kritik am kapitalistischen normativen Rahmen der wissenschaftlichen Wissensproduktion: es geht um Wissensökonomien und einen kognitiven Kapitalismus – also dass nicht mehr (nur) industrielle Güter sondern auch Wissen gewinnbringend auf Märkten verwertet werden (vgl. ebenda).

»Eine kognitive Ungerechtigkeit ist eine Situation, ein Phänomen, eine politische Maßnahme oder ein Verhalten, die u.a. Studierende und Forschende davon abhält, ihr ganzes Potenzial und ihre Kapazitäten wissenschaftlicher Recherche und Forschung im Sinne der nachhaltigen Entwicklung ihrer Länder oder des Gemeinwohls der Menschheit zu nutzen. Für Wissenschaftler[_innen] des globalen Südens [(siehe Globaler Norden, globaler Süden)] werden durch die Dominanz der Länder des globalen Nordens im aktuellen Wissenschaftssystem kognitive Ungerechtigkeiten hergestellt, die besonders mächtig und schwierig umzustoßen sind. […]« (ebenda)

Als Beispiele dafür werden von Piron et al. (2016) u.a. genannt: finanzielle, rechtliche, digitale Beschränkungen im Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen, schlechter Zugang zum Internet oder schwache Ausstattung mit digitalen Quellen in Universitätsbibliotheken, Ignoranz oder Missachtung von lokalen Wissensbeständen, die kulturell und sozial treffend bzw. sachdienlich sind, die Systeme der Publikation von Zeitschriften des globalen Nordens sind verschlossen und schwierig zu erreichen, Vorherrschaft von Englisch und in geringerem Maße Französisch als Kolonialsprachen im Wissenschaftsbetrieb, demütigende Pädagogik in den Universitäten, etc.

Literatur:

Piron, Florence/ Da Costa Barros, Mauricio/ Rhissa, Hamissou/ Mboa Nkoudou, Thomas Hervé, Thomas/ Kotiuga, Catherine/ Nsengiyumva, Rémy: »FAQ: La science ouverte et la justice cognitive«, übersetzt von Christiane Jaspers. In: Projekt SOHA, Website der Association pour la promotion de la science ouverte en Haïti et en Afrique, 2016; online unter https://www.projetsoha.org/?page_id=1264 (zuletzt abgerufen am 23.06.2021).

kolonialismuskritisch

siehe Dekolonial, Dekolonialität

Kolonialität

»Unter dem Begriff der Kolonialität werden Prozesse und Strukturen verstanden, die aus kolonialen Verhältnissen hervorgehen: Er bezeichnet die Kontinuität solcher Machtverhältnisse auch nach dem Ende von kolonialen Verwaltungen. (…) Kolonialität beeinflusst heute viele Aspekte des Lebens weltweit: Sie kommt in ökonomischen Zusammenhängen, sozialen und politischen Machtverhältnissen oder kulturelle [sic!] Verflechtungen, Praktiken und Diskursen zum Ausdruck. Kolonialität kann als ein Prozess verstanden werden, der mit Machtansprüchen und Herrschaftsverhältnissen verbunden ist, die in unterschiedlichen historischen und politischen Konditionen immer wieder neu definiert, angeeignet, aber auch in Frage gestellt werden.« (Mader oJ.)

Literatur:

Mader, Elke: Kolonialität, o.J.; online unter http://www.univie.ac.at/sowi-online/esowi/cp/einfpropaedksa/einfpropaedksa-84.html (zuletzt abgerufen am 15.12.2021).

Kolonisierung, Kolonialismus

»Als Kolonialismus wird die staatlich geförderte oder betriebene Besetzung eines Gebietes und die Fremdherrschaft über die dort ansässige Bevölkerung bezeichnet. Historisch lag die Hochzeit des Kolonialismus zwischen dem 15. und dem 20. Jahrhundert, als europäische (und später US-amerikanische und australische) Menschen begannen, die Afrika [sic!], Teile Asiens und Amerika zu besiedeln und auszubeuten. Dabei unterdrückten, versklavten und töteten sie die lokale Bevölkerung und legitimierten dies mit einer rassistischen Ideologie, die ihre angebliche biologische, zivilisatorische und religiöse Überlegenheit behauptete. Auch das Deutsche Kaiserreich hatte mehrere Kolonien in Asien und Afrika. Bis in die 1970er Jahre hinein weigerten sich europäische Regierungen, den kolonisierten Gebieten ihre Unabhängigkeit zuzugestehen. Die Folgen des Kolonialismus sind noch heute spürbar – sowohl in den kolonisierten als auch ehemals kolonisierenden Gesellschaften.« (IDA e.V. o.J.)

Während der Begriff der Kolonisierung eher den konkreten Akt des Besetzens eines Gebietes bzw. des Gründens einer Kolonie meint, betont der Begriff »Kolonialismus«, der auf -ismus endet, die in die Praktik des Kolonisierens eingelagerte Ideologie und Weltanschauung der Minderwertigkeit und Unterlegenheit der kolonisierten Bevölkerungen.

»[…] Ganz allgemein werden mit ›-ismen‹ (so die Pluralform) meist extreme Weltanschauungen oder Strömungen in Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur bezeichnet. Oft werden ›-ismen‹ von denjenigen formuliert, die diesen Weltanschauungen oder Strömungen ablehnend gegenüberstehen […].« (segu o.J.)

Literatur:

Website von IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Kolonialismus, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=K&cHash=a5927580fe8f271274a2af26446a0e20 (zuletzt abgerufen am 17.06.2021).

Website von segu (selbstgesteuert entwickelnder geschichtsunterricht) – Lernplattform für offenen Geschichtsunterricht, Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus, o.J., https://segu-geschichte.de/imperialismus-kolonialismus-rassismus/ (zuletzt abgerufen am 17.06.2021).

Koloniales Blickverhältnis

Koloniale Blickverhältnisse stammen aus der Kolonialzeit. Damit werden Perspektiven und Weltanschauungen beschrieben, die heutzutage wiederholt und dadurch (un)bewusst koloniale d.h. rassistische Perspektiven reproduzieren (siehe Reproduktion, soziale). Koloniale Blickverhältnisse entstehen beispielsweise bei der Exotisierung (siehe Exotisierung) oder Romantisierung von Menschen, die strukturell benachteiligt werden oder durch den Konsum deren kultureller Erzeugnisse. Ein Beispiel ist das Stereotyp des »Indianers«. Die Fremdbezeichnung wurde von Christoph Kolumbus eingeführt, der auf seinen Seereisen Amerika »entdeckte«, dabei annahm in Indien angekommen zu sein und so die indigene Bevölkerung als »Indianer« bezeichnete. Dieser Begriff wurde und wird medial (z.B. durch Figuren wie Pocahontas, Winnetou etc.) aufgegriffen und verdeutlicht einen kolonialen Blick – stereotype, romantisierte Darstellungen von Menschen, mit Federschmuck, Verbindung zur Natur etc., die aus der Kolonialzeit hervorgehen, werden reproduziert.

Die genozidale Vergangenheit und die bis heute permanente Unterdrückung und Ausgrenzung indigener Menschen in Nordamerika wird dabei weiterhin von der weißen Mehrheitsgesellschaft ignoriert bzw. relativiert.

Komplexität 

»Der Ausdruck ›komplex‹ ist dem lateinischen ›complecti‹ entlehnt, das ›umschlungen‹, aber auch ›verflochten‹ meinen kann. Im allgemeinsprachlichen Gebrauch werden damit meist Verhältnisse benannt, die wenig überschaubar, vielschichtig oder nicht auflösbar erscheinen. Als wissenschaftstheoretischer Begriff wurde ›Komplexität‹ Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem in kybernetischen Theoriezusammenhängen ausgearbeitet und setzt sich seitdem in natur-, sozial- und kulturwissenschaftlichen, jüngst auch in erziehungswissenschaftlichen Feldern zunehmend fort. (vgl. Rucker/Anhalt 2017; Tanner 2010) Quer zu den genannten Theoriezusammenhängen gibt es jedoch keine eindeutige Wortübersetzung für ›komplex‹, sondern eine Vielzahl von eingeflossenen Bedeutungszusammenhängen, die sich in ihrem Sinn überschneiden. Für die Erziehungswissenschaftler Thomas Rucker und Elmar Anhalt ›markiert der Begriff der Komplexität unlösbare Problemstellungen, das heißt Probleme, zu deren erwartbar erfolgreicher Lösung‹ keine Regeln zu Verfügung stehen, (ebd., S.10, Herv. i.O.) bzw. die Gleichzeitigkeit alternativer, gleichberechtigter Lösungsoptionen. (vgl. ebd., S. 26) Dieser Definitionsansatz würde zunächst Paradoxien einschließen, die gleichfalls unlösbare Problemstellungen zwischen äquivalenten Gegensätzen darstellen. Während aber bei einer Paradoxie logische Zirkularität Grund für die Unauflösbarkeit ist, so ist dieser für komplexe Zusammenhänge in anderen Aspekten zu suchen. Der Soziologe Alex Demirović definiert Komplexität ›als eine Konstellation, in der die Zahl der Elemente eines Systems so groß ist, daß sie nicht alle miteinander in Relation zueinander gesetzt werden können, sondern immer auch andere Kombinationen möglich wären.‹ (Demirović 2001, S. 219) Im Gegensatz zur Logik der Paradoxie, deren konstituierenden Pole bekannt sind, liegt der Grund für die Nichtlösbarkeit komplexer Probleme demnach in der Unmöglichkeit, einen Überblick über die bestimmenden Faktoren von komplexen Verhältnissen zu bekommen. Von diesem Standpunkt aus muss ich davon ausgehen, immer etwas nicht zu wissen, nicht zu sehen und muss gleichzeitig annehmen, dass genau dieses Nicht-Gewusste und Nicht-Gesehene Wirkung auf mein Wissen und meine Sicht der Dinge entfaltet.« (Henschel 2019, S. 19–20)

Literatur:

Henschel, Alexander: »Kunstpädagogische Komplexität – Logiken und Begriffe der Selbstbeschreibung«. In: Andrea Sabisch, Andrea/Meyer, Torsten/Lüber, Heinrich/ Sturm, Eva (Hg.): Kunstpädagogische Positionen 48, 2019, S. 19–20.

Konsens

liberal humanistischer Konsens

Konsens beschreibt die Übereinkunft zwischen Menschen. Gesellschaftlich existiert meist ein Konsens in Bezug auf bestimmte grundlegende Werte und Normen (zum Beispiel »Du sollst nicht töten.«). Der Konsens kann auch in Untergruppen bestehen, z.B. in wissenschaftlichen Feldern oder in Subkulturen.

Als liberal-humanistischer Konsens kann jene Übereinkunft auf Werte und Normen betrachtet werden, die sowohl Liberalismus (siehe liberal, Liberalismus) als auch Humanismus (siehe humanistisch, Humanismus) prägen: Der Fokus auf das Individuum, eine vermeintliche menschliche Natur, Rationalität als Selbstzweck und universelle Werte.

Kontingenz  

Bezogen auf Kunst meint der Begriff »›[…] ihre seit der Moderne zu beobachtende Ausrichtung auf Ambivalenz, das Offenhalten von Interpretationsmöglichkeiten sowie die Betonung des Flüchtigen, Prozesshaften und Zufälligen. Kontingenz in der Kunst betont das Potenzial des Ereignishaften genauso wie die potenziell freie Wahl der Mittel und Verfahren, bei gleichzeitigen Determinierungen durch den jeweiligen Kontext. Sie bezeichnet das Unkalkulierbare, Unvorhersehbare, Unwägbare und Unplanbare.‹ Zentral sind dabei sogenannte [Herv. i. O.]. Diese ›können vorherrschende dualistische Modelle und Dichotomien unterlaufen, indem sie nicht die Vereindeutigung von Differenz, sondern das Dazwischensein und die Zwischenräume in ihrer Hybridität und Ambivalenz fokussieren. Effekte des <Dritten> [1] [Herv. i. O.] resultieren darin, Bedeutungsbehauptungen zu irritieren und dadurch Bedeutung zu wandeln.‹« (Mörsch 2017, S.7)

»[1] Redaktioneller Hinweis: Das Zitat stammt aus dem Antragspapier zum Forschungsprojekt ›Kalkül und Kontingenz‹ (eingereicht beim Schweizerischen Nationalfonds zum Oktober 2012). Mit dem ›Dritten‹ sind dreiwertige Ordnungsschemata gemeint, die an die Stelle von zweiwertigen Modellen treten. Zu diesem kultur- und sozialtheoretischen Themenfeld zählen auch die eingangs des Zitats erwähnten »Figuren des Dritten« wie die Trickser_in oder die Übersetzer_in (aber eben nicht nur).« (ebd., S.7)

Literatur:

Mörsch, Carmen: »Nebenbei, im Kontext/Incidentally, in Context. Carmen Mörsch in Konversation mit/ in Conversation with Garth Evans«, 2017. In: Anne Gruber, Anne/Schürch, Anna/Willenbacher, Sascha/Mörsch, Carmen/Sack (Hg.): Kalkül und Kontingenz. Kunstbasierte Untersuchungen im Kunst- und Theaterunterricht. München: kopaed, 2020, S. 7.

Kontinuität, historische

siehe historisch

Konzept 

Der Begriff Konzept hat verschiedene Bedeutungen. Er begegnet uns in akademischen Kontexten und taucht aber auch in umgangssprachlichen Sprichwörtern, Redensarten und Wendungen auf. Der Duden listet hier drei verschiedene Bedeutungsfelder:

»1. skizzenhafter, stichwortartiger Entwurf, Rohfassung eines Textes, einer Rede o. Ä. […] 2. klar umrissener Plan, Programm für ein Vorhaben […] [und] 3. Idee, Ideal; aus der Wahrnehmung abstrahierte Vorstellung.« (Duden 2021)

Eine alltägliche sprachliche Wendung, in der der Begriff Konzept zum Tragen kommt, ist z.B.: »aus dem Konzept kommen/geraten«, was so viel bedeutet wie »bei einer Tätigkeit/bei einer Rede verwirrt werden, den Faden verlieren« (Duden 2021). Übertragen auf die Arbeit an der Schnittstelle Kunst/Bildung findet der Begriff bspw. beim Erstellen eines Vermittlungs-konzepts Verwendung. Dieses Konzept könnte dann ein Plan für ein spezifisches Vermittlungsvorhaben sein. In der Forschung wiederum wird der Begriff häufig im Sinne einer »Idee« oder »aus der Wahrnehmung abstrahierte[n] Vorstellung« (vgl. ebenda) gebraucht oder kann das Konzept »den kognitiven Bedeutungsgehalt eines (sprachlichen) Zeichens« (siehe Zeichen) bezeichnen (Wrana et al. 2014, S. 230).

Literatur:

Website des Dudenverlags, Konzept, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/Konzept (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

Wrana, Daniel/Ziem, Alexander/Reisigl, Martin/Nonhoff, Martin/Angermuller, Johannes: DiskursNetz. Wörterbuch der interdisziplinären Diskursforschung. Berlin: Suhrkamp, 2014.

kopieren

Wenn eine Person davon spricht, dass sie etwas kopieren möchte, denken viele sicher zuerst an eine Maschine (den Kopierer) auf dessen Glasscheibe die zu kopierende Vorlage gelegt, anschließend eine Taste gedrückt und folgend von der Maschine eine (nahezu) identische Kopie der Vorlage hergestellt wird. Im Mittelalter, als die Erfindung des Kopierers in weiter Ferne lag, wurden Texte auch schon vervielfältigt – allerdings durch händisches Abschreiben. Diese Kopieraufgaben übernahmen (im globalen Norden) Mönche, die in Klöstern lebten.

Als Technik oder Strategie spielte/spielt Kopieren aber auch für das/im künstlerischen Feld eine Rolle: In der Ausbildung, in der Kunstproduktion selbst und auch in der Kunstpädagogik wird kopiert. Bilder werden dabei händisch oder unter dem Einsatz von Maschinen vervielfältigt, manchmal wird dies transparent gemacht und das Werk als Replik oder Kunstkopie ausgestellt/verkauft oder es wird bewusst verheimlicht – dann ist die Rede von einer Fälschung, weil der Verdacht des Betrugs im Raum steht. Einer der bekanntesten Fälle des Betrugs der letzten Jahre dürfte der um den Kunstfälscher Wolfgang Beltracci sein. (vgl. Kolb 2015)

Hingegen berühmt für das Anfertigen handgemalter Kopien, die als solche auch benannt werden und käuflich zu erwerben sind, ist ein Ort in der Nähe der chinesischen Stadt Shenzhen. Hier haben sich verschiedene Firmen etabliert, die technisch virtuos, handgemalte Kopien zum Verkauf anbieten. In China hat diese Form des (kommerziellen) Kopierens, des unlizenzierten Herstellens einen eigenen Namen: Man nennt es Shanzai, wie Byung-Chul Han in seiner Publikation Shanzai. Deconstruction in Chinese darlegt. (vgl. Han 2017) In alten Maltechniken besonders gut ausgebildete und versierte Künstler_innen fertigen dabei Gemälde alter Meister v.a. der westlichen Kunstgeschichte in den verschiedenen Techniken an. Geordert und verkauft werden diese vor allem ins außerchinesische Ausland. Diese Arbeit sichert einerseits vielen Künstler_innen das Überleben – dabei ist das Geschäft letztlich auch Ausdruck einer Welt, in der stets für alle (in der westlichen Welt) alles verfügbar sein soll – zum erschwinglichen Preis – und sei es lediglich als Kunstkopie. Direkte Auswirkungen hat eine solche Logik auch auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der ausführenden Maler_innen.

In der westlichen Kunstwelt wird das Kopieren von alten Gemälden – je nach Kontext – mal belächelt, mal verurteilt oder bewundert, letzteres insbesondere dann, wenn dafür eine technische und handwerklich besonders hohe Fertigkeit von Nöten ist. Belächelt wird hingegen, dass es sich beim kopierten Gemälde um kein originales Werk handelt – es fehlt die eigene Idee, die Originalität, die für die Bewertung von Kunst bis heute eine wichtige Rolle spielt. 

Als Methode ist das Kopieren von Kunstwerken auch in der Kunstpädagogik verbreitet. Schüler_innen bekommen dabei Aufgaben gestellt, bei denen sie bspw. ein Gradnetz auf ein Papier, eine Leinwand zeichnen und dann die Vorlage (ein Gemälde etc.) versuchen möglichst genau zu übertragen/zu malen. Ein solches Vorgehen dürfte auch im kunstpädagogischen Fachdiskurs eher kritisch beurteilt werden, u.a. weil mit dem Kopieren wenig Positives assoziiert wird und somit die Frage danach, was Kinder, Jugendliche bei einem solchen Vorgehen möglicherweise lernen könnten, reflexartig beiseite geschoben wird. 

Interessant ist aber nun, dass die Strategie des Kopierens schon länger auch in der (westlichen) zeitgenössischen Kunst Eingang gefunden hat. Elaine Sturtevant beispielsweise kopiert konsequent Werke der Postmoderne – darunter Arbeiten von Warhol, Beuys und Duchamp. (vgl. Obrist 2014) Die Bilder werden von ihr mit ihrer eigenen Signatur versehen – als Kopien werden diese Werke allerdings nicht klassifiziert, was mit der Verortung der Künstlerin im Feld der Konzeptkunst zusammenhängt. Sturtevant interessiert sich gerade für die Frage nach dem Original und der Reproduzierbarkeit – Fragen, die bis heute in der westlichen Kunstwelt kaum an Aktualität eingebüßt haben. Diese Arbeitsweise ist im Fachdiskurs anerkannt und die künstlerische Position Sturtevants etabliert. Die Lesarten, Bewertungen etc. des Kopierens als Strategie, Methode, Praxis unterliegen demnach zeitlichen Wandlungen und sind geprägt von verschiedenen kulturellen, sozialen und politischen Einflüssen. 

Literatur:

Han, Byung-Chul: Shanzai. Deconstruction in Chinese, 2017; online unter: https://mitpress.mit.edu/books/shanzhai (zuletzt abgerufen am 26.11.2021).

Kolb, Bettina: Wolfgang Beltracchi, der geniale Verbrecher, 2015; online unter: https://www.dw.com/de/wolfgang-beltracchi-der-geniale-verbrecher/a-18431166 (zuletzt abgerufen am 26.11.2021). 

Obrist, Hans Ulrich: »Elaine Sturtevant obituary«. In: The Guardian 19.5.2015; online unter https://www.theguardian.com/artanddesign/2014/may/19/elaine-sturtevant (zuletzt abgerufen am 26.11.2021).

Kritisch

Wenn wir in diesem Material davon sprechen »kritisch« zu sein, meinen wir zum einen, die gesellschaftlichen Verhältnisse und Ungleichheiten wahrzunehmen, zu benennen und die Umstände, die sie bedingen, anzugehen und zum anderen eine selbstkritische Reflexion über die eigene Verstrickung in die gesellschaftlichen Strukturen. Wovon profitiere ich, was sind Ressourcen (siehe Ressourcen), auf die ich im Notfall zurückgreifen kann, wo entspreche ich Normen? Aber auch: wo habe ich vielleicht selbst Verletzung und Benachteiligung erfahren, weil ich nicht über entsprechende Privilegien verfügt habe oder von gesellschaftlichen Normen abweiche, trage ich aber vielleicht trotzdem zur Verfestigung dieser oder anderer Normen bei?

Kritische Entwicklungszusammenarbeit

»Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird in deutschen Wörterbüchern ›Entwicklung‹ bzw. ›entwickeln‹ als ›sich stufenweiße [sic!] herausbilden‹ oder ›in einem Prozess fortlaufend in eine neue (bessere) Phase treten‹ definiert. Der Begriff ist in unserem Sprachgebrauch eindeutig positiv konnotiert und drückt ein erstrebenswertes Ziel aus. Untersucht man die Bedeutung des Begriffs Entwicklung im Nord-Süd-Kontext, wird allerdings klar, dass er ohne die koloniale Geschichte nicht zu denken wäre und nicht losgelöst von dem Konstrukt ›Rasse‹ funktioniert. Im Zuge der ›Aufklärung‹ wurde ›Entwicklung‹ als Maßstab für menschliche Gesellschaften angewandt, wodurch es automatisch zu einer Hierarchisierung verschiedener Lebensweisen kommt. Die Einteilung und Bewertung von Gesellschaften diente dazu, koloniales Unrecht zu legitimieren. So haben sogenannte entwickelte Gesellschaften per Definition bereits eine höhere bzw. die höchste Stufe dieses Entwicklungsprozesses erklommen. Auch heute noch liegt die Definitionsmacht über die Merkmale einer ›entwickelten‹ Gesellschaft im Globalen Norden. Dieser beschreibt sich jeweils mit seiner aktuellen Gesellschaftsform als überlegen und macht sich so zur globalen Norm.« (Wer andern einen Brunnen gräbt 2012)

»Diesen Begriffen [›Entwicklungsland/Entwicklungshilfe‹] liegt die eurozentrische Vorstellung zugrunde, dass es einen Weg gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung gäbe, an dem alle Gesellschaften/Länder zu messen wären. In der Praxis ist eine solche Klassifizierung von Ländern häufig mit (neokolonialer) Gewalt verbunden. Die Vorstellung von ›Entwicklungsländern‹, denen ›Entwicklungshilfe‹ gegeben wird, blendet die Ursachen von Armut und globaler Abhängigkeit aus. Koloniale Verbrechen und (neo-)koloniale Politiken, wie beispielsweise willkürliche Grenzziehungen oder die fortdauernde Ausbeutung natürlicher Ressourcen zugunsten des Globalen Nordens, tragen maßgeblich dazu bei, globale Ungleichheiten zu befestigen. Deshalb fordern Aktivist*innen weltweit zunehmend Reparationen, also Wiedergutmachung, statt ›Entwicklungshilfe‹ oder Projekten der ›Entwicklungszusammenarbeit‹ ein.« (brebit, o.J.)

Kritische Entwicklungszusammenarbeit beachtet die oben genannten Punkte und ist zum Beispiel informiert aus postkolonialen Theorien.

Literatur:

Website von brebit, Brandenburgische Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationstage, Glossar, Entwicklungsland/ Entwicklungshilfe, o.J., https://www.brebit.org/Glossar.html (zuletzt abgerufen am 28.5.2021).

Website von Wer andern einen Brunnen gräbt, Entwicklung, 2012, https://weranderneinenbrunnengraebt.wordpress.com/2012/09/15/entwicklung/ (zuletzt abgerufen am 17.5.2021).

Kritische Kunst

Kritische Kunst ist ein Sammelbegriff für (Bildende) Künste, die sich mit gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzen. Soziale Ungleichheit hervorgerufen durch Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus etc. wird aus künstlerischer Perspektive verhandelt und mit künstlerischen Strategien bearbeitet. Dabei wird das Feld der Kunst sowie die Kunst selbst in ihrer institutionalisierten Form reflektiert und kritisiert. Beispiele für zeitgenössische, künstlerische Positionen, deren Arbeiten als kritische Kunst bezeichnet werden (können), sind zum Beispiel Valie Export, Kara Walker, Jakob Lena Knebl, Rajkamal Kahlon, Lubaina Himid etc.

Kritische Kunstpädagogik-/vermittlung

»In der Kunst- und Kulturvermittlung wurden zahlreiche Strategien entwickelt, mit dem Ziel möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Die Intentionalität von Kunst- und Kulturvermittlung ist dabei in vielen Fällen implizit wirksam, wird jedoch meist nicht explizit benannt, wie dies Carmen Mörsch, in der Publikation ›Zeit für Vermittlung‹ (IAE/ZHdK: 2013) thematisiert. Kunst- und Kulturvermittlung bewegt sich laut Mörsch zwischen den zwei Polen und Zielen von Emanzipation und Disziplinierung. (vgl. IAE/ZHdK: 2013: 33-41) Es geht hier um unterschiedliche Positionen darüber, ›wer jeweils das Recht und die Möglichkeit hat, die Künste zu besitzen, zu sehen, zu zeigen und über sie zu sprechen.‹ (ZfV.: 33)

Dies beruht auf einem jeweils unterschiedlichen Verständnisse von Bildung: Zum einen Bildung als das Erlernen von bestehenden Wissensbeständen, die es zu rezipieren und zu reproduzieren gilt – und damit einer Stabilisierung bestehender (Macht-)Verhältnisse zuträglich ist. Andererseits ein Bildungsverständnis, das Bildung als Werkzeug zur Hinterfragung von Machtverhältnissen und zur Selbstermächtigung versteht. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat bereits Ende der 1970er-Jahre in seiner Studie ›Die feinen Unterschiede‹ festgestellt, dass ›Kunst‹ insbesondere als Mittel der sozialen Distinktion dient und als Abgrenzungsfunktion in Bezug auf Milieuzugehörigkeit eingesetzt wird, um das vermeintlich ›Eigene‹ vom vermeintlich ›Anderen‹ bzw. ›Fremden‹ abzugrenzen/zu unterscheiden. (IAE/ZHdK: 2013: 35)

Wie kann nun diese Problematik der sozialen Distinktion in einer kritischen Kunst- und Kulturvermittlung nun [sic!] aufgegriffen werden? Ein möglicher Ansatz besteht darin, Bildung sowie Kunst- und Kulturvermittlung als das Erproben und Entwickeln von Werkzeugen zu verstehen, die ein Hinterfragen (und Offenlegen) von Machtmechanismen sowie ein Entwickeln von Werkzeugen, die Möglichkeiten der Selbstrepräsentation eröffnen, ermöglichen. Mit Carmen Mörsch kann Kunst- und Kulturvermittlung in diesem Sinn als ›zweifache Bewegung zwischen Kritik und Neudenken der Praxis›‹ verstanden werden. (IAE/ZHdK: 2013: 39)

Dabei ist es v.a. die kritische Kunstvermittlung (vgl. u.a. Institute for Art Education 2013; Mörsch/Settele 2012; Schnittpunkt 2013; Sturm 2011) die, wichtige Fragen in Bezug auf die Wechselbeziehungen von Lernen und hegemonialen Verhältnissen diskutiert. (Sternfeld 2014)

Der offene Raum (Masuch 2006), den die Kunst- und Kulturvermittlung herstellt, kann dabei als ›Raum für Dissens‹ verstanden werden. (Sternfeld 2014: 10) Dadurch können Möglichkeiten der Teilhabe und der Ermächtigung von und mit den Beteiligten erprobt werden.« (Zobl, Huber o. J.)

Literatur:

Zoble, Elke/Huber, Laila: Kritische Kunst- und Kulturvermittlung, o.J.; online unter https://www.takingpart.at/kontext-1/kritische-kunst-und-kulturvermittlung/, (zuletzt abgerufen am 27.11.2021).

Kritische Pädagogik

»Bildung und Erziehung sollen so ablaufen, dass sich mündige und kritische Subjekte ausbilden, die imstande sind, sich selbst zu verändern und die Gesellschaft nach vernünftigen Gesichtspunkten umzugestalten. Kritische Pädagogik geht von der Analyse der gesellschaftlichen und politischen Bedingungen aus, die am konkreten Ort vorherrschen und die einer prinzipiellen Kritik unterzogen werden. Sie ›fragt demzufolge nach den Ursachen und Bedingungen einer Gesellschaft, die eine emanzipative Subjektwerdung behindern bzw. hintertreiben‹. (Bernhard 2012: 16) Insofern sieht sich Kritische Pädagogik stets durch neue Wandlungen herausgefordert, am Zahn der Zeit ihre Begriffe zu schärfen und Antworten auf Probleme zu finden, aus denen sie ihre Aufgaben in schöpferischer Auseinandersetzung ableitet.

[…]

Damit ist die Forderung verbunden, dass Bildung als allgemeines gesamtgesellschaftliches Bedürfnis anerkannt und finanziert wird, wobei die Unabhängigkeit von Bildung gewahrt bleiben muss. Bildung soll den Menschen in die Lage versetzen, als Individuum und gemeinsam mit anderen ein freies, sozial verantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen und die gesellschaftliche Entwicklung aktiv mitzugestalten. Eine solche emanzipatorische Bildung erfordert Selbstbestimmung der Lernenden und fördert Kritik- und Handlungsfähigkeit, Solidarität und historisch-politisches Bewusstsein.« (Rosa Luxemburg Stiftung o.J.)

Literatur:

Website der Rosa Luxemburg Stiftung, Kritische Pädagogik, o.J., – https://www.rosalux.de/publikation/id/39577/kritische-paedagogik-3, (zuletzt abgerufen am 20.11.2021).

Kulturelle Aneignung 

Wenn von Kultureller Aneignung gesprochen wird, handelt es sich um eine Kultur- und Konsumkritik gegenüber Institutionen, Konzernen und Personen (des öffentlichen Lebens) der privilegierten/dominanten Gesellschaftsgruppe. Kulturelle Aneignung wird definiert als: Diebstahl bzw. Übernahme kultureller Elemente einer strukturell benachteiligten Gruppe für die eigenen (Selbst-)Zwecke, zur Vermarktung oder für den Profit. Dabei werden Symbole, Kunst, Sprache und Kleidung übernommen, vermarktet oder verfremdet ohne den Wert des originalen Ursprungs dieser Kultur zu verstehen, anzuerkennen und zu respektieren. (vgl. Colours of Resistance o.J.)

Beispiele für Kulturelle Aneignung:

»Blackfacing« und Dreadlocks

Wenn sich weiße Menschen ihre Hautfarbe zu Unterhaltungszwecken – etwa zum Karneval oder für ein Theaterstück – dunkler färben, betreiben sie Blackfacing. Ähnlich problematisch ist das Tragen von Dreadlocks. Dabei ignorieren dominante Gesellschaftsgruppen, dass Schwarze Menschen ihre Hautfarbe oder Haarstruktur nicht nach Belieben auf- und absetzen können und vielerorts mit rassistischen Anfeindungen und strukturellem Rassismus konfrontiert sind. Durch Blackfacing und Dreadlocks wird dieser Umstand verharmlost.

Kulturelle Symbole als modische Accessoires

Das Coachella-Festival ist einer der größten regelmäßigen Schauplätze für Kulturelle Aneignung. Jedes Jahr nehmen an dem Musikevent in Kalifornien bis zu 150.000 Besucher*innen teil. Für ihre möglichst auffälligen Outfits bedienen sich zahlreiche Besucher*innen optischer Elemente unterschiedlicher Kulturen – beispielsweise verzieren Festivalteilnehmer*innen ihre Kleidung mit Federschmuck indigener Völker Nordamerikas, malen sich Bindis auf die Stirn, die in Südasien Weisheit und Spiritualität repräsentieren, oder kleiden sich in Dashikis aus Westafrika. Um ihre Follower*innen auf Instagram zu unterhalten, nutzen Influencer*innen die Symbole als ästhetisches Accessoire und missachten auf diese Weise ihren kulturellen Wert.

Auch große Modeunternehmen praktizieren Kulturelle Aneignung, wenn sie Trachten als Luxusgut verkaufen. So stand Gucci bereits mehrfach in der Kritik. Im Frühjahr 2018 war Gucci Ziel eines Shitstorms, als die Marke weiße Models mit Turbanen ausstattete. Die islamische Kopfbedeckung wurde als legeres Accessoire interpretiert. Ein Jahr später tauchte im Onlineshop eine Mütze mit Blumendruck auf. Die Kopfbedeckung wurde mit den Worten »Babushka-Style« beworben. Irina Fjodora vom Verband Kyrgyzstan Babushka Association warf Gucci daraufhin Kulturelle Aneignung vor. Sie schrieb: ›Diese und zahlreiche andere Produkte in ihrem Bestand, die sich auf den Babushka-Style beziehen, verspotten unsere Identität und einzigartige Kultur.‹

Ausstellungsstücke in Museen

Auch die Ausstellung von Exponaten im Museum wird häufig als Kulturelle Aneignung interpretiert, wenn es sich etwa um während der Kolonialzeit erbeutete Gegenstände handelt oder koloniale Verhältnisse in der Ausstellung reproduziert werden. So wird das Karl-May-Museum in Radebeul seit 2014 darum gebeten, einen Skalp aus dem Museumsinventar dem Sault Ste. Marie Tribe of Chippewa Indians (Michigan, USA) zurückzugeben. Durch eine Schenkung war das Objekt mehrere Jahre zuvor in den Besitz des Museums gelangt. Die Nachfolgegeneration des Tribes versteht darin eine Enteignung, da die Kulturgüter ihrem spirituellen Kontext entzogen wurden. Die Museumsdirektion erkennt in den Skalps jedoch weder eine Beleidigung noch Respektlosigkeit.« (ze.tt o.J.)

Kommerzialisierung von Esskulturen

Ein weiteres Beispiel lässt sich anhand der Debatte um die Kommerzialisierung der vietnamesischen Phở-Suppe verdeutlichen.

Die viet-deutschen Journalistinnen Vanessa Vu und Minh Thu Tran erzählen von den Schwierigkeiten vietnamesischer Einwander_innen in Deutschland finanziell Fuß zu fassen. Einige der wenigen beruflichen Nischen, die sich für Migrant_innen in Deutschland etablierte, war die Gastronomie. Aufgewachsen mit rassistischen Erfahrungen bezüglich asiatischer Esskultur in den 1990er Jahren, erzählen Vu und Tran, dass die südost-asiatische Küche ab den 2000er Jahren plötzlich populär wurde (vgl. Vu/Tran 2021) Südostasiatische Gewürze und Produkte wurden in kommerziellen Supermärkten angeboten. weiße Unternehmer_innen machten sich diesen Trend zunutze und vermarkteten dabei eine Suppe namens Phở, die den Namen dieser Suppe trug, aber mit der vietnamesischen Suppe nichts gemein hatte. Die vietnamesische Community äußerte auf Social Media Kritik, woraufhin eine Debatte zum Thema kulturelle Aneignung begann. Während vietnamesische Restaurants sich (in Zeiten der Corona-Pandemie besonders aufgrund antiasiatischer Anfeindungen) nur mit Mühe über Wasser hielten, werden vermeintlich vietnamesische Nudelsuppen in weißen Restaurantketten vermarket. Dass die vietnamesische Phở-Suppe an Popularität gewinnt und von weißen gegessen wird, ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass die Community, die die Suppe in Deutschland populär gemacht hat, kaum davon profitiert. Umso schmerzhafter ist die Erfahrung, wenn ein Produkt, als Phở vermarktet wird, die keine Phở-Suppe ist. Sie trägt lediglich den Namen, da es sich gut vermarktet.

Bei diesen Beispielen geht es nicht um die Absicht oder Intention, mit der kulturelle Güter konsumiert werden, sondern um den Effekt, der dadurch entsteht; Menschen, deren kulturelle Güter angeeignet wurden, ohne davon zu profitieren, fühlen sich dadurch verletzt, entwürdigt und aufgrund der damit einhergehen Gewalt retraumatisiert. Solange die koloniale Vergangenheit nicht aufgearbeitet ist, d. h. Unterdrückungsverhältnisse zwischen dem globalen Norden und Süden weiterhin bestehen, sind Praktiken des kulturellen Aneignens als problematisch zu betrachten, da sie Gewaltverhältnisse wiederholen. Um diese Gewalt nicht zu reproduzieren, ist es wichtig sich als Konsument_in zu informieren, den Dialog zu suchen oder Menschen zu involvieren, deren kulturelle Erzeugnisse angeeignet wurden.

Literatur:

Website von Colours of Resistance, Cultural Appropriation, o.J., http://www.coloursofresistance.org/definitions/cultural-appropriation/ (zuletzt abgerufen am 16.05.2021).

Website von ze.tt, Cultural Appropriation, Kulturelle Aneignung, o.J., https://ze.tt/cultural-appropriation-kulturelle-aneignung/, (zuletzt abgerufen am 21.11.2021).

Tran, Minh Thu/Vu, Vanessa: »Ist das noch Phở oder schon respektlos?« In: Rice and Shine-Podcast, 2021; online unter https://riceandshine-podcast.de/2021/06/29/ist-das-noch-pho-oder-schon-respektlos/, (zuletzt abgerufen am 21.11.2021).

Kulturelles Gedächtnis

»Der Begriff kulturelles Gedächtnis ist stark von Jan Assmann geprägt. Das kulturelle Gedächtnis wird von einer Gruppe oder Gesellschaft genutzt und hat die Funktion das Selbstbild der Gruppe zu dokumentieren und über Generationen weiter zu vermitteln. Es basiert auf Traditionen und existiert durch das Weiterreichen von kulturspezifischem Gut wie Texten, Bildern oder Bräuchen. Dadurch umfasst das kulturelle Gedächtnis einen viel größeren Zeitraum als ein Alltagsgedächtnis und beeinflusst die Identität der Gruppenmitglieder. Durch das kulturelle Gedächtnis kommt es dazu, dass sich Menschen oft sehr stark mit der Vergangenheit der eigenen Nation identifizieren.« (IKUD Seminare o.J.)

Literatur:

Website von IKUD Seminare, Glossar, Selbstbild der Gruppe & Weiterreichen von kulturspezifischem Gut: Das kulturelle Gedächtnis, o.J., https://www.ikud.de/glossar/kulturelles-gedaechtnis.html (zuletzt abgerufen am 21.11.2021).

Kunstverständnis, westliches, bürgerliches

Das westliche, bürgerliche (siehe bürgerlich) Kunstverständnis ist das Kunstverständnis der bürgerlichen Klasse, die bis heute eine dominante künstlerische, soziale und wirtschaftliche Vormachtstellung innehat. Auch wenn das Verständnis von Kunst sich im Laufe der Zeit veränderte, können gewisse Tendenzen ausgemacht werden. Einerseits ist Kunst das Produkt eines individuellen Schöpfers (Genie) und genießt eine autonome Stellung, d.h. muss für sich allein betrachtet werden. Andererseits dient Kunst auch der Bildung und der Ausbildung des Geschmacks. Kunst ist somit verknüpft »mit moralischen, ökonomischen und erzieherischen Anliegen.« (Mörsch 2019, S. 122)

Literatur:

Mösch, Carmen: Die Bildung der A_n_d_e_r_e_n durch Kunst. 1. Aufl., Wien: Zaglossus, 2019.

L

Leerstellen

Bei Leerstellen handelt es sich um Wissenslücken, Unwissenheiten z.B. bei weißen Flecken, die sowohl bei Individuen (z.B. im Handeln oder Sprechen) als auch in gesellschaftlichen Systemen (im Curriculum z.B. Lehrplan, in Bücherbeständen, in der Geschichtsschreibung, in den Künsten etc.) tief verankert sind. Sie gehören zum diskriminierungskritischen Lernprozess dazu und können bei der Bewusstwerdung über das eigene Unwissen Scham, Angst und Wut auslösen. Dies hängt unter anderem mit einer mangelnden Fehlerkultur zusammen, in denen Fehler und Unwissenheit auf individuelles Verschulden zurückgeführt werden. Dabei handelt es sich um eine historisch gewachsene und auch politisch gewollte Reproduktion von Wissenslücken, die von Diskriminierung betroffene Menschen daran hindert zu rebellieren und privilegierten Menschen, die von dem System profitieren, keinen Anlass gibt, Unrecht zu verhindern. Leerstellen dienen also der Aufrechterhaltung der Machtposition.

Das bedeutet auch, dass solche Wissenslücken als kollektives Verschulden gedacht werden müssen und diskriminierende Handlungen, Unwissenheiten und Leerstellen kollektiv verantwortet werden. Auf individueller Ebene können Menschen in privilegierten Positionen unterstützen, wenn von Diskriminierung betroffene Menschen ihre Gewalterfahrungen teilen oder Verletzungen sich aufgrund von Wissenslücken ergeben. Dann heißt es, diese anzunehmen, zuzuhören, Raum zu geben, zu unterstützen und als einen Lernmoment zu begreifen.

Lesen (im Kontext von Critical Diversity Literacy)

Lesen verstehen und nutzen wir im vorliegenden Lehr-Lernmaterial im Sinne eines diskriminierungskritischen Lesens. Die Idee eines diskriminierungskritischen Lesens bzw. einer Lesefähigkeit ist dem Konzept Critical Diversity Literacy (CDL) entlehnt, das von der weißen südafrikanischen Kommunikationswissenschaftlerin Melissa Steyn entwickelt wurde und in das im Begleitheft ausführlich eingeführt wird. Es stellt hier »eine konzeptuelle Rahmung für die Lehre und Forschung zum Aufbau von diskriminierungskritischem Wissen […] [dar]«. (Mörsch 2018) Gegenüber Carmen Mörsch beschrieb Steyn CDL selbst mal als eine Linse, scharf geschliffen, »für eine Brille, mit der die Welt gelesen wird; als ›Set von Praktiken‹; als ›Lesepraxis‹ und als ›Befähigung‹. Das Wort ›Literacy‹ = dt. Lesefähigkeit – trägt als Voraussetzung die Idee der Alphabetisierung in sich – genau das, worum es bei der Ausbildung einer diskriminierungskritischen Perspektive in der Kulturellen Bildung meines Erachtens gehen muss. Mit der vorangestellten Bezeichnung ›Critical‹ re-politisiert Steyn zudem die Konzepte ›Diversity‹ und ›Literacy‹. Denn gerade ›Diversität‹ wird häufig als leicht zu habende, auch ökonomische Bereicherung gepriesen. [Die Voranstellung des Begriffs] ›Critical‹ kann in diesem Zuge durchaus auch [als ein […] taktische[r][…] Zug im Kampf um Hegemonie [verstanden werden]«. (vgl. ebenda) 

»›Literacy‹ [, also die Lesefähigkeit,] wiederum steht häufig für das Versprechen der eindeutigen und durch Tests zu gewährleistenden Überprüfbarkeit von individuellem Lehren und Lernen. Demgegenüber beruht CDL auf einem Konzept von Literacy, bei dem Lesefähigkeit permanent über soziales Handeln intersubjektiv hergestellt und damit überhaupt erst definiert wird. […] Die Indikatoren, an denen Steyn eine Lesefähigkeit im Hinblick auf Diskriminierungskritik festmacht, sind folgende:

  • Verstehen, dass Differenzkategorien wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung, Klasse und Rassisiertheit sozial hergestellt sind.
  • Verstehen, was Intersektionalität ist, also das Zusammenwirken dieser Kategorien bei der Herstellung von Ungleichheit erkennen können.
  • Verstehen, was vor diesem Hintergrund Privilegiertheit ist. Auf dieser Grundlage eine kritische Selbstpositionierung vornehmen können.
  • Über eine Sprache verfügen, Begriffe kennen, um Ungleichheit und Herrschaftsverhältnisse benennen zu können.
  • Hegemoniale Adressierungen erkennen/dekodieren können.
  • Verstehen, was die Kontinuitäten von historisch gewachsenen Herrschaftsverhältnissen in der Gegenwart sind.
  • Und schließlich, im Wissen um alldem [sic!] den Willen zur Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit entwickeln.« (Mörsch 2018)

Nochmals betont werden soll, dass dem Begriff Lesefähigkeit die Idee der Alphabetisierung vorausgeht – wie oben bereits beschrieben – und dass damit auch deutlich wird, dass eine diskriminierungskritische Perspektive nicht einfach so vorhanden ist, sondern dass diese entlang der formulierten Indikatoren erlernt werden muss, aber eben auch erlernt werden kann.

Literatur:

Mörsch, Carmen: »Critical Diversity Literacy an der Schnittstelle Bildung/Kunst: Einblicke in die immerwährende Werkstatt eines diskriminierungskritischen Curriculums«, 2018. In: Kulturelle Bildung, Website, o.J.; online unter https://www.kubi-online.de/artikel/critical-diversity-literacy-schnittstelle-bildung-kunst-einblicke-immerwaehrende-werkstatt (zuletzt abgerufen am 07.01.2022).

liberal, Liberalismus

Der Liberalismus ist ein politisches und philosophisches Leitbild, das bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann, sich aber im Laufe der Zeit immer wieder veränderte. Im Zentrum des Liberalismus steht jedoch immer die Freiheit des Individuums und die Konkurrenz zwischen den Individuen. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Staat diese Freiheit zu gewährleisten hat. Dazu gründeten sich zum Beispiel Justiz- und Polizeiapparate. Gleichzeitig betrachteten Liberale den Staat immer als mögliche Gefahr, da dieser die Freiheit des Individuums einschränken könnte (vgl. Ball et. al. 2020).

Kritik am Liberalismus lässt sich besonders aus historischer Sicht begründen, da dieser immer wirtschaftliche Ausbeutungsverhältnisse im Rahmen des Kapitalismus verteidigt hat. Prominente historische Vertreter wie John Locke verteidigten zum Beispiel die Sklaverei. Weiter sprach sich John Stuart Mill gegen Arbeiter_innenbewegungen aus und forderte die liberale Freiheit ausschließlich für weiße Europäer_innen. Kritiker_innen werfen dem Liberalismus deshalb unter anderem vor, dass dieser die Freiheit nur als das Recht auf Eigentum und Besitz einer privilegierten Minderheit (hier das Bürgertum) verstehe. Historisch lässt sich so auch erklären, warum die ersten liberalen Staaten – die Niederlande, Großbritannien und später die USA – den Sklavenhandel in der Kolonialzeit maßgeblich bestimmten. Die Besitzenden in diesen Staaten gründeten ihren Wohlstand auf der Versklavung (und später Ausbeutung) von Sklav_innen oder Arbeiter_innen. Der propagierte Universalismus der Freiheit, also dass jeder Mensch frei sein sollte, galt für lange Zeit nur für eine privilegierte Minderheit (vgl. Bastani 2021).

Auch wenn sich dies zumindest innerhalb der liberalen Staaten des 21. Jahrhundert teilweise verbessert hat, so führt doch vor allem die Gleichsetzung von Freiheit und Eigentum dazu, dass liberale Staaten systematisch nicht in der Lage sind, nationale oder globale Ungleichheit zu bekämpfen.

Literatur:

Ball, Terence/Minogue, Kenneth/ Girvetz, Harry K/Dagger, Richard: »Liberalism«. In: Encyclopedia Britannica, 2020; online unter https://www.britannica.com/topic/liberalism (zuletzt abgerufen am 23. Oktober 2021).

Bastani, Aaron: »How Liberals Rewrite Their Own History«. In: Tribune Magazine, 2021; online unter https://tribunemag.co.uk/2021/04/how-liberals-rewrite-their-own-history (zuletzt abgerufen am 23.10.2021).

Lookismus (Lookistische Diskriminierung)

»Lookismus bezeichnet die Diskriminierung von Personen, deren Körper von gesellschaftlich gesetzten Normen abweichen. Bei diesen Normen handelt es sich um vielfältige Körper- und Schönheitsnormen die z.B. suggerieren, dass Normkörper gesund, schön, [jung] und leistungsfähig seien und zu sein haben. Ein Beispiel für Lookismus ist die Abwertung von Menschen mit hohem Körpergewicht und die Zuschreibung von Attributen wie undiszipliniert oder unsportlich allein aufgrund des Körpergewichts.

Lookismus ist ein Konzept, das sich nicht so einfach mit anderen –ismen (wie Rassismus oder Sexismus) in eine Reihe stellen lässt. Es bietet vielmehr einen Analyserahmen und einen Namen für vielfältige Diskriminierungserlebnisse aufgrund der Be- und Abwertung von Körpern und deckt damit Leerstellen in den anderen Konzepten ab. Lookistische Diskriminierungen erleben auch zum Beispiel Transpersonen, deren Körper als abweichend von einer gesetzten binären Geschlechternorm bewertet werden.« (FUMA 2020)

Literatur:

Website von FUMA Digital, Fachstelle für Gender & Diversität NRW, #Lookismus, 2020, https://www.gender-nrw.de/lookismus-2/ (zuletzt abgerufen am 16.12.2021).

M

Machtkritik 

Ausgehend davon, dass Diskriminierung auf Machtverhältnissen (siehe Machtverhältnisse/Machtstrukturen) aufbaut, ist die Machtkritik eine kritische Betrachtung und Auseinandersetzung mit Fragen rund um das menschliche Zusammenleben, welches durch politisches und institutionelles Handeln (siehe Institutionalisierung), wie z.B. die Erlassung von Gesetzen oder Verordnungen beeinflusst wird. Politisches Handeln und Handlung von Institutionen üben zugleich Macht und Gewalt aus, die bestimmte Menschengruppen ausschließen und schlimmstenfalls zu ihrem Tod führen kann. Das Ziel einer machtkritischen Perspektive ist es somit, Ungleichheit und Ungerechtigkeit anhand von sozialen Ungleichheitskategorien (siehe Kategorien) zu analysieren und ihre Wirkungen auf das menschliche (Zusammen-)leben zu hinterfragen, zu schauen, wo (soziale) Ausgrenzungen stattfinden und inwiefern die historischen Zusammenhänge, die Politik und gesellschaftliche Normen diese verursachen.

Machtverhältnisse/ Machtstrukturen

»Es gibt immer Menschen, die durch ihre besonderen Privilegien (weiß / männlich / nicht-›behindert‹ / heterosexuell etc.) eine Überlegenheit und mehr Chancen haben und damit in einer machtvolleren Position gegenüber weniger privilegierten Menschen stehen. Diese Machtverhältnisse prägen alle gesellschaftlichen Bereiche, wie zum Beispiel Institutionen oder zwischenmenschliche Beziehungen. Dementsprechend gibt es ökonomische, soziale, situative, rechtliche, politische etc. Macht, die auf institutioneller (z.B. Gesetze, Arbeitsmarkt), zwischenmenschlicher (z.B. Mobbing, sexuelle Belästigung) und ›kulturell‹-gesellschaftlicher Ebene (z.B. Normen, Werte, Werbung, Film) wirkt. Ungleiche Machtverhältnisse führen zu Bevorteilung (Privilegierung) und Benachteiligung (Diskriminierung), wie Sexismus, Rassismus, Ableismus, Klassismus«. (quixkollektiv 2016)

»Machtverhältnisse sind strukturelle Diskriminierungs- und Privilegierungs-verhältnisse. Macht ist nicht unbedingt repressiv und eindeutig, ist nicht nur an einer individuellen Position festmachbar, sondern prägt jede gesellschaftliche Situation als Machtverhältnis. Machtverhältnisse begünstigen privilegierte Personen(gruppen), die z.B. an der Universität in und durch Statusverhältnisse institutionalisiert werden können.« (AG Feministisch Sprachhandeln o.J.)

Literatur:

Website der AG Feministisch Sprachhandeln, Glossar, Macht- und Statusverhältnisse, o.J., https://feministisch-sprachhandeln.org/glossar/ (zuletzt abgerufen am 28.5.2021).

Website von quixkollektiv, Glossar, Macht(verhältnisse/strukturen), 2016, https://www.quixkollektiv.org/glossar/allgemeines-glossar/ (zuletzt abgerufen am 13.05.2021).

männlicher Blick (engl. male gaze) 

»Das psychoanalytische Konzept gaze als ›aktiv-männlicher, kontrollierender und neugieriger Blick‹ innerhalb einer feministisch ausgerichteten Filmtheorie geht auf einen Vortrag Laura Mulveys in französischer Sprache aus dem Jahre 1973 zurück, der zuerst 1975 auf Englisch erschien und seitdem in einer Vielzahl von Nachdrucken und Übersetzungen zugänglich ist. In diesem Text beschäftigt sich die Autorin unter Rückgriff auf Freuds Sexualtheorie mit der bei Männern und Frauen unterschiedlich zu definierenden Lust am Schauen (Skopophilie) ›in der konventionellen Kinosituation‹ und ihren Beziehungen zum Sexualtrieb sowie zur Ich-Libido. Dabei definiert sie den unterschiedlichen Blick von Mann und Frau wie folgt: ›In einer Welt, die von sexueller Ungleichheit bestimmt ist, wird die Lust am Schauen in aktiv/männlich und passiv/weiblich geteilt. Der bestimmende männliche Blick [= gaze] projiziert seine Phantasie auf die weibliche Gestalt, die dementsprechend geformt wird. In der Frauen zugeschriebenen Rolle als sexuelles Objekt werden sie gleichzeitig angesehen und zur Schau gestellt, ihre Erscheinung ist auf starke visuelle und erotische Ausstrahlung zugeschnitten, man könnte sagen, sie konnotieren ›Angesehen-werden-Wollen‹.‹ Diese These versucht Mulvey anhand der Struktur klassischer Hollywood-Filme zu belegen. Zudem geht sie davon aus, dass im Kino dargestellte Frauen auch als Signifikant der Kastrationsdrohung fungieren. Letztlich ist es diese Funktion, die dem unbeschwerten Vergnügen des männlichen Blicks (potentiell) im Wege steht. Mulveys Artikel hat bis heute eine Vielzahl von Büchern und Aufsätzen zum Thema gaze inspiriert. Er war aber auch von Anfang an umfangreicher Kritik ausgesetzt. Hierzu gehört etwa der Vorwurf, dass ihre Theorie die Möglichkeit eines weiblichen Blicks ebenso ausblende, wie die Option Filme gleichsam gegen den Strich zu lesen. (vgl. u.a. Kaplan 1983) Außerdem wurde darauf verwiesen, dass Männer keineswegs stets den Blick kontrollieren, sondern im Mainstream-Kino Hollywoods insbesondere seit den 1980er Jahren auch eine (sexualisierte) Darstellung des männlichen Körpers zu beobachten ist. (Neale 1983/ 1993) Ferner bleibt festzuhalten, dass Mulvey keine empirische Studie tatsächlicher Zuschauer, etwa im Sinne eines ethnographischen Ansatzes der Rezeptionsforschung, vorgenommen hat (Mayne 1993).« (Kazcmarek/Jahn-Sudmann 2012.)

Aus queerer Perspektive lässt sich am Konzept »male gaze« und den hinzugezogenen Theorien kritisieren, dass diesen ein binäres Verständnis von Geschlecht – männlich und weiblich – zugrunde liegt.

Literatur:

Kaczmarek, Ludger/Jahn-Sudmann, Andreas: »gaze, male gaze«. In: Lexikon der Filmbegriffe, 2012.; online unter https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/g:gazemalegaze-2378 (zuletzt abgerufen am 07.01.2022).

Marginalisierung, marginalisiert

»bezeichnet die Verdrängung von Individuen oder Bevölkerungsgruppen an den Rand der Gesellschaft. Die Verdrängung kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen, also zum Beispiel geografisch, wirtschaftlich, sozial oder kulturell sein; meist spielt sie sich auf mehreren Ebenen gleichzeitig ab.

Marginalisierung findet in einem Machtgefüge statt und geht mit Diskriminierung einher: Je weiter am gesellschaftlichen Rand sich eine Gruppe befindet, desto weniger Macht hat sie und desto stärker ist sie gegenüber der gesellschaftlichen Mitte benachteiligt. Marginalisierung beinhaltet den Verlust von Ressourcen, Einflussmöglichkeiten sowie Status und kann sich auf die psychische und physische Gesundheit auswirken. Wenn es sich bei der marginalisierten Gruppe um eine Minderheit handelt, lässt sich im Fall der psychischen und physischen Folgen auch von Minderheitenstress sprechen. Aber Marginalisierung betrifft nicht nur Minderheiten. So wird in einer patriarchalen Gesellschaft Weiblichkeit marginalisiert, obwohl Frauen keine Minderheit sind.

Im Kulturbetrieb haben marginalisierte Akteur*innen unter anderem schlechtere Zugänge zu Förderung und einflussreichen Positionen. Sie wählen häufig Kunstformen, bei denen die Zugänge weniger stark reglementiert sind, wie zum Beispiel bei zeitgenössischem Tanz oder Spoken Word im Vergleich zu Ballett und Lyrik. Ihre Kunst findet in der Regel in Nischenräumen statt und es wird ihnen abgesprochen, dass ein größeres Publikum sich für ihre Themen interessiert.« (Diversity Arts Culture o.J.)

Literatur:

Website von Diversity Arts Culture, Glossar, Marginalisierung, o.J., https://diversity-arts-culture.berlin/en/node/68 (zuletzt abgerufen am 17.10.2021).

materieller Wert

Materiell bedeutet so viel wie »die Materie […] betreffend, auf ihr beruhend, von ihr bestimmt; stofflich, dinglich, gegenständlich, körperlich greifbar« oder auch »wirtschaftlich, finanziell«. (vgl. Duden 2021) Der materielle Wert einer Sache ist folglich ein finanzieller Wert, der sich (meist) aus der Materie eines Gegenstandes bzw. auf ihr beruhend ermitteln lässt. Kunst- und Kultobjekte aus einem hochwertigen Metall können einen hohen materiellen Wert (Materialwert) haben, der sich über das Gewicht ermitteln lässt. Anders verhält es sich mit dem immateriellen Wert: Eine Kinderzeichnung eines mir anvertrauten Kindes kann einen besonderen immateriellen Wert für mich haben, der sich aus der emotionalen Bindung zu dem Kind ergibt und weniger aus dem dinglich, körperlich greifbaren Wert des Materials (z.B. Papier, Wachsmalkreide) selbst. Häufig spielen aber materieller Wert und immaterieller Wert bei der Bewertung einer Sache eine Rolle: Geraubte Kunst- und Kultobjekte – man denke an die sogenannten Beninbronzen im Humboldtforum Berlin – haben einerseits aufgrund der Materialität einen hohen materiellen Wert und besitzen für eine Gruppe (der diese Objekte entrissen wurden) einen hohen immateriellen, ideellen Wert, der sich aus der Relevanz und Stellung der Objekte für eine spezifische Kultur und deren Rezeption ergibt. 

Literatur:

Website des Dudenverlags, materiell, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/materiell (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

mehrfache Diskriminierungserfahrung

intersektionale Verwundbarkeit

Wir gehen in diesem Material in der Regel von einem intersektionalen Verständnis (siehe Intersektionalität) von mehrfacher Diskriminierung aus:

»Manchmal wird aber mit mehrfacher Diskriminierung die Idee gefasst, dass Menschen von mehreren Arten von Diskriminierung betroffen sind, da sie in Bezug auf verschiedene Kategorien der Ungleichheit [(siehe Kategorien)] eine benachteiligende Merkmalsausprägung haben, und sich diese zusammenrechnen lassen und gegenseitig verstärken, während intersektionale Diskriminierung von einer Nicht-Trennbarkeit und einem spezifischen Zusammenwirken ausgeht, wobei beides nicht immer eindeutig voneinander zu unterscheiden sei« (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019)

Literatur:

Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Diskriminierung an Schulen erkennen und vermeiden. Praxisleitfaden zum Abbau von Diskriminierung in der Schule. 4. Aufl., 2019, S. 7; online unter https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Leitfaeden/leitfaden_diskriminierung_an_schulen_erkennen_u_vermeiden.html?nn=304718 (zuletzt abgerufen am 25.5.2021).

Mehrheitsangehörige/ Angehörige der Mehrheitsgesellschaft

»Mehrheitsgesellschaft bezeichnet – entgegen der wörtlichen Bedeutung – nicht unbedingt eine quantitativ überlegene, sondern vielmehr sozial dominante und privilegierte Gruppe, die die gesellschaftliche Norm (etwa weiss, westlich, heterosexuell, säkularisiert, etc.) verkörpert, von der aus bestimmt wird, wer als Minderheit gilt. Mehrheit und Minderheit beschreiben also kein Zahlen-, sondern ein Machtverhältnis. Um diesen Aspekt der Macht hervorzuheben, wurde alternativ der Begriff Dominanzkultur [oder Dominanzgesellschaft] für Mehrheitsgesellschaft vorgeschlagen.« (Seefranz o.J.)

Literatur

Seefranz, Catrin: »Mehrheitsgesellschaft« In: Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (Hg.): Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung, o.J.; online unter https://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=10&m2=3&lang=d (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

mehrheitskonformes Erscheinungsbild

Das bedeutet, dass die Art und Weise wie ich mich kleide, wie ich meinen Körper schmücke, aber auch wie mein Körper generell beschaffen ist, den Normen und Wertevorstellungen entsprechen, die den sogenannten Mehrheitsangehörigen bzw. der sogenannten Mehrheitsgesellschaft entsprechen (siehe Mehrheitsangehörige). Ich kann damit z.B. eine gewisse Klassen-/ Schicht-/ Milieuzugehörigkeit zur Schau stellen, suggerieren oder auch verdecken, was jedoch nur bis zu einem begrenzten Punkt möglich ist, da sich diese Zugehörigkeiten auch durch einen bestimmten Habitus (siehe Habitus) vermitteln. Minorisierte Menschen können einem Anpassungsdruck, der Erwartung der Mehrheitsangehörigen dies zu tun, ausgesetzt sein.

Melchior

Überlieferte Figur aus der christlichen Erzählung von Jesu Geburt, ursprünglich war im die Rede von »Sterndeutern«, daraus wurden im Verlauf der Geschichte Magier und dann Könige, die später den Kontinenten Afrika, Asien und Europa zugeordnet wurden: Melchior ist hierbei der König, der dem afrikanischen Kontinent zugeordnet wird und der durch die Geschichte hinweg oft rassistisch dargestellt wird. (vgl. Hartmann 2020)

Literatur:

Hartmann, Christoph Paul: Streit um Krippenfiguren und Sternsinger. Wie ein heiliger König schwarz wurde – und Opfer von Rassismus, 2020; online unter https://www.katholisch.de/artikel/27230-wie-ein-heiliger-koenig-schwarz-wurde-und-opfer-von-rassismus (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

Methode

Eine Methode bezeichnet in der Pädagogik im Allgemeinen meist ein regelgeleitetes Verfahren z.B. um sich einen Inhalt zu erarbeiten, einen Text zu verfassen, Gespräche und/oder Gruppenprozesse zu steuern, etc.

»Unter ›Methoden‹ verstehe ich hier die Mischung aus Praktiken und Konzepten, mit denen wir die Arbeit an der Schnittstelle von Bildung und Kunst gestalten. […] suggeriert der Begriff, es gäbe klar bestimmbare, systematische Vorgehensweisen, die zuverlässig und nachprüfbar zu einem Ergebnis führen, das als wahr respektive richtig gelten kann. Wenn ich mir dagegen die Wortherkunft anschaue, scheint es bei ›Methode‹ eher um ein der Vielschichtigkeit der Wirklichkeit Hinterher-Laufen, um ein Noch-nicht-am-Ziel-Sein zu gehen. Der Begriff kommt aus dem griechischen μέθοδος (méthodos) und setzt sich zusammen aus μετά (metá) „hinter, nach“ und ὁδός (hodós) ›Weg‹.« (Mörsch 2022)

Literatur:

Mörsch, Carmen: »Intro – Methoden«. In: Bildungsmaterialien für diskriminierungskritische Perspektiven an der Schnittstelle Bildung/ Kunst, 2022.

Mikroagressionen

In der US-amerikanischen Forschung werden »[…] drei Formen subtiler [unauffälliger] Aggressionen unterschieden […]: ›Micro-Assault nennt sich das. Das heißt: ein Angriff, der schon expliziter ist und das kann zum Beispiel eine Bezeichnung sein, mit dem N-Wort [siehe N-Wort]. Es kann aber auch ein diskriminierendes Verhalten sein, das heißt, ganz explizit Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer vermuteten Herkunft anders und zwar nachteilig zu behandeln. Und dann gibt es die Kategorie zwei, die Micro-Insult, die Beleidigungen, die auf die Herkunft oder die Identität zielen.‹ […] ›Und dann hätten wir die dritte Kategorie‹, erläutert Yeboah. ›Micro-Invalidation, die Ungültigkeitserklärung. Einfach die Erlebnisrealitäten negieren, zum Beispiel zu sagen, ja du hast diese Erfahrung gemacht, das kann gar nicht sein. Wir sind doch alle Menschen. Oder diese Behauptung zu sagen, ich sehe gar keine Farben, ich behandle alle Menschen gleich.‹[…]« (Yeboah 2018)

Literatur:

Yeboah, Amma im Interview mit Azadê Peşmen und Lydia Heller: »Weiße Flecken auf wissenschaftlicher Landkarte«, 26.12.2018. In: Deutschlandradio: Wissenschaften im Brennpunkt. RassendenkenTeil 2; online unter https://www.deutschlandfunk.de/rassendenken-teil-2-weisse-flecken-auf-wissenschaftlicher.740.de.html?dram:article_id=436622 (zuletzt abgerufen am 17.06.2021).

minorisiert

minorisierte Körper
minorisierte Perspektive
minorisiertes Wissen

Minorisiert ist das Adjektiv zum Substantiv Minorität. Minorität bedeutet Minderheit; Menschen denen aufgrund spezifischer Differenzkategorien eine minorisierte gesellschaftliche Stellung zugesprochen wird, werden demnach als Minderheit(en) bezeichnet.

»Während im allgemeinen Sprachgebrauch mit dem Begriff häufig nur das quantitative Verhältnis von Mehrheit und Minderheit erfasst wird, betont der sozialwissenschaftliche Minderheitenbegriff, dass die Minderheitengruppe ›anders‹ insofern ist, als sie sich von den vorherrschenden Normalitätsentwürfen der Gesellschaft unterscheidet. Ein Beispiel ist die Vorstellung, Männer oder das wie auch immer geartete Männliche seien die Norm, Frauen seien eine Abweichung von dieser Norm. Welche Kriterien bei der Festlegung der gesellschaftlichen Norm eine Rolle spielen, ist eine Frage der gesellschaftlichen Macht und das Ergebnis einer sozialen Setzung (einer gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit).« (IDA-NRW o.J.)

In diesem Sinne bezeichnet die Umschreibung minorisierte Körper, Körper, die mit einer vermeintlichen Minderheit assoziiert werden: In einer von weißen, heterosexuellen, fitten, Cis-Männern regierten Welt, werden Schwarze, queere, nicht fitte Körper minorisiert und be_hindert, weil sie dominierenden Normalitätsvorstellungen nicht entsprechen. Minorisierte Perspektiven sind dann folglich solche Perspektiven, die eben nicht diesen vermeintlichen Mehrheiten angehören/gleichen und qua Macht gezielt oder unbewusst unsicht-/unhörbar gemacht werden. Wissen, welches minorisiert wird, ist wiederum solches Wissen, das z.B. keinen Eingang in zentrale Diskurse der Wissenschaft, Kunst etc. findet bzw. bewusst ausgeklammert wird: Während das Wissen um weiße abstrakte Maler in Form vieler Schulbücher des Faches Kunst zirkuliert, wird die lange Tradition Schwarzer Abstraktion und das Wissen dieser Maler_innen ausgeblendet, ignoriert und findet kaum bis keinen Eingang in solche Publikationen. Wissen, welches also nicht mit Entwürfen von vermeintlicher Normalität kongruent ist, kann demnach als minorisiertes Wissen, Wissen von Minderheiten, bezeichnet werden.

Literatur:

Website von Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW), Glossar, Minderheit, https://www.ida-nrw.de/service-navigation/glossar/, (zuletzt abgerufen am 15.06.2021).

mittelschichtig, Mittelschicht, mittelschichtskonform

(siehe auch bürgerlich, Bürgertum)

»mittelschichtskonforme Körpersprache, Verhalten und Geschmack«

»Neben die objektive Struktur der Klassen stellt Bourdieu eine zweite Struktur, um die Ungleichheiten im sozialen Raum abzubilden: die Struktur der Lebensstile, also der Wertvorstellungen, der ästhetischen Vorlieben und Geschmäcker, der Präferenzen in Konsum und Lebensführung. […] Er ist der Auffassung, dass ästhetische Urteile, Freizeitpräferenzen, Wahrnehmungsschemata, Praxisformen u.Ä. zu systematischen Mustern – und damit zu Lebensstilen – zusammengebunden sind […]«. (Fuchs-Heinritz/König 2014, S. 144f.)

Mit mittelschichtskonformer Körpersprache, Verhalten und Geschmack ist in diesem Material im Wesentlichen ein bestimmter Habitus (siehe Habitus) gemeint, der mit den Normen mittlerer Gesellschaftsschichten bzw. dominanter gesellschaftlicher Gruppen übereinstimmt. (vgl. Sinus Institut 2021) Bekannt für seine soziologischen Schriften zum bürgerlichen Habitus ist Pierre Bourdieu (siehe auch bürgerlich). Ganz konkret gemeint sind damit zum Beispiel Dinge wie eine aufrechte Körperhaltung, ein dynamischer und fester Gang, aufrecht zu sitzen, laut und deutlich zu sprechen, Blickkontakt zu halten, nicht zu stark oder hektisch zu gestikulieren. In verschiedenen gesellschaftlichen Schichten gibt es bestimmten Werteorientierungen, die verbunden sind und sich untereinander aber doch stark unterscheiden. Körperschmuck und Kleidung, aber auch Konsumgewohnheiten im Allgemeinen spielen auch eine Rolle. Generell wandeln sich die Normvorstellungen mit den sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen. Mittelschichtskonformes Verhalten und Geschmack kann demnach genauso bedeuten, mit leuchtend-bunter Regenjacke und Bio-Fairtrade-Müsli oder mit gebügeltem Hemd und schwarzem Cardigan und Kaffee im Pappbecher in der Vorlesung zu sitzen, entsprechendes Kapital (siehe Kapital) vorausgesetzt.

Literatur:
Fuchs-Heinritz, Werner/ König, Alexandra: Pierre Bourdieu. Eine Einführung. 3. Aufl., Konstanz: UKV Verlag. 2014.
Website von Sinus Institut, Sinus-Milieus Deutschland, 2021, https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus/sinus-milieus-deutschland (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

Moderne

Moderne bezeichnet die Epoche der Entwicklung und Etablierung einer Weltanschauung, in der das Individuum im Zentrum steht. Sie löste im 16. Jahrhundert die mittelalterliche Ständegesellschaft ab und verbreitete sich weltweit, sodass deren Auswirkungen bis heute weltweit Teile der Gesellschaft betrifft. Die Moderne entwickelte sich im Zuge der Aufklärung (siehe Aufklärung). Im Fokus stand die Entzauberung bzw. Rationalisierung der Welt. Von der ständischen Gesellschaft etablierte sich die liberale Bürgergesellschaft – vermeintlich freie und mündige Individuen, unter dessen Voraussetzung die Demokratie praktiziert wurde. (vgl. Spektrum o.J.)

Die weltweite Verbreitung der Moderne erfolgte im Zuge des Machtgewinns europäischer Imperialmächte:

»Die Unterseite der Moderne beinhaltete den Sklavenhandel, koloniale Eroberungskriege, gewalttätige zivilisatorische Missionen, gewaltsame Christianisierung, materielle Enteignungen und andere Formen von Gewalt. Die Oberseite der Moderne war das Aufblühen individueller Freiheiten, das allgemeine Wahlrecht, die Massendemokratie, die Säkularisierung und die Befreiung der Massen von der Tyrannei von Tradition und Religion, Rationalität und wissenschaftlicher Geist, Volksbildung, Technologie und viele andere Errungenschaften. Ob eine die schlechteren oder besseren Aspekte der Moderne kennenlernen würde, hing davon ab, auf welcher Seite des Abgrunds man geografisch verortet war – und damit davon, in welche Kategorie von ›Rasse‹ man eingestuft wurde.« (Ndlovu-Gatsheni 2013, S. 25)

Literatur:

Ndlovu-Gatsheni, Sabelo J.: Empire, Global Coloniality and African Subjectivity. New York: Berghahn Books, 2013 (Zitat übersetzt ins Deutsche von C. Mörsch).

Website von Spektrum, Online-Lexikon der Geographie, Moderne, o.J., https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/moderne/5192 (zuletzt abgerufen am 21.11.2021).

Multiple-Choice-Test

Multiple-Choice-Test (Dt.: Mehrfache Auswahl) ist ein Verfahren, das häufig in Prüfungen zum Einsatz kommt. In Multiple-Choice-Tests sollen die Prüflinge eine richtige Antwort unter verschiedenen, auch falschen Antwortmöglichkeiten erkennen. Der wohl größte Vorteil von Multiple Choice-Aufgaben ist die Möglichkeit einer automatisierten Auswertung mit Hilfe eines Software-Tools. Nachteil ist, dass nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung auch vollkommen unwissende Prüflinge einen gewissen Anteil richtiger Antworten liefern werden. In manchen Kontexten wird zwischen »Multiple Choice« (Mehrfachauswahl), »Single Choice« (Einfachauswahl) und »Forced Choice« (eine Antwortoption ist richtig) unterschieden. (vgl. e-teaching.org o.J.)

Literatur:

Website von e-teaching.org, Glossar, MC/ Multiple Choice, o.J., https://www.e-teaching.org/materialien/glossar/multiple_choice (zuletzt abgerufen am 21.11.2021).

N

N-Wort

Das N-Wort wird im deutschsprachigen Raum nicht ausgeschrieben und ausgesprochen. Dabei handelt es sich um eine politische Strategie, koloniale Sprache, in dem Fall die Fremdbezeichnung Schwarzer Menschen nicht zu wiederholen, indem sie von weißen Menschen oder IPoCs (siehe BIPoC) reproduziert werden.

Im US-amerikanischen Raum gibt es soziale Räume wie die Hip-Hop-Kultur, wo der Versuch besteht, diesen Begriff anzueignen. Sie werden als Selbstbezeichnung verwendet, um sich gegen Diskriminierung zu wehren. Im deutschsprachigen Raum herrscht eine andere Debatte um das N-Wort. Der Begriff hat in seiner Wirkmacht in erster Linie die Funktion Schwarze Menschen zu beleidigen und abzuwerten. Wir raten dazu, je nach Subjektpositionierung (z.B. aus einer weißen privilegierten Perspektive) und Kontext (z.B. im öffentlichen Fernsehen), den Begriff im deutschsprachigen Raum nicht zu reproduzieren, indem er bspw. vollständig ausgeschrieben oder/und ausgesprochen wird.

nachhaltig, Nachhaltigkeit

»Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts. Die Ressource Holz sollte nur in dem Maße genutzt werden, in dem sie nachwachsen kann. Seit Ende der 1980er-Jahre wird »Nachhaltigkeit« breit genutzt, um eine Entwicklung zu beschreiben, die die Erde auch für nachkommende Generationen erhält. Nachhaltigkeit in diesem Sinne verstanden bezieht sich gleichermaßen auf die Dimensionen Wirtschaft, Soziales und Umwelt, auch wenn in der Praxis daraus häufig Widersprüche erwachsen. Nachhaltigkeitsziele sind seit 2015 in den Sustainable Development Goals (SDG) international verankert und sollen als Kompass für die weitere Entwicklung aller Staaten – der Länder des Globalen Südens ebenso wie der des Globalen Nordens – dienen.« (Brebit o.J.)

»Nachhaltig zu konsumieren bedeutet unter anderem nur zu kaufen, was  auch benötigt wird, um Müll zu vermeiden und stets auf faire,  umweltschonende Produkte zu achten. Wichtig ist das allerdings nicht nur für das Klima, sondern auch, um gegen rassistische Verhältnisse vorzugehen, die bereits tief in der Gesellschaft des globalen Nordens verankert sind. […] Ein gutes Beispiel bietet hier die Textilindustrie. Um für die im globalen Norden lebende Gesellschaft billige Kleidung zu produzieren, werden die Produktionsstätten namhafter Labels in Billiglohnländer  ausgelagert. […] Die rassistischen Verhältnisse in der Textilbranche zeigen sich, sobald bewusst wird, dass es sich bei den Arbeiter*innen in  der Textilbranche um people of color handelt. [Oder bei Arbeiter_innen in deutschen Fleischfabriken oder auf den Feldern um u.a. osteuropäische Saisonkräfte. Hier spielen Klassismus und Rassismus eine Rolle.] Die Arbeiter*innen haben wenige bis keine Rechte, ihre Arbeitskraft wird strukturell ausgebeutet.  Es scheint ein globaler Konsens darüber zu herrschen, dass es in Ordnung sei, Menschen des globalen Südens auszubeuten. Dies führt dazu, dass Menschen des globalen Nordens ein (mehr oder weniger bewusstes)  Überlegenheitsgefühl gegenüber Menschen des globalen Südens entwickeln. […]«. (Strasser 2020)

Wenig oder nur unsystematisch diskutiert wird in Deutschland bisher ökologische bzw. umweltbezogene Gerechtigkeit. Festzuhalten ist, dass auch in Deutschland besonders sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen unter Umweltbelastungen leiden. Sie werden häufiger krank und haben eine höhere Sterblichkeit, weil sie zum Beispiel an verkehrsreichen Straßen oder in Industriegebieten wohnen. Auch können sie sich weniger Anpassungsmaßnahmen an sich verändernde klimatische Bedingungen leisten. Zudem treffen ärmere Menschen steigende Kosten für Umweltressourcen oder Mobilität schlimmer. Daher darf Umweltpolitik nicht vorrangig durch Verknappung bzw. Verteuerung von Gütern gemacht werden, die ein Umdenken von Verbraucher_innen bewirken soll, um keine sozialen Ausschlüsse hervorzurufen. (vgl. Schlüns 2007)

Literatur:

Website von Brebit. Brandenburgische Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationstage, Glossar, Nachhaltigkeit, o.J., https://www.brebit.org/Glossar.html (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

Schlüns, Julia: »Umweltbezogene Gerechtigkeit in Deutschland«. In: AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE, APUZ 24, 2007; online unter https://www.bpb.de/apuz/30437/umweltbezogene-gerechtigkeit-in-deutschland?p=0 (zuletzt abgerufen am 01.07.2021).

Strasser, Martina: »Was hat Klimaschutz mit Rassismus zu tun?«. In: klimareporter.in, 2020; online unter https://klimareporter.in/was-hat-klimaschutz-mit-rassismus-zu-tun/ (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

Native Americans

Native Americans wird seit den 1960er Jahren als Sammelbegriff verwendet, um die in den USA lebenden indigenen Communities zu bezeichnen. Der Begriff wurde angeeignet (siehe Aneignung) um sich von der Fremdbezeichnung Indianer_in zu distanzieren. Seit den 1980er Jahren wurde der Begriff indigenous (dt. indigen) eingeführt, was »ursprünglich« bedeutet. Es herrscht innerhalb der indigenen Community bis heute eine Debatte darum, welche Bezeichnung als Sammelbegriff gewählt werden soll. Die Begriffe »Native American«, »American Indians« oder »indigenous People« werden von unterschiedlichen Communities akzeptiert bzw. abgelehnt. Die meisten indigenen Menschen bevorzugen es jedoch beim Community-Namen z.B. Navajos, Hopi, Cheyenne, Cree, Shoshonen etc. genannt zu werden.

neoliberal, Neoliberalismus

Neoliberalismus beschreibt eine politische Ideologie und Volkswirtschaftslehre, die etwa seit den 1970er Jahren bis heute weltweit dominant ist. Grundsatz ist die Ausrichtung der Gesellschaft nach den Prinzipien des Marktes und für den Profit: Privatwirtschaftlicher Wettbewerb, Freihandel und unternehmerische Freiheit sollen letztendlich dazu führen, dass Wohlstand entsteht. Der Staat ist in diesem Fall nur dafür da, dass dieser Wettbewerb stattfinden kann, soll aber so wenig wie möglich eingreifen. (vgl. Harvey 2005)

Konkret bedeutete diese Politik seit den 1970er Jahren die Privatisierung von immer mehr Lebensbereichen (Wohnen, Gesundheit, Bildung usw.), d.h. diese Bereiche sollen ebenso Profit erzeugen wie gewöhnliche Industrien. Darunter leidet deren Qualität für die Allgemeinheit. Industrie wird vermehrt ausgelagert und Produkte werden unter schlechten Arbeitsbedingungen z.B. in Asien, Lateinamerika oder Osteuropa produziert. Durch die Deindustrialisierung und den Fokus auf den Wettbewerb werden arbeitende Menschen gezwungen, sich häufig neue Berufe zu suchen, was oft euphemistisch als Flexibilisierung des Arbeitsmarktes beschrieben wird. Letztendlich bedeutet dies den Verlust der Jobsicherheit für ein vermeintliches individuelles Aufstiegsversprechen. Popkulturell hat sich das Motto durchgesetzt, dass mit Anstrengung alles möglich sei, da die Menschen jetzt wirtschaftlich »frei« seien. In der Realität fällt in die Phase des Neoliberalismus jedoch vor allem wachsende nationale wie globale Ungleichheit (vgl. ebenda).

Literatur:

Harvey, David: A Brief History of Neoliberalism. New York: Oxford University Press, 2005.

neurodivers, Neurodiversität

Neurodiversität (oder Neurodivergenz) ist ein Sammelbegriff »für Personen, deren (zugeschriebene) Funktionen im Gehirn nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen. Manche neurodivergente Menschen erfüllen psychiatrische oder neurologische Diagnosekriterien, wie AD(H)S, Autismus, Depressionen, Epilepsie, Legasthenie oder Psychosen, lehnen Pathologisierung jedoch meist ab. Neurodiversität meint den Ansatz, alle psychischen und neurologischen Zustände zu akzeptieren und diese nicht abzuwerten.« (Queerulant_in o.J.)

Literatur:

Website von Queerulant_in, Glossar, Neurodivergenz/Neurodiversität, o.J., https://www.queerulantin.de/queerulant_in/glossar/ (zuletzt abgerufen 21.10.2021).

nicht-binär (engl. non-binary)

»Nicht binär (engl. non-binary) bezeichnet ein Spektrum von Geschlechtsidentitäten, die außerhalb der binären Geschlechterordnung liegen. Das bedeutet, Menschen die sich als nicht-binär identifizieren, fühlen sich nicht ausschließlich männlich oder weiblich. Innerhalb des nicht-binären Spektrums gibt es daher verschiedene Labels, die Personen für sich verwenden: z.B. Agender (jemand fühlt sich explizit ohne Geschlecht), Bigender (jemand fühlt sich zweigeschlechtlich z.B. als ›Mann‹ und ›Frau‹) oder Genderfluid (das Geschlechtsempfinden ist fließend, d.h. es verändert sich immer wieder). Nicht-binäre Identitäten können unter den Begriff Transgender fallen, da viele nicht-binäre Menschen sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, welches ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Das nicht-binäre Geschlecht bezieht sich auf die empfundene Geschlechtsidentität (engl. gender identity) einer Person und ist unabhängig von dem Geschlechtsausdruck (engl. gender expression; meint Aussehen, Kleidung, Verhalten) oder der sexuellen Orientierung. Während innerhalb von Deutschland weiterhin eine strenge Zweigeschlechterordnung herrscht, werden z.B. in Nord-, Mittel- und Südamerika, in vielen Teilen Asiens, in Afrika sowie Polynesien, Melanesien und Teilen Europas neben ›Mann‹ und ›Frau‹ auch andere Geschlechterkategorien anerkannt. Aufgrund dieser vorherrschenden Zweiteilung erfahren Menschen in Deutschland, die sich als nicht-binär identifizieren oft Diskriminierungen. Dies beginnt bereits in der Sprache: Häufig gibt es nur Pronomen, die weiblich oder männlich sind und somit nicht-binäre Personen ausschließen.« (Say my name 2021)

 

Literatur:

Instagram-Kanal von Say my name. Ein Webvideo-Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung und produziert von der Kooperative Berlin, Was bedeutet nicht-binär?, 2021, https://www.instagram.com/p/CNCbiNpHqLb/ (zuletzt abgerufen am 20.05.2021).

normalisiert, Normalisierung

Im Alltag kommt es vor, dass strukturelle Diskriminierung z.B. Rassismus nicht als problematisch betrachtet wird, da dieser von der dominierenden Gesellschaft als normal anerkannt und in unserem täglichen Leben verankert wurde. Was viele nicht wissen, ist, dass Rassismus nicht nur die Absicht meint, vermeintlich »Fremdes« abzulehnen oder feindselig gegenüberzustehen. Auch auf Bildebene, in der Sprache oder im Namen der »Kunstfreiheit« können rassistische Erzählungen auftreten, zum Beispiel in der Werbung oder bei Produkten, die wir kaufen. Häufig fällt es uns schwer diese direkt zu erkennen, was daran liegt, dass wir uns häufig wenig mit den Bildern und deren Geschichte sowie Tradition auseinandersetzen und die Auswirkungen auf das heutige Leben nicht mitbedenken. Die Gefahr solch einer Normalisierung besteht darin, dass strukturelle Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus, Lookismus etc. weiterhin fortgesetzt werden, da sie nicht als solche (an-)erkannt werden. Durch das Normal-werden-Lassen von Diskriminierung werden Menschen (weiterhin) ausgeschlossen, benachteiligt und verletzt; ein Dagegen-Handeln wird für nicht nötig befunden.

Normierte Körper

siehe körpernormiert, Körpernormen
O

objet trouvé

»Wenn ein Gegenstand der Alltagswelt wie ein zufällig gefundener Gegenstand als Kunst-Objekt behandelt oder wenn es in künstlerische Aktionen integriert wird, spricht man seit den Dadaisten vom objet trouvé. Abfallprodukte, Gebrauchsgegenstände, Fundgegenstände wurden in Collagen und Montagen integriert. Auch die Surrealisten griffen auf solche Praktiken zurück, sprachen den Objekten aber u.U. magische oder unterbewusste Bedeutungen zu, nahmen sie als Anlass zur Erzeugung vorrationaler Bild- und Textproduktion. Im Gegensatz zum eigentlichen ready-made werden hier die Artefakte allerdings symbolisch aufgeladen. Insbesondere der Konzeptkünstler Marcel Duchamp nutzte sie hingegen zur Metareflexion des Kunstbegriffs bzw. den Praxen der Musealisierung. […]«. (Kellerer 1982)

Literatur:

Kellerer, Christian: Der Sprung ins Leere. Objet trouvé, Surrealismus, Zen. Köln: DuMont 1982. zit. nach Website von Das Lexikon der Filmbegriffe, objet trouvé, 2020; online unter https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/o:objettrouve-5319 (zuletzt abgerufen am 18.06.2021).

ökologisch

»Der Begriff Ökologie kommt aus dem Griechischen und bedeutet so etwas wie Lehre des Hauses. Ursprünglich galt dieser Begriff für die Definition, welche die Beziehung von Lebewesen untereinander und zu ihrer nicht lebenden Umwelt erforscht. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff zunehmend auch für die Bezeichnung der aktuellen weltlichen Situation verwendet. Umgangssprachlich gilt der Begriff heute überwiegend nur noch als Ausdruck für umweltschonendes Halten oder Agieren.« (Nachhilfe-Team.net o.J.)

Literatur:

Website von Nachhilfe-Team.net, Was ist Ökologie? Definition und Unterschied zur Ökonomie, o.J., https://www.nachhilfe-team.net/lernen-leicht-gemacht/was-ist-oekologie/ (zuletzt abgerufen am 21.10.2021).

of Color

Othering

»beschreibt den Gebrauch und die Distanzierung von anderen Gruppen, um seine eigene ›Normalität‹ zu bestätigen. Im Deutschen könnte man es mit ›jemanden anders(artig) machen‹ übersetzen. Othering beschreibt den Prozess, sich selbst bzw. sein soziales Bild positiv hervorzuheben, indem mensch eine_n anderen bzw. etwas anderes negativ brandmarkt und als andersartig, das heißt ›fremd‹ klassifiziert. Sei es wegen der (zugeschriebenen) Herkunft, der geographischen Lage, der Ethik, der Umwelt oder der Ideologie. In dieser Differenzierung liegt potenziell hierarchisches und stereotypes Denken, um seine eigene Position zu verbessern und als richtig darzustellen«. (quixkollektiv 2016)

Othering ist, wenn ich bewusst oder unbewusst davon ausgehe, dass eine Person nicht zu »unserer Gruppe« gehört und ich diesen Zustand sozial durch mein Handeln herstelle. Es kann zur Selbstbestätigung dienen, dass die »eigene« Gruppe der »anderen« überlegen sei und damit begründet, warum die »andere« Gruppe benachteiligt wird. (vgl. ZHdK o.J.) Zum Beispiel in dem ich, wenn ich spreche dem Muster »Wir« vs. »Die Anderen« folge und meine Mitmenschen von der Art und Weise wie »die Anderen« angeblich sind, überzeuge. Oder wenn ich Unterricht mache, davon ausgehe, dass »die« auf eine bestimmte Art und Weise erzogen werden müssen, oder ich davon ausgehe, dass »die« dieses und jenes nicht können, weil »die« eben so sind – und sich das zum Beispiel in den Noten zeigt und Schüler_innen schlechter benotet werden.

Literatur:

Website von quixkollektiv, Glossar, Othering, 2016, https://www.quixkollektiv.org/glossar/allgemeines-glossar/ (zuletzt abgerufen am 13.05.2021).

Website von ZHdK Zürcher Hochschule der Künste, Forschung, Ehemalige Forschungsinstitute, Institute for Art Education, Glossar, Othering, o.J., https://www.zhdk.ch/forschung/ehemalige-forschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/othering-5894 (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

P

paternalistisch

Das Adjektiv paternalistisch leitet sich von dem Substantiv Paternalismus ab. »Paternalismus bezeichnet eine sehr zwiespältige Strategie der Unterstützung, Zuwendung oder Einmischung ›von oben‹, aus einer Position der Macht und Überlegenheit heraus für als «bedürftig» verstandene Subjekte, deren Autonomie zu «ihren eigenen Wohl» angefochten wird. Klassische Konfigurationen des Paternalismus, der es immer «gut meint», finden sich im Verhältnis von Eltern und Kindern, Lehrenden und Lernenden, Wohlhabenden und Armen. Die paternalistische Geste, oft subtil hinter Formen und Rhetoriken der Ermächtigung verborgen, führt zu einer Verfestigung von Machtverhältnissen. Differenzierte Kritik am Paternalismus vergisst dabei nicht das Moment von Schutz und Zuwendung, das eine liberale Kritik im paternalistischen ›Wohlfahrtsstaat‹ abgeschafft wissen möchte.«

Literatur:

Website von Zeit für Vermittlung, Glossar, Paternalismus, o.J.,  https://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=10&m2=3&lang=d (Zuletzt abgerufen am 06.01.2022). 

Patriarchat, patriarchal

»Patriarchat heißt übersetzt Vaterherrschaft und beschreibt die Dominanz der Männer und Väter in der Familie, aber auch in der Gesellschaft. Auch wenn wir sie nicht immer sehen, patriarchale Strukturen herrschen in allen Lebensbereichen. Der Begriff ›Patriarchat‹ beschreibt dabei das System, das von Männern für Männer gemacht wurde und wird. Auch wenn sich Frauen an der Aufrechterhaltung beteiligen, ist es dennoch ein System, dass cis Männer begünstigt. Das Patriarchat umfasst alle Normen und Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, die die Vormachtstellung des Mannes aufrechterhalten und schützen. Dabei sind im Patriarchat alle benachteiligt, die vom cis männlichen, heterosexuellen Ideal abweichen, also längst nicht nur Frauen!

Im Patriarchat geht es um Macht und Unterdrückung. Dabei wirkt das System bis in die feinsten Äderchen unserer Gesellschaft. Es sorgt dafür, dass die große Mehrheit der Entscheidungsträger*innen in Politik und Wirtschaft männlich ist, dass Frauen weniger verdienen als Männer, aber einen Großteil der Care-Arbeit leisten. Es sorgt für sexistische Werbung und frauenfeindliche Narrative in Literatur und Popkultur. Das Patriarchat wirkt aber auch subtiler, es prägt unsere Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit, es beeinflusst unser Selbstbild, unser Begehren, unseren Glauben und unsere Ängste.

Dabei schadet es allen: Auch heterosexuelle cis Männer leiden unter den patriarchalen Strukturen, in denen Gewalt als legitime Form der Männlichkeit propagiert wird und ›stark sein‹ vor allem bedeutet, dass Mann(!) nicht über Gefühle reden darf.

Die Überwindung des Patriarchats muss also unser gemeinsames Ziel sein, für eine Welt, in der jede*r so leben darf, wie er oder sie möchte.« (Der Hase im Pfeffer o.J.)

Literatur:

Website von Der Hase im Pfeffer, Glossar, Patriarchat, o.J., https://feminismuss.de/glossar/patriarchat/, (zuletzt abgerufen am 22.10.2021).

Peerverlust

Die Peer Group ist die soziale Gruppe, zu der sich ein Mensch zugehörig fühlt und die einen besonderen Einfluss auf seine Identität hat (vgl. Duden 2021). Insbesondere für Jugendliche wird der Einfluss ihrer jugendlichen Bezugsgruppe, nach der Loslösung von den Werte- und normvorstellungen des Elternhauses, als besonders wichtig erachtet (vgl. ebenda). Insofern stellt der sogenannte Peerverlust also der Verlust der Peer Group , zum Beispiel durch die Übernahme anderer Verhaltensmuster als innerhalb der Gruppe üblich und anerkannt, ein herausforderndes und mitunter verunsicherndes Szenario für Jugendliche dar.

Literatur:

Website des Dudenverlags, Peergroup, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/Peergroup (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

perspektivverschiebend, Perspektivverschiebung

siehe bedeutungsverschiebend, Bedeutungsverschiebung

Plenum (oder Einzelunterricht)

Unterrichtsformen, die zum Beispiel in Kunstakademien oft stattfinden. Im Plenum kommt eine ganze Klasse z.B. Malereiklasse zusammen und diskutiert gemeinsam künstlerische Arbeiten, insbesondere die eigenen Erzeugnisse. Im Einzelunterricht werden mit den Professor_innen die Arbeiten alleine besprochen oder gar zu zweit z.B. Techniken geübt.

Pluriversalität

»Pluriversalität ist ein Konzept wie es von Enrique Dussel, Walter D. Mignolo und anderen Denkern aus dem Kontext der Postcolonial Studies vorgeschlagen wurde. Es beruht auf der Idee, dass keine universalistische, sondern eine ›pluriversale‹ Weltsicht notwendig ist, die von geteilten Geschichten und Kosmologien ausgeht und deren wechselseitige Beziehungen durch das koloniale Machtdifferential reguliert werden.« (ADKDW, o.J.)

Literatur:

Website von ADKDW (Akademie der Künste der Welt, Veranstaltungseinladung), Pluriversale I, o.J., https://www.adkdw.org/de/article/27_pluriversale_i (zuletzt abgerufen am 22.11.2021).

Politisierung

Politisierung beschreibt einen Bewusstseinsprozess, den z.B. Menschen durchmachen, die von Rassismus betroffen sind. Aber auch allgemein Menschen, die beginnen sich mit den politischen Ungerechtigkeiten von Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus etc. auseinanderzusetzen. Sie beginnen sich durch Bücher, Communities, Vernetzung u.v.m. mit struktureller Ungleichheit zu beschäftigen und beginnen in diesem Prozess die Strukturen und Auswirkungen von Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus etc. zu verstehen und sich politisch damit auseinanderzusetzen. Dieser Prozess kann ein sehr emotionaler Prozess sein, in welchem z.B. Schwarze Menschen sich selbst, ihre Bezeichnung und die Gesellschaft als Ganzes hinterfragen. Die Forderungen, die in der politischen Auseinandersetzung entstehen, können dabei auf unterschiedlichen Ebenen übersetzt werden. So z.B. durch das Gründen von Zusammenschlüssen/Interessenverbänden, Aktivismus (on- und offline) oder durch den Gang in die Politik. (vgl. Ogette 2021)

Literatur:

Ogette, Tupoka: Politisierung, 2021, online unter https://www.instagram.com/p/CLJ_VDNnJS7/ (zuletzt abgerufen am 27.11.2021).

Positionierung, Position (soziale)

»Wenn wir vom quix-kollektiv von ›Positionierung‹ sprechen, meinen wir die Verortung einer Person aufgrund unterschiedlicher Identitätsmerkmale und die damit einhergehenden Erfahrungen z. B. durch Diskriminierungen oder Privilegien, die jede Person prägen. So meint die Positionierung als weiße genderqueere Person zum Beispiel, dass eine Person im System Rassismus keine Diskriminierungserfahrungen machen kann, sondern viele Vorteile und Privilegien genießt, während sie im System Sexismus durch ihre Genderidentität Benachteiligungen und Diskriminierungen erfahren kann.« (quixkollektiv 2016)

»Soziale Positionierung ist also eine analytische Kategorisierung, kritische Verortung ist eine konkrete politische Handlung [im Verhältnis zur Positionierung].« (AG Feministisch Sprachhandeln o.J.)

Wenn in diesem Material von der Situiertheit im sozialen Raum gesprochen wird, geht der Begriff auf Donna Haraway und ihr Konzept des »situated knowledge« also »situierten Wissens« zurück. Sie ist eine feministische US-amerikanische Biologin, Wissenschaftsphilosophin und Literaturwissenschaftlerin. Haraway hinterfragt wissenschaftliche und technologische Verfahren, Haltungen und Praktiken nach den sozialen Bedingungen innerhalb derer sie historisch so geworden sind, obwohl sie nicht notwendigerweise so hätten entstehen müssen (»historisch-kontingent«). (vgl. Loick 2013)

Es geht Haraway darum, wie mit der Produktion von Wissen und der Politik, die daraus gemacht wird bzw. dem was Gesellschaften aus Wissen machen, verantwortungs-bewusst und demokratisch umgegangen werden kann. Mit »situiertem Wissen« kritisiert sie das, was in den Wissenschaften gemeinhin unter »Objektivität« verstanden wird: Neutralität, Positionsfreiheit und die Unabhängigkeit des produzierten Wissens von der forschenden Person. Haraway vertritt die Position, dass das durch Wissenschaften erzeugte Wissen nicht von den Forschenden getrennt betrachtet werden kann, dass notwendigerweise die Person und ihre begrenzte Perspektive (aufgrund der eigenen sozialen Prägung und individuell spezifischen körperlichen Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit »verkörpertes Wissen«) einen Einfluss auf die Beobachtung und Interpretation der Ergebnisse hat. Deshalb sollte die eigene Position und Perspektive ihrer Ansicht nach immer kenntlich gemacht werden. (vgl. Institut für Soziologie der Universität Freiburg 2018)

Literatur:

Website von AG Feministisch Sprachhandeln, Glossar, Soziale Positionierung und kritische Verortung, o.J., https://feministisch-sprachhandeln.org/glossar/ (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

Website von Institut für Soziologie der Universität Freiburg, Lehrwiki. [1988] Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive, 2018 https://institut.soziologie.uni-freiburg.de/dokuwiki/doku.php?id=lv-wikis-oeffentlich:post17:situiertes_wissen (zuletzt abgerufen am 09.06.2021).

Loick, Steffen: Donna Haraway, 2013; online unter https://gender-glossar.de/d/item/24-donna-haraway (zuletzt abgerufen am 09.06.2021).

Website von quixkollektiv, Glossar, Positionierung, 2016, https://www.quixkollektiv.org/glossar/allgemeines-glossar/ (zuletzt abgerufen am 13.05.2021).

positivistisches Wissenschaftsverständnis

Das positivistische Wissenschaftsverständnis ist ein Methodenideal, wonach das menschliche Wissen rein auf Tatsachen beruht, die wir mit unseren bloßen Sinnen wahrnehmen können. Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen und allgemeine wissenschaftliche Regeln und Gesetze. Kurz ausgedrückt, was nicht beobachtbar und/oder nicht durch wissenschaftliche Experimente erfassbar ist, gilt als vermeintlich unwissenschaftlich. Ein Beispiel für positivistische Wissenschaften wären die Naturwissenschaften in Abgrenzung zu manchen Sozial- und Geisteswissenschaften. Das Problem einer solchen Wissenschaftsperspektive ist, dass sie als allgemeingültig und unhinterfragbar gilt. Fragen nach Moral und dem menschlichen Zusammenleben werden nicht gestellt. Dadurch werden Sozial-und Geisteswissenschaften in ihren Methoden abgewertet, was sich unter anderem auch in mangelnder Finanzierung im Universitätssystem äußert. Dabei gelten auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse als widerlegbar und noch nicht abgeschlossen, z.B. Fragen in der Medizin, Genetik…etc. Aus historischer Perspektive lässt sich feststellen, dass positivistische Wissenschaften und deren Erzeugnisse wie die Atombombe losgelöst von moralischen und sozialen Fragen zu großen Katastrophen führen können.

postkolonial

»Der Begriff verweist nicht so sehr auf die Situation nach dem formalen Ende kolonialer Herrschaft, sondern vielmehr auf die weiter bestehenden (post-)kolonialen Abhängigkeiten, Strukturen und Beziehungen zwischen den Kolonisatoren und den ehemals Kolonisierten. Kolonialismus ist demnach nicht geschichtlich mit der Unabhängigkeit der kolonisierten Staaten abgeschlossen, sondern wirkt bis heute fort, nicht zuletzt im Rassismus oder bei der globalen Arbeitsteilung. Diese Sichtweise ermöglicht eine kritische Reflexion kolonialer Prozesse und ihrer Folgewirkungen.« (Brebit o.J.)

Literatur:

Website von Brebit, Brandenburgische Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationstage, Glossar, postkolonial, o.J., https://www.brebit.org/Glossar.html (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Praktiken, (diskursive)

Praktiken (Pl. von Praktik) kommt aus dem altgriechischen prâxis und bedeutet Tat, Handlung, Durchführung. Das Wort Praxis wird im deutschsprachigen Raum verwendet, um eine allgemeine Handlung oder Tätigkeit, zu beschreiben, die sich von der Theorie absetzt, z.B. Arztpraxis oder Praxis der Kunstpädagogik etc. Damit können auch wissenschaftliche Disziplinen und Felder gemeint sein, die sich verstärkt auf Tätigkeiten des Tuns und Machens konzentrieren. Praktiken meint hingegen eine bestimmte Art der Tätigkeit und Handlung. Innerhalb der Praxis werden unterschiedliche Tätigkeiten und Handlungen, also Praktiken, ausgeführt.

Bei Diskursen handelt es sich im foucault’schen Verständnis um »ein Ensemble von Aussagen und Praktiken, die in einer bestimmten Gesellschaft gewusst werden kann, was von wem auf welche Weise gesagt und was nicht gesagt werden darf.« (Mörsch 2019, S. 581)

»Diskursive Praktiken sind dabei jene des Sprach- bzw. Zeichengebrauchs, die erforderlich sind, um als Sprecher bzw. Sprecherin in einem Diskurs fungieren und Gehör finden zu können; z.B. Kommentare erstellen, Aufsätze schreiben, Festreden vortragen. Nicht-diskursive Praktiken hingegen sind symbolisch aufgeladene Handlungsweisen oder Gesten innerhalb eines Diskurses, die durch ihren Vollzug den Diskurs stützen, aktualisieren oder auch verändern, wie bspw. Segnen, Demonstrieren etc.« (Bührmann/Schneider o.J.)

Literatur:

Bührmann, Andrea D./Schneider, Werner: Mehr als nur diskursive Praxis? – Konzeptionelle Grundlagen und methodische Aspekte der Dispositivanalyse, o.J.; online unter https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/237/525, (zuletzt abgerufen am 21.11.2021).

Mörsch, Carmen: Die Bildung der A_n_d_e_r_e_n durch Kunst. 1. Aufl., Wien: Zaglossus, 2019.

prekär

siehe Verhältnisse

Privilegiertheit

»[…] ist ein Recht, ein Vorteil oder eine Sicherheit, die ein Mensch aufgrund einer (zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer Gruppe bekommt. Gleichzeitig bleibt diese Person aufgrund dieses Privilegs von bestimmten Belastungen und Diskriminierungen verschont. Privilegien beruhen auf historisch gewachsenen, institutionalisierten Systemen – wie beispielsweise Sexismus oder Rassismus.« (quixkollektiv 2016)

Literatur:

Website von quixkollektiv, Glossar, Privileg, 2016, https://www.quixkollektiv.org/glossar/allgemeines-glossar/ (zuletzt abgerufen am 29.06.2021).

»Privilegien als Verlust«

»Im Vorwort zum Spivak Reader (1996: 4) wird sie mit dem nunmehr berühmten Satz zitiert: ›unlearning one’s privilege as one’s loss‹ (das Verlernen von Privilegien, die wir als Verlust sehen sollten). […] Es geht nicht darum, sich der Privilegien, die wir qua Geburt haben oder uns etwa per Klassenmobilität erarbeitet haben, zu schämen – viel eher sollten wir Privilegien als Verlust erleben. Verlernen bedeutet in diesem Zusammenhang, sich uns als historisch gewordene Subjekte vorzustellen, die Teil gesellschaftlicher Verhältnisse sind und in diesen distinkte [unterscheidbare] Positionen einnehmen. […]«. (Castro Varela 2017)

»Die Idee, Privilegien als Verlust zu betrachten, erkennt, dass diese, bleiben sie unreflektiert, das kritische Denken vernebeln und die Imaginationshorizonte einschränken. Wer etwa von der heteronormativen sozialen Ordnung profitiert und dabei nie ein Gefühl des Verlustes verspürt hat, verpasst die Mannigfaltigkeit sexuellen Begehrens. Privilegien versperren die Möglichkeit, andere Horizonte zu erspüren. Nicht von ungefähr beneidet die Mehrheit die Minderheiten, obschon diese beständig Zielscheibe von Diskriminierung und Gewalt sind. Wer Privilegien als Verlust reflektiert, wird marginalisierte Gruppen weder viktimisieren [(siehe Viktimisierung)] noch romantisieren – und gleichzeitig dazu in der Lage sein, die eigenen sozialen Vorteile geschichtlich einzuordnen. […].« (Castro Varela 2015)

Privilegien als Verlust können auch im Sinne von »vernebelter« (s.o.) Weltsicht verstanden werden, damit ist gemeint, den Verlust der Fähigkeit zu erkennen, dass ich mich mithilfe meiner Privilegien abgrenze und dadurch (auch ohne Absicht) gewaltvoll handele, also eigentlich gewissermaßen fremdbestimmt handele. Aus einer marginalisierten Perspektive z.B. in Bezug auf Klassenaufstieg, können durch den Erwerb von Privilegien wiederum alte Gewissheiten und Vorstellungen, soziale Netzwerke und Verbindungen, verloren gehen (siehe Habituswechsel). Privilegien als Verlust können also auch Einsamkeit und den Verlust von Zugehörigkeiten bedeuten.

Literatur:

Castro Varela, María do Mar: »(Un-)Wissen. Verlernen als komplexer Lernprozess«. In: Migrazine, 2017; online unter http://www.migrazine.at/artikel/un-wissen-verlernen-als-komplexer-lernprozess (zuletzt abgerufen am 30.06.2021).

Castro Varela, María do Mar: Strategisches Lernen. 2015; online unter: https://www.zeitschrift-luxemburg.de/strategisches-lernen/ (zuletzt abgerufen am 30.06.2021).

Pronomen

»Das Pronomen (lat.: pro nomine = für ein Nomen [Substantiv]) wird als Stellvertreter des Substantivs oder als dessen Begleiter bezeichnet. […]« (Lernhelfer o.J.) Viele Menschen, die sich nicht der binären Geschlechterordnung in »Mann« und »Frau« unterwerfen können und wollen, möchten nicht mit (er/seinem/ihn/ihm/sein) bzw. (sie/ihrer/ihr/sie/ihr) bezeichnet werden. Respektvoll ist es, eine Person mit dem von ihr gewünschten und vorgeschlagenen Pronomen zu bezeichnen. Es gibt nicht »das eine richtige« Pronomen, das für alle passt!

Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten:

Manche Menschen möchten zum Beispiel auch in der dritten Person mit ihrem Namen angesprochen werden (Kim hat gesagt, dass…)

Es gibt außerdem folgende Formen, die öfter vorgeschlagen werden (vgl. Trans in Deutschland o.J.):

they/their/they/they/theirs

xier/xies/xiem/xien/xies

x/xs/x/x/xs

nin

seis

Literatur:

Website von Lernhelfer, Pronomen, o.J., https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch/artikel/pronomen (zuletzt abgerufen am 29.06.2021).

Website von Trans in Deutschland, Geschlechtsneutrale Sprache/Gender-neutral language, o.J., https://nonbinarytransgermany.tumblr.com/language (zuletzt abgerufen am 29.06.201).

Q

Queer

»Ursprünglich und auch heute noch ein englischsprachiges Schimpfwort (schräg, falsch, komisch etc.) für alle, die nicht heterosexuell sind und/oder nicht in zweigeschlechtliche Normen passen. Der Begriff wurde während der AIDS-Krise der 1980er Jahre als Selbstbeschreibung und Bündnisbegriff jenseits getrennter Identitätspolitiken (v.a. separate Schwulen- und Lesben-Bewegungen) angeeignet. Er wird zum Teil als Sammelbeschreibung für alle verwendet, die nicht in heteronormative Ordnungen passen, zum Teil spezifischer für Menschen, die identitäre Zuweisungen kritisieren und sich aktiv gegen heteronormative Normierungen einsetzen. [Zum Begriff Queer gibt es eine umfangreiche Begriffsdebatte. So lehnen es] [m]anche Menschen […] [für sich ab,] die Bezeichnung […] [zu nutzen], weil sie das aus einem Gewaltkontext stammende Schimpfwort nicht aneignen wollen. Andere entscheiden sich dagegen, weil sie mit ihren beispielsweise lesbischen oder schwulen Identitäten sichtbar sein wollen und Sammelbeschreibungen kontraproduktiv finden. Eine weitere Kritik ist, dass die Etablierung eines im deutschsprachigen Raum nicht negativ konnotierten ›coolen‹ englischsprachigen Begriffs die positive Aneignung von Wörtern, die im Deutschen häufig abfällig benutzt werden (u.a. schwul oder lesbisch), wieder zurückdrehen könnte – dies wird, gerade von älteren Generationen, die viel erkämpft haben, zum Teil auch als Entsolidarisierung mit einer wert- und kraftvollen Bewegungsgeschichte empfunden. Zum Teil lehnen Menschen den Begriff aber auch ab, weil sie möglichst viel Normalität erreichen wollen und die Radikalität queerer Kritik an Identitätspolitiken, binären Unterscheidungen oder eher traditionellen Lebensweisen (z.B. Fokus auf Ehe) nicht teilen.« (Debus/Laumann o.J.)

Literatur:

Debus, Katharina/Laumann, Vivien: Glossar zu Begriffen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt., o.J. https://interventionen.dissens.de/materialien/glossar (Zuletzt abgerufen am 01.01.2022).

Queer Studies/Queer Theory

In den 1990er Jahren entstanden aus den Gay- und Lesbian-Studies die sogenannten Queer-Studies. Grundlage dieser war die »Hinwendung zum Poststrukturalismus« (sozial- und geisteswissenschaftliche Ansätze/Methoden, entstanden Ende der 1960er Jahre in Frankreich) und die »Infragestellung einer geschlechtlichen Essentialisierung« (geschlechtliche Festschreibung). (vgl. Universität Paderborn o.J.)

Der Begriff Queer, der zunächst als abwertende Fremdbezeichnung für Homosexuelle benutzt wurde, wurde in den 1980er Jahren im Zuge einer Emanzipationsbewegung von Betroffenen angeeignet und zur »›Grundlage von theoretischen Einsprüchen gegen die Heterosexualitäts- und Normalitätsanforderungen von Gesellschaft und Wissenschaft‹ (Rendtorff 2011: 229).« (ebenda)

Wurden in den Queer-Studies zu Beginn vor allem Fragen zur Sexualität und dem sexuellen Begehren erforscht, so werden heute vor allem heteronormative Identitätskonzepte hinterfragt. »Geschlecht und Begehren werden dabei als historisch kontingent sowie als performativ hervorgebracht verstanden« – »mit diesem identitätskritischen Gestus richtet sich die Queer Theory gegen die ›heterosexuelle Matrix‹ (Butler 1991) und eine Naturalisierung der zweigeschlechtlichen Ordnung sowie entsprechende gesellschaftliche Normierungsprozesse, die auf die Theoriebildung von Gay- und Lesbian Studies noch starken Einfluss hatten. Vor allem der kritischen Auseinandersetzung mit Begehrensrelationen[,] […] der gesellschaftlichen Normierung von Heterosexualität [als auch der Anerkennung von sexuell/geschlechtlich marginalisierter Gruppen] kommt dabei ein wichtiger Stellenwert zu.« (ebenda)

Literatur:

Universität Paderborn, Gender-Glossar: Queer Studies/Queer Theory, o.J., https://www.uni-paderborn.de/universitaet/genderportal/gender-glossar/queer-studiesqueer-theory. (zuletzt abgerufen am: 03.11.2021).

Queerfeindlichkeit

»Queerfeindlichkeit bezeichnet die Diskriminierung von queeren Menschen. Dies zeigt sich z.B. durch Ablehnung, Wut, Intoleranz, Vorurteile, Unbehagen oder körperliche bzw. psychische Gewalt gegenüber queeren Menschen. Es kann aber auch Menschen treffen, die als queer wahrgenommen werden oder die (scheinbar) von den gesellschaftlichen Regeln und Normen zu Sexualität und Geschlecht abweichen. Als internalisierte Queerfeindlichkeit wird Feindlichkeit bezeichnet, die gegen die eigene Queerness und damit gegen sich selbst gerichtet ist. Dies passiert oft in einer queerfeindlichen Umgebung und/oder vor dem eigenen inneren Coming out.« (Queer Lexikon 2020)

 In Abgrenzung zu dem Begriff Phobie empfehlen wir von Feindlichkeit zu sprechen, denn »Phobien sind eigentlich Ängste im Sinne einer psychischen Beeinträchtigung. Diskriminierung hat jedoch damit nichts zu tun.« (Jugendnetzwerk Lambda e.V. 2019, S. 16)

Literatur:

Jugendnetzwerk Lambda Berlin-Brandenburg e.V. (Hg.): Solidarität macht stark. Ein Wegweiser für Jugendliche im Umgang mit Diskriminierung, S. 16. In Kooperation mit Gladt e.V. (2021): Quelle: https://gladt.de/publications/ (zuletzt abgerufen am 07.01.22.)

Website von Queer Lexikon. Deine Anlaufstelle für sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt, 2020, https://queer-lexikon.net/2020/04/29/queerfeindlichkeit/, (zuletzt abgerufen am 03.11.2021).

R

Radikalität

Das Adjektiv radikal kommt aus dem Lateinischen radikax und bedeutet »Wurzel«, »Ursprung«. Radikalität sollte nicht mit Radikalismus verwechselt werden. Radikalismus beschreibt eine politische Einstellung, politische Ziele vor allem durch physische Gewalt zu lösen, sodass vermeintlich eine sofortige Änderung des Systems eintritt. Radikalität wird hingegen positiv verwendet und beschreibt eine Handlungsweise, politische und strukturelle Probleme an der Wurzel zu packen, jedoch mit Strategien und Lösungsansätzen, welche von physischer Gewalt absehen. Strukturen werden zielgerichtet verfolgt, z.B. durch Änderungen in der Gesetzgebung und Rahmenbedingungen innerhalb von Institutionen. Ziel ist die Etablierung von politischen Modellen, Ideen, Konzepten, die die Haltung der Gesellschaft dadurch mitbeeinflusst.

Um beispielsweise Rassismus zu bekämpfen, reicht es nicht aus, als Individuum zu sagen: »Ich sehe keine Farben.« Man muss die Ursache und den Ursprung des Problems nachgehen, Gesetze, Institutionen und Instanzen schaffen, die antirassistisch arbeiten, sodass das System nicht nur von kurzer Dauer ist, sondern dauerhaft bestehen bleibt.

Rassismus (Rassistische Diskriminierung)

»Rassismus ist der Prozess, in dem Menschen aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher körperlicher oder kultureller Merkmale (z. B. Hautfarbe, Herkunft, Sprache, Religion) als homogene [(gleichartige)] Gruppen konstruiert, hierarchisierend bewertet und ausgegrenzt werden. Der klassische Rassismus behauptet eine Ungleichheit und Ungleichwertigkeit von Menschengruppen auf Grundlage angeblicher biologischer Unterschiede […]. Im Neorassismus wird die Ungleichheit und Ungleichwertigkeit mit angeblichen Unterschieden zwischen ›Kulturen‹ zu begründen versucht. Rassismus ist die Summe aller Verhaltensweisen, Gesetze, Bestimmungen und Anschauungen, die den Prozess der Hierarchisierung und Ausgrenzung unterstützen. Sie beruhen auf ungleichen Mach[t sic!]verhältnissen.« (IDA e.V. o.J.)

Auch Rassismus findet auf unterschiedlichen Ebenen statt: individuell, institutionell, gesellschaftlich-kulturell (siehe Diskriminierung). Es gibt unterschiedliche Arten von Rassismus, die sich in strukturellen Aspekten und in Bezug auf gesellschaftliche Diskurse ähneln. Sie sind kontext- und geschichtsspezifisch – also zum Beispiel in den USA anders gelagert als in Europa – deshalb kann auch von Rassismen gesprochen werden und sie sollten differenziert behandelt werden. Im deutschsprachigen, europäischen Raum werden oft diskutiert: antischwarzer Rassismus (Diskriminierung Schwarzer Menschen), antiasiatischer Rassismus (Diskriminierung asiatischer Menschen) antimuslimischer Rassismus (Diskriminierung muslimischer Menschen), antislawischer Rassismus (Diskriminierung gegen Ost-Europäer_innen), Gadje-Rassismus (Diskriminierung von Sinti_zze und Roma_nja)

Literatur:

Website von IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Rassismus, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=R&cHash=fc8cdd25c5985ac6cad3ae29dfd622f3 (zuletzt abgerufen am 17.05.2021).

Rassifizierung, Rassisierung, Rassialisierung, Rassisiertheit (engl. race)

»Rassifizierung – auch bezeichnet als Rassialisierung oder Rassisierung – bezieht sich auf die Wissensebene von Rassismus. Rassifizierung beschreibt sowohl einen Prozess, in dem rassistisches Wissen erzeugt wird, als auch die Struktur dieses rassistischen Wissens. Im Einzelnen umfassen Prozess und Struktur die Kategorisierung, Stereotypisierung (siehe Stereotypisierung) und implizite Hierarchisierung von Menschen. Dabei werden historisch variablen wahrnehmbaren und nicht wahrnehmbaren körperlichen (z. B. Hautfarbe, Schädelform), soziologischen (z. B. Kleidung), symbolischen und geistigen (z. B. Einstellungen und Lebensauffassungen) sowie imaginären Merkmalen (z. B. okkulte Fähigkeiten) Bedeutungen zugewiesen. Dies geschieht, indem erstens mit Hilfe dieser Merkmale gesellschaftliche Gruppen definiert – also kategorisiert – werden. Aufgrund der ausgewählten Merkmale erscheinen die konstruierten Gruppen als naturgegebene Einheiten, die sich biologisch reproduzieren. In einem zweiten Schritt der Bedeutungszuweisung wird das Wesen der konstruierten Fremdgruppe(n) bestimmt und werden ihnen stereotype Eigenschaften zugeschrieben (Stereotypisierung) – auch diese können wieder der Kategorisierung dienen. Durch die Stereotypisierung (siehe Stereotypisierung) wird spiegelbildlich das Wesen der konstruierten Eigengruppe festgeschrieben.

Rassismus und Rassifizierung lassen sich nicht voneinander trennen. Denn im Prozess der Rassifizierung ist die hierarchisierende Bewertung der konstruierten Gruppen implizit enthalten – und zwar sowohl in den Merkmalen, mit deren Hilfe die Gruppen unterschieden werden, als auch in den Eigenschaften, die den Gruppen zugeschrieben werden. Denn in der Wahl der Merkmale und der Maßstäbe, nach denen die Gruppen verglichen werden (z. B. nach Schönheitsidealen oder nach dem erreichten Stand kapitalistischer ›Entwicklung‹), liegt bereits ein Akt der Macht. In ihm verbergen sich Herrschaftsinteressen. Denn das erzeugte Wissen rechtfertigt rassistische Handlungen und verarbeitet sie gleichzeitig gleichsam ›theoretisch‹.« (IDA e.V. o.J.)

»Race wird oft als Rasse oder bestenfalls unter Anführungszeichen, die die Übersetztheit markieren sollen, als ›Rasse‹ übersetzt — obwohl doch gemeinhin Einverständnis darüber besteht, dass das deutsche Wort Rasse unumgänglich den Verweis auf den Holocaust und faschistische Ideologien vollzieht. Den englischsprachigen Begriff race kennzeichnet zudem eine jahrzehntelange Geschichte der politischen und theoretischen Umarbeitung und Wiederaneignung durch ethnisierte, rassisierte Sprecher_innen. […] Für die Übersetzung des Begriffs race wählen wir den in zeitgenössischen deutschsprachigen rassismuskritischen Texten verwendeten Begriff der Rassisierung [Rassisierung, Rassialisierung, Rassisierheit, ergänzt d. V]. […] Dieser Begriff verweist in seiner grammatikalischen Form auf den Prozess des Konstruierens. Auf der Ebene der Vorstellung wie auch der Alltagspraxis bedeutet er die soziale Praxis des rassistischen Markierens. Der Begriff ermöglicht so eine Denaturalisierung rassistischer Typologisierungen, die immer Manifestationen von Rassismus sind.« (Gender et alia 2001)

Literatur:

Website von IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Rassifizierung, o.J, https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=R&cHash=fc8cdd25c5985ac6cad3ae29dfd622f3, (zuletzt abgerufen am 17.05.2021).

Gender et alia, Aus unserer Diskussionspraxis… , 2001, online unter  http://www.genderetalia.net/aus-unserer-diskussionspraxis/, (zuletzt abgerufen am 21.11.2021).

rassismuskritisch, Rassismuskritik

»Rassismuskritik geht von der Annahme aus, dass Rassismus eine gesellschaftliche Normalität darstellt, insofern alle Menschen durch rassistische Kategorisierungen, Zuschreibungen und Diskriminierungen in unserer Gesellschaft positioniert werden […]. Ein Handeln ist also nur innerhalb dieser Verhältnisse möglich. Daher kann Rassismus nur in ihrem Rahmen bekämpft, Zugehörigkeitsordnungen können verschoben und rassistische Diskriminierungen abgebaut werden. Dabei ist die Positionierung der Akteur:innen zu berücksichtigen, um nicht erneut rassistische Strukturen der Über- und Unterordnung zu stützen […]. Insofern ist Rassismuskritik eine (selbst)reflexive, theoriegebundene, widersprüchliche und prinzipiell nicht abschließbare Praxis. Dadurch setzt sich Rassismuskritik ausdrücklich von Haltungen und Handlungsformen ab, die auf der Annahme beruhen, es reiche aus, für Gleichheit und gegen Rassismus einzutreten, um nicht rassistisch zu sein. Denn sie blenden rassistische Strukturen aus und sind daher auch blind für die Folgen der eigenen Praxis.« (IDA e.V. o.J.)

Literatur:

Website von IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Rassismuskritik, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=R&cHash=fc8cdd25c5985ac6cad3ae29dfd622f3 (zuletzt abgerufen am 04.08.2021).

re-appropiation, Re-Aneignung, Rück_Aneignung

Bei Rückaneignung handelt es sich um eine widerständische, politische Strategie gegen kulturelle Ausbeutungsverhältnisse und strukturelle Unterdrückung. Dabei wehren sich marginalisierte Gruppen, indem sie sich Begriffe oder auch kulturelle Güter rückaneignen, die ursprünglich von der dominanten Mehrheitsgesellschaft genutzt wurden, um marginalisierte Positionen zu diskriminieren. Ein Beispiel von Rück-Aneignungen sind Perspektiven- bzw. Bedeutungsverschiebungen, bei denen Begriffe wie queer, N-Wort, Kana*cke, die ursprüngliche abwertend gebraucht wurden, von den Betroffenen Gruppen angeeignet, sprich übernommen wurden, um die negative und diskriminierende Wirkung dieser Fremdbezeichnungen zu unterbrechen. In der Kunst finden sich Rück-Aneignungen in der Bildsprache, wo Stereotype, Fremdbezeichnungen von betroffenen Künstler_innen in die eigene Bildsprache überführt und dadurch symbolisch verändert werden.

Re-Zentrierung

Im Kontext der kritischen weißseinsforschung handelt es sich bei Re-Zentrierung um eine Abwehrstrategie weißer Menschen, Diskussionen und Debatten um Rassismus auf ihre Positionierung als weiße zu lenken. Dabei stehen wiederum die Belange und die Probleme weißer Menschen im Vordergrund, sodass die Themenfokussierung auf Rassismus und die Erfahrungen von Rassismusbetroffenen innerhalb der Diskussion zweitrangig wird. (vgl. Piesche 2005: 16)

Literatur:

Eggers, Maisha/Kilomba, Grada/Piesche, Peggy/Arndt, Susan (Hg.): Mythen. Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: Unrast, 2005.

Reflexion, diskriminierungskritische

siehe Lesen (im Kontext von Critical Diversity Literacy)

Register

siehe Codes und Register

Register der Bildungs- und Fachsprache

siehe Codes und Register

Register für die Ansprache

siehe Codes und Register

Repräsentation, Repräsentationen 

»[…] spiegeln die Positionierung [(siehe Positionierung)] und Darstellungsweise z. B. von Frauen, Migranten [sic!], behinderten Menschen in der Gesellschaft wider. Sie verdeutlichen, wer über wen und in welcher Weise im öffentlichen Diskurs spricht [oder wer wen auf Bildern, Fotos, Werbung, in den Medien usw. in welcher Weise darstellt] und sie sind ein Indiz für gesellschaftliche Machtgefüge. Mehrheitsangehörige meinen, die Bedürfnisse und Interessen der jeweils betroffenen Anderen angemessen formulieren und vertreten zu können [bzw. sie angemessen darstellen zu können], übersehen dabei allerdings oft, dass sie von der Lebenswelt des/der Anderen zu wenig verstehen, und dass eigene Interesse [sic!] in die Vertretungsweise hinein spielen [sic!] (können). Noch zu selten kommen die Betroffenen selbst zu Wort, um ihre Standpunkte und Interessen zu vertreten. Insofern können Repräsentationsverhältnisse als ein Indiz für Partizipationschancen von Minderheiten interpretiert werden: Um so mehr die jeweils betroffene Gruppe für sich selbst zu sprechen in der Lage ist und auch vernommen wird, desto besser ist es um ihre Partizipation bestellt. Allerdings können auch Selbstrepräsentationen mit konstruierten Zuschreibungen und Reduzierung komplexer Lebenswelten einhergehen.« (IDA-NRW o.J.)

Repräsentationen erfolgen zugleich auch symbolisch, d.h. über Zeichen (siehe Zeichen) wie Bilder, Worte, Geräusche etc. entsteht eine symbolische Darstellung von Positionen, die die Wahrnehmung, das Empfinden, das Selbstverständnis gesellschaftlich prägen. Auf der symbolischen Ebene werden gesellschaftliche Verhältnisse kommuniziert und verhandelt. So kann die symbolische Darstellung politisch genutzt werden, um Menschen entweder symbolisch aufzuwerten oder abzuwerten (siehe symbolisch abwerten), wie im Falle des Orientalismus, bei dem ein westliches Bild des exotisierten »Orients« (in Bildern, Medien etc.) gezeichnet wird und die dort lebenden Menschen als sogenannte »Barbaren« stereotypisiert werden. Dass diese symbolische Ordnung sich auch gegenwärtig auswirkt, zeigt sich an der Diskriminierung von Muslim_innen oder der Rechtfertigung von Kriegen in muslimischen Ländern (z.B. in Afghanistan, Irak etc.).

Literatur:

Website von IDA-NRW, Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in NRW, Glossar, Repräsentationsverhältnisse, (o.J.), https://www.ida-nrw.de/service-navigation/glossar/ (zuletzt abgerufen am 18.06.2021).

Repräsentationskritik, repräsentationskritisch

»[…] Repräsentationskritik begreift Repräsentationen als Herrschaftspraxis und nimmt die unterschlagene oder einseitige Repräsentation [(Darstellung und Vetretung)] sozialer Gruppen oder Themen (Hautfarbe, Geschlecht, Klasse) in den Blick, welche häufig mit einer strukturellen, personellen oder ressourcenbedingten Verunmöglichung von Selbstrepräsentation einhergeht. Stereotypisierung (siehe Stereotypisierung) bzw. Unsichtbarmachung sind […] [Mittel], durch welche Herrschaftsverhältnisse hergestellt und gefestigt werden können. Wichtig ist also nicht bloss [sic!] die Frage, was und wer repräsentiert wird, sondern vor allem auf welche Art und Weise, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Interesse dies geschieht. Repräsentationskritik betont die Herstellung von Bedeutung und richtet sich gegen eine unhinterfragte Vorstellung von Bildern als Abbildungen einer nicht-visuellen Wirklichkeit. […]« (ZHdK o.J.)

»Repräsentationskritisch ist eine Perspektive dann, wenn sie ihren Blick auf die machtvollen Effekte richtet, die eine bestimmte Darstellung bzw. Vorstellung (etwa die Dokumentation von vermittlerischer Arbeit) hat. Durch eine Auseinandersetzung damit, was gezeigt oder gerade nicht gezeigt wird, und wie und von wem, entsteht ein Raum für Kritik, die vor allem auch hervorbringt, wie eine Repräsentation anders aussehen könnte. In diesem Sinn ist eine repräsentationskritische Perspektive eine politische, die sich mit Machtverhältnissen beschäftigt.« (Seefranz o.J.)

Literatur:

Website von ZHdK Zürcher Hochschule der Künste, Forschung, Ehemalige Forschungsinstitute, Institute for Art Education,

Glossar, Repräsentationskritik, (o.J.), https://www.zhdk.ch/forschung/ehemalige-forschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/aktionsforschung-3810, (zuletzt abgerufen am 18.06.2021).

Seefranz, Catrin: »Repräsentationskritische Perspektive« In: Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (Hg.): Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung, o.J., https://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=10&m2=3&lang=d (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

Reproduktion, soziale

Soziale Reproduktion bezeichnet im marxistischen Sinne die reproduktive Arbeit, die Menschen produziert und von Menschen reproduziert wird. Menschen werden im Kapitalismus als Quelle von Arbeitskraft betrachtet, mit dem Ziel das kapitalistische System aufrechtzuerhalten.
Dies geschieht nicht auf freiwilliger Basis, sondern durch systematische Unterdrückung und Gewalt anhand von sozialen Kategorien wie soziale Klasse, Geschlecht, Sexualität und Rassisiertheit. Jene, die nicht der gesellschaftlichen Ordnung entsprechen oder sie ablehnen, werden ausgegrenzt, bestraft oder diszipliniert. (Plan C 2015)
Dieses System (wesentlich entstanden mit dem Kolonialismus) hält sich bis heute in Diskriminierungformen wie Klassismus, Rassismus, Sexismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit etc. aufrecht, in dem soziale Kategorien, Gewaltverhältnisse institutionell, gesellschaftlich und auf individidueller Ebene wiederholt (d.h. reproduziert) werden. Dies kann sich beim Sprechen, in Bildern, in der Popkultur etc. äußern. Dabei werden unbewusst oder bewusst Bilder, Denktraditionen, Ideologien im sozialen Umgang wiederholt und weiter verbreitet. Diskriminierung wirkt auf dieser Ebene strukturell, da durch die ständige Wiederholung Menschen verletzt, benachteiligt und ausgrenzt werden. 

Literatur:

Plan C: Was zur Hölle ist soziale Reproduktion, 2015, https://de.labournet.tv/was-zur-hoelle-ist-soziale-reproduktion (zuletzt abgerufen am 20.02.2022).

Ressourcen

Das Wort »Ressource« kommt aus dem Französischen und wird dort synonym verwendet zu Reichtum, Potenzial, Reserve, aber auch zu Mitteln, Möglichkeiten, Lösungen und natürlich auch im Sinne von finanziellen Ressourcen und Reichtum im Sinne von Geld und Gütern. (LeRobert 2005) Die Herkunft wird aus dem lateinischen abgeleitet: resurgere bedeutet »wieder aufstehen«, »sich wiedererheben«, »sich erneuern«.(PONS o.J.) In der Bildung, Pädagogik und Psychologie meint der Begriff die Potenziale, Reserven, Mittel und Möglichkeiten, die mich darin unterstützen, mein Leben zu bewältigen. Es gibt personale Ressourcen, also persönliche Stärken zum Beispiel kognitiver oder emotionaler Art oder Umweltressourcen (Umfeld), diese können sachlicher Art sein also z.B. Geld, Bücher etc. oder immateriell (Beziehungen, Netzwerke). (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2019) Für uns ist in Bezug auf die Diskriminierungskritik zum einen interessant, wo Menschen von Ressourcen abgeschnitten werden, aber auch ob und wie sie (lernen) auf ihre Ressourcen (zu) zugreifen und diese als Stärkung wahrzunehmen.

Literatur:

LeRobert. Dictionnaire des synonymes et nuances: »Ressource«. Sous la direction de Le Fur, Dominique. Dictionnaires le Robert: Paris. 2005.

Website von PONS, Online-Wörterbuch, Latein-Deutsch, resugere, https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/latein-deutsch/resurgere (zuletzt abgerufen am 8.6.2021).

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ressourcen und Lösungsorientierung, 2019; online unter https://kita-einstieg.fruehe-chancen.de/fileadmin/PDF/Kita-Einstieg/190903_nifbe-Kriterientext_Loesungsorientierung.pdf (zuletzt abgerufen am 08.06.2021).

Reziprozität

»Reziprozität (lat. reciprocare) wird in der Soziologie als universelles soziales Grundprinzip angesehen. Die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen voneinander bewirkt soziale Beziehungen und dient als Basis für den Aufbau von Vertrauen. Reziprozität zielt auf wechselseitige Beziehung zwischen Menschen ab.« (Poppe 2019, S. 20)

»Reziprozität (im Arbeitsleben) bedeutet Gegenseitigkeit oder Wechselbezüglichkeit und stellt ein Grundprinzip menschlichen Handelns dar. – GEBEN und NEHMEN – ARBEIT gegen GELD im Tausch. Der Arbeitsvertrag im engeren Sinne umfasst eine vermögensrechtliche Austauschbeziehung, nämlich die Leistung von Arbeit gegen Lohn.« (Fachsymposium-Empowerment 2020)

In der diskriminierungskritischen Praxis ist Reziprozität für die Zusammenarbeit mit Menschen, die strukturelle Diskriminierungserfahrungen machen, ein grundlegendes Prinzip. Oft wollen Institutionen wie z.B. Museen, Firmen, Fernsehsender durch die Zusammenarbeit mit minorisierten Positionen, ihre Reichweite erhöhen, ein breites Publikum ansprechen und sich dadurch als »weltoffen« und »divers« präsentieren. Dazu werden beispielsweise Künstler_innen oder Aktivist_innen of Color eingeladen, die ihre Betroffenheitsgeschichten in der Öffentlichkeit teilen. In der Regel werden diese Menschen schlecht oder gar nicht bezahlt. Betroffenen eine öffentliche Präsenz zu bieten, sei Entlohnung genug, eine entsprechende Bezahlung bleibt somit aus. Aus diskriminierungskritischer Perspektive wird damit das Prinzip von Reziprozität nicht erfüllt, da eine Position (in dem Fall die sozial höher aufgestellte) stärker von der Zusammenarbeit profitiert als die andere. Es entsteht ein Ausbeutungsverhältnis, da Institutionen mit finanziellen Mitteln, die prekäre Situation von Betroffenen ausnutzen, um einseitig Gewinne zu erzielen. Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, die ihre Botschaften nach außen tragen, wird erst nach der Zusammenarbeit die missliche Lage bewusst: Wenn sie beispielsweise Fernsehbeiträge von sich sehen, wo ihre Redebeiträge so geschnitten wurden, dass sie letztendlich als »Opfer« dastehen oder wenn sie als Reaktion auf ihre Kunstausstellung rassistische Anfeindung und Morddrohungen erhalten. Sie werden feststellen, dass die Arbeit, die sie leisteten, es nicht wert war.

Was von den Institutionen meist nicht berücksichtigt wird, ist, dass auf aktivistische und antirassistische Arbeit Abwehrhaltungen in Form von (verbaler, psychischer, physischer, medialer) Gewalt erfolgt. Einzig eine Plattform zu bieten oder eine kleine Aufwandsentschädigung sind daher keine angemessenen Gegenleistungen. Auch emotionale Arbeit (siehe emotionale Arbeit) sollte mit einkalkuliert und entsprechend entlohnt werden. Institutionen besitzen aufgrund ihres Status eine Machtposition. Sie haben die öffentliche Präsenz und die finanziellen Mittel, mit denen sie minorisierte Positionen unterstützen können, sie könnten Rahmenbedingungen schaffen, die strukturelle Gewalt unterbrechen.

Reziprozität ist somit ein Prinzip, an dem sich Kunst- und Kulturarbeiter_innen orientieren können. Um Kooperationen mit minorisierten Positionen anzustreben ist es wichtig, zunächst die entsprechenden Gelder und Mittel bereitzustellen

Literatur:

Poppe, Frederik: »Wechselwirkungen. Inklusionsorientierung in der Bildenden Kunst.« In: Danners, Peter/Poppe, Frederik/Schank, Annika/Schmitt, Melanie (Hg.): Wechselwirkungen. Kunst im Kontext der Inklusionsdebatte. 1. Aufl., Heidelberg: arthistoricum.net, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2019, S. 15-26; online unter https://books.ub.uni-heidelberg.de/arthistoricum/reader/download/471/471-16-84372-2-10-20190403.pdf (zuletzt abgerufen am 23.11.2021).

S

Safe Space, Safer Space, Brave Space

Safe Spaces (deutsch: sichere Räume, auch Freiräume genannt) »sind analoge und digitale Räume, in die sich Menschen mit ähnlichen Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen zurückziehen können, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, sich zu organisieren und gegenseitig zu empowern (siehe Selbstermächtigung). Es wird jedoch häufig zu Recht darauf hingewiesen, dass auch safe spaces nicht frei von Machtstrukturen innerhalb der diskriminierten Gruppe sind. Alternativ wird die Bezeichnung Safer Spaces (sicherere Räume) eingeführt, um zu betonen, dass dies nur Räume sind, die sicherer als öffentliche Räume sind.« (Ommert 2016)

Brave Space hingegen grenzt sich von den Konzepten Safe und Safer Space ab. Das Konzept wurde von den US-amerikanischen Diversity-Arbeiter_innen Brian Arao und Kristi Clemens erarbeitet und wird im deutschsprachigen Raum mit »Mutiger Raum« übersetzt.

Im Rahmen von Anti-Diskriminierungs-Workshops stellten die Referent_innen fest, dass Lernräume durchgehend heterogen sind, sodass eine 100%ige Sicherheit für Diskriminierungs-Betroffene nie garantiert werden kann. Der Grundgedanke eines Brave Spaces ist das Bewusstsein darüber, dass alle Teilnehmenden über unterschiedliche Wissensstände verfügen. Die resultierenden Konflikte im Raum sowie (innere) Widerstände werden Teil des Lernprozesses. Brave Spaces sind somit Räume, in denen die Teilnehmenden herausgefordert werden innerhalb dieser Ungleichverhältnisse zu wachsen. Damit dies gelingen kann, muss dennoch eine Atmosphäre geschaffen werden, in der Konflikte ausgetragen werden können. Dabei werden Regeln aufgestellt, Grenzen kommuniziert, Rückzugsmöglichkeiten geschaffen, sowie für das eigene Sprechen und Handeln bewusst Verantwortung getragen. (vgl. Arao/Clemens 2013)

Literatur:

Ommert, Alexandra: Ladyfest-Aktivismus: Queer-feministische Kämpfe um Freiräume und Kategorien. Bielefeld: Transcript, 2016, S. 198, zitiert nach Website von RISE, Jugendkulturelle Antworten auf islamistischen Extremismus, o.J., https://rise-jugendkultur.de/glossar/safe-space/ (zuletzt abgerufen am 18.12.2021).

Arao, Brian/Clemens, Kristi: »From Safe Spaces to Brave Spaces: a new way to frame dialogue around diversity and social justice«. In: Landreman, Lisa (Hg.): The Art of Effective Facilitation: Reflections from Social Justice Educators. Sterling: Stylus Publishing, S. 135-150.

Schnittstellung Bildung/ Kunst

Carmen Mörsch versucht mit dem durch sie geprägten Begriff »Schnittstelle Kunst und Bildung« ein komplexes, vielgestaltiges Arbeitsfeld zu beschreiben – die Formulierung fungiert im vorliegenden Material damit als Schirmbegriff. Dieser fasst dabei Bereiche der Bildungsarbeit in, mit und durch die Künste. Konkret sind dies beispielsweise der Kunst-, Musik- und Theaterunterricht in der Schule, die kulturelle Bildung in- und außerhalb von Institutionen, Kunst im sozialen Kontext, künstlerische Ausbildung oder die Vermittlungsarbeit in Kultureinrichtungen. Zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Begriff und der Verwendung im vorliegenden Material lohnt sich zudem ein Blick ins Begleitheft. Hier werden u.a. auch die ambivalenten Versprechen des Arbeitsfeldes an der »Schnittstelle Kunst und Bildung« thematisiert. 

(Selbst-)Verortung, kritische

siehe Positionierung, Position (soziale)

Selbstartikulation, (kollektive/individuelle)

Artikulation kommt aus dem Lateinischen articulare und bedeutet Aussprechen. In der Linguistik meint die Artikulation das deutliche und klare Aussprechen von Wörtern. Artikulieren ist zudem ein Ausdruck dafür Konzepte, Gedanken und Gefühle auszudrücken sowie diese öffentlich zu machen. (vgl. Duden 2021)

Kollektive Selbstartikulation meint in der diskriminierungskritischen Praxis, das Für-sich-selbst-Sprechen politischer Gruppierungen (politische Parteien, Vereine, Kollektive, Verbände und Zusammenschlüsse). Individuelle Selbstartikulation meint wiederum das Für-sich-selbst-Sprechen politischer Subjekte/Individuen. Politische Subjekte sind Menschen, die zum Beispiel kollektive, d.h. strukturelle Diskriminierung im Alltag erfahren (Arbeiter_innen, Frauen, Schwarze Menschen, queere Menschen, Menschen mit Be_Hinderung etc.). Für sich selbst zu sprechen bedeutet Konzepte, Gedanken und Gefühle infolge von Diskriminierungserfahrungen zu benennen. An der Schnittstelle von Kunst/Bildung sollten Lehrende darauf achten, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, für sich sprechen zu lassen, aus der privilegierteren Position zu unterstützen, ohne selbst zu viel Raum einzunehmen.

Literatur:

Website des Dudenverlags, artikulieren, 2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/artikulieren, (zuletzt abgerufen am 20.10.2021).

Selbstbezeichnung

Respektvolle Begriffe, wie zum Beispiel Schwarz, queer etc., mit denen Menschen und Communities sich selbst benennen. Sie dienen einer positiven Identifikation mit den eigenen Bezeichnungen und werden in Abgrenzung von diskriminierenden und beleidigen Fremdbezeichnungen (von Menschen, die nicht dieser Gruppe angehören) verwendet.

(selbst)ermächtigen, Selbstermächtigung, ermächtigte Sichtbarkeit, Empowerment

»Empowerment, ein Konzept, […], wird als das Steigern der politischen, sozialen, ökonomischen und spirituellen Stärke einer Community oder Person verstanden, die durch soziale Konstrukte wie ›Rasse‹, Religion, Gender, Sexualität, Klasse, Disability und Alter strukturell benachteiligt sind. Der Begriff ›Empowerment‹ wurde durch die Bürgerrechtsbewegung in den USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im breiten politischen Diskurs gebräuchlich […]« (Hamaz/Ergün-Hamaz 2013, S. 4)

Man kann niemanden anderes empowern, Empowerment ist etwas, das benachteiligte Menschen nur selbst tun können, entweder als individuelle Stärkung des Selbst (Biographiearbeit, Selbstfürsorge,…) oder durch politische Kämpfe und das Gründen von Netzwerken (z.B. Vereine). »Professionelle Dritte« zum Beispiel in der Antidiskriminierungsberatung können »[…] diese in ihren jeweiligen, ganz individuellen Entwicklungsprozessen des Empowerments (also Selbstbemächtigung) begleiten, unterstützen und fördern […]«. (Yiğit 2013, S.43) Privilegierte Menschen können jedoch Powersharing machen, also Macht teilen: z.B. Ressourcen wie Räume, Geld, Plattformen, Bühnen teilen, oder auf Ungerechtigkeiten hinweisen und Betroffene fragen, was sie brauchen. (vgl. Gey 2018)

Literatur:

Gey, Laura: was heißt eigentlich… Empowerment? Flyer, Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V. Düsseldorf 2018.

Hamaz, Sofia/Ergün-Hamaz, Mutlu: »Empowerment. MID-Dossier«. In: Heinrich Böll Stiftung 2013; online unter https://heimatkunde.boell.de/de/dossier-empowerment (zuletzt abgerufen am 20.10.2021).

Yiğit, Nuran: »Empowerment in der Antidiskriminierungsberatung«. In: Hamaz, Sofia/ Ergün-Hamaz, Mutlu: »Empowerment. MID-Dossier«. In: Heinrich Böll Stiftung, 2013; online unter https://heimatkunde.boell.de/de/dossier-empowerment (zuletzt abgerufen am 20.10.2021).

Selbststeuerung

»Unter Selbststeuerung versteht man in der Psychologie (die) Fähigkeit eines Menschen, das eigene Verhalten zu beobachten, zu bewerten, gezielt zu verstärken und an eigenen Zielen flexibel auszurichten. Selbstmanagement oder Selbststeuerung ist die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Stimmungen durch einen inneren Dialog zu beeinflussen und zu steuern. Mit dieser Fähigkeit sind Menschen ihren Gefühlen nicht mehr nur einfach ausgeliefert, sondern können sie konstruktiv beeinflussen. Ein Beispiel: Wenn etwas wütend macht, kann man sich durch einen inneren Dialog selbst beruhigen, um dann viel angemessener zu reagieren, als wenn man nicht in Lage wäre, sich selbst zu steuern. In der Psychologie werden die Begriffe Selbstmanagement, Selbststeuerung, Selbstregulierung und Selbstführung meist synonym verwendet.« (Stangl 2021)

Literatur:

Stangl, Werner: »Selbststeuerung« 2021. In: Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik; online unter https://lexikon.stangl.eu/4921/selbststeuerung (zuletzt abgerufen am 18.12.2021).

Sexismus, sexistische Diskriminierung

Sexismus tritt in vielgestaltiger Form auf und umfasst die

  • »Privilegierung von Männern/Jungen gegenüber Frauen/Mädchen bzw. von als männlich konstruierten Eigenschaften/Verhaltensweisen/Geschmäckern/Berufen etc. gegenüber als weiblich konstruierten Eigenschaften/Verhaltensweisen/Ge-schmäckern/Berufen etc.
  • Gewalt gegen und Abwertung bzw. Diskriminierung von Frauen/Mädchen.
  • Gewalt, Abwertung bzw. Diskriminierung gegenüber Verhaltensweisen, Ge-schmäckern und Eigenschaften, die als weiblich gelten (auch oder sogar verstärkt, wenn diese von Menschen anderer Geschlechter gelebt werden). Auch Abwertung/ Erschwerung von Kontakten auf Augenhöhe zwischen Jungen/Männern und Mäd-chen/Frauen (z.B. die Annahme Freund*innenschaften zwischen Männern und Frauen seien nicht möglich oder immer sexuell, Abwertung von z.B. Jungen, die Freund*innenschaften mit Mädchen haben etc.)«. (Debus/Laumann 2019, S. 13)

»Zudem gilt es zu bedenken, dass Sexismus […] in einer langen Geschichte patriarchaler Ordnung [verankert] und verschränkt [ist] mit unter anderem ökonomischer Ungleichheit und einer durch die jahrhundertelange rechtliche Diskriminierung von Frauen geprägte Kultur. Feindliche Einstellungen gegenüber Männern bzw. Jungen, die nicht auf einer sexistischen Abwertung als ›unmännlich‹ empfundener Eigenschaften oder Verhaltensweisen basieren, funktionieren anders und bedürfen einer Benennung, die entsprechende Spezifika fasst und nicht mit Sexismus gleichsetzt.« (ebenda)

Literatur:

Debus, Katharina/Laumann, Vivien: Glossar zu Begriffen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, 2019; online unter http://www.interventionen. dissens.de/fileadmin/Interventionen/Glossar_Interventionen_für_geschlechtliche_und_sexuelle_Vielfalt.pdf, (zuletzt abgerufen am: 03.08.2021).

sexuelle Orientierung

»Drückt im allgemeinen Sprachgebrauch meist aus, zu welchen Geschlechtern ein Mensch sich sexuell und/oder romantisch hingezogen fühlt (z.B. schwul, lesbisch, queer, heterosexuell, homosexuell, pansexuell, bisexuell etc.). Dazu kommt die Frage der An-/Abwesenheit von sexueller bzw. romantischer Anziehung (vgl. asexuell, aromantisch, allosexuell/romantisch, z- sexuell/romantisch, demisexuell/-romantisch, graysexuell/-romantisch). [Im asexuellen Aktivismus wird wiederum häufig differenziert zwischen] […] sexueller und romantischer Orientierung. In diesem Kontext beschreibt die sexuelle Orientierung, auf welche Geschlechter sich das sexuelle Begehren eines Menschen richtet (z.B. heterosexuell, homosexuell, pansexuell, bisexuell etc.) oder auch, dass kein solches Begehren vorhanden ist (asexuell) – in Abgrenzung zur romantischen Orientierung. […] Ob Menschen zwischen sexueller und romantischer Orientierung unterscheiden oder sexuelle Orientierung als Oberbegriff für alles verwenden, sollte ihnen selbst überlassen bleiben. Keinesfalls sollte diese Unterscheidung als Diagnose-Werkzeug genutzt werden oder Offenbarungs-Druck erzeugen.« (Debus/Laumann 2019, S. 13)

Literatur:

Debus, Katharina/Laumann, Vivien: Glossar zu Begriffen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, 2019; online unter http://www.interventionen. dissens.de/fileadmin/Interventionen/Glossar_Interventionen_für_geschlechtliche_und_sexuelle_Vielfalt.pdf, (zuletzt abgerufen am: 03.08.2021).

Situiertheit im sozialen Raum

siehe Positionierung, Position (soziale)

»sogenannter deutschsprachiger Raum«

Der Begriff »sogenannter deutschsprachiger Raum« verweist einerseits auf einen (geografischen) Raum in dem die Sprache Deutsch gesprochen wird, andererseits verdeutlicht die Ergänzung »sogenannter«, dass das Konzept »deutschsprachiger Raum« einer kritischen Lesung bedarf.

Wenn in Texten und Diskussionsrunden der Terminus »deutschsprachiger Raum« genutzt wird, dann sind damit meist Staaten gemeint, in denen Deutsch (eine der) Amtssprache(n) ist: Deutschland, Österreich und die Schweiz und aber auch Belgien, Luxemburg und Liechtenstein. Der Begriff Amtssprache verdeutlicht wiederum, dass in diesen Ländern Deutsch eine von Staatswegen legitimierte offizielle Sprache ist – ihr kommt dabei ein hoher symbolischer Wert zu. Wer sie (akzentfrei) beherrscht und einer dieser genannten Staaten lebt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit deutliche Vorteile daraus ziehen können. 

Die Ergänzung »sogenannt« verweist aber gleichzeitig darauf, dass der »deutschsprachige Raum« gar nicht nur deutschsprachig ist, da noch viele andere Sprachen von den Menschen als Erst-, Zweitsprache etc.. gesprochen werden. So gibt es viele Menschen in Deutschland, die selbst und/oder deren Familien eine Migrationsgeschichte besitzen und die neben Deutsch Arabisch, Türkisch, Vietnamesisch, Russisch aber auch Farsi, Griechisch, Serbisch etc. sprechen. Auch Romanes als Sprache der von Diskriminierung betroffenen Rom_nja und Sinti_zze wird von vielen Menschen gekonnt und gleichzeitig von einer Mehrheitsgesellschaft häufig abgewertet. Das Sprechen der Sprachen Englisch, Französisch und Spanisch wird hingegen in der Schule flächendeckend unterrichtet und als ein Gewinn betrachtet.

somatische Norm

Somatisch kommt aus dem Griechischen und bezeichnet das, was sich auf den Körper bezieht; was körperlich ist. Die erwähnten professionellen Handlungsräume sind für vermeintlich »allgemeingültige« Körper gedacht, die entlang der Eigenschaften weißsein, Heterosexualität, Cis-Männlichkeit, mittelschichtskonforme Körpersprache, Verhalten und Geschmack (Habitus), mehrheitskonformes Erscheinungsbild, Gesundheit und Fitness Körper sind, die Privilegien erfahren.

Sozialer Raum

Der Begriff wird in diesem Material in Anlehnung an die Raumsoziologie verwendet. Die Grundidee ist, Räume nicht mehr als bloße Behälter mit ihren physischen Gegebenheiten zu verstehen, die gefüllt werden müssen. Etwa als Hintergrund oder »irgendwas mit Erde« wie zum Beispiel, wenn es um Nationalstaaten als Räume geht. Die Soziologin Martina Löw schreibt in Vom Raum aus die Stadt denken (2018), dass Räume eine eigene Dynamik haben, dass sie in Prozesse eingebunden sind und durch solche hervorgebracht werden, dass sie geworden sind, also historisch auf eine bestimmte Weise entstanden sind, dass sie vielfältig sind. Räume sind ihrer Ansicht nach relationale, also aufeinander bezogene »[…] (An-) Ordnungen von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten.« (Löw 2018, S. 43) Das Anordnen ist nach Löw als Praxis, also als aktive Handlung zu verstehen, die aufgrund von Wahrnehmung und Kognition (Gehirnarbeit) die genannten Elemente platziert und damit ist auch gemeint, dass Räume eine gesellschaftliche Ordnung vorgeben (siehe Positionierung). Von räumlichen Strukturen kann man sprechen, wenn die (An-)Ordnung durch Regeln fixiert und »[…] durch Ressourcen abgesichert ist.« (Löw 2018, S. 43) »Räumliche Strukturen müssen, wie jede Form von Strukturen, im Handeln verwirklicht werden, strukturieren aber auch das Handeln.« (Löw 2018, S. 43)

Literatur:

Löw, Martina: Vom Raum aus die Stadt denken: Grundlagen einer raumtheoretischen Stadtsoziologie. Bielefeld: Transcript 2018; online unter https://doi.org/10.14361/9783839442500 (zuletzt abgerufen am 09.06.2021).

Soziales Feld

»Vom Soziologen Pierre Bourdieu geprägt, bezeichnet ein soziales Feld eine Sphäre des gesellschaftlichen Lebens, beispielsweise das Feld der Ökonomie, der Politik, der Kunst usw. Jedes Feld folgt eigenen Logiken und Spielregeln. Diese werden einerseits von den im Feld tätigen Akteur_innen laufend ausgehandelt; andererseits begrenzen die Logiken und Spielregeln wiederum die Handlungsräume und Verhaltensmöglichkeiten der Akteur_innen. Der meist unausgesprochene Konsens über die Regeln des Feldes und den Wert der Einsätze ist nach Bourdieu eine ›feldspezifische Illusio‹, die bewirkt, dass das Ringen der Akteur_innen im Feld um ihre Stellung im sozialen Raum und um Ressourcen immer weitergeht.« (Mörsch o.J.)

»Bourdieu zeigt, wie die Identität jedes Feldes von vier gemeinsamen Prinzipien abhängt, nämlich: a) der Konstitution des Feldes als autonomes Feld der Praxis; b) der Ordnung im Feld als hierarchische Struktur dieses Feldes; c) dem Kampf im Feld als Eigendynamik des Feldes; sowie d) der Reproduktion des Feldes als Bedingung seiner sozialen Dauer in der Praxis.« (Papilloud 2003, S. 59)

Literatur:
Mörsch, Carmen: Handout, Seminar, o.J.
Papilloud, Christian: Bourdieu lesen. Einführung in eine Soziologie des Unterschieds. Bielefeld: Transcript, 2003.

künstlerisches Feld

»Er [Bourdieu] macht darauf aufmerksam, dass die Figur des Künstlers [sic!] und der Begriff ›Kunst‹ im heutigen Sinne nicht vor dem Ende des 18. Jahrhunderts in Erscheinung treten. Davor unterschied man zwischen den ›artes liberales‹ (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) und den ›artes mechanicae‹ (Handwerkskünste). Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts treten die ersten Künstler [sic!] im heutigen Sinne auf. Nun sind alle sozialen Bedingungen vorhanden, die eine relative Autonomie des Feldes der Kunst ermöglichten.« (Papilloud 2003, S. 60)

Das Feld der Literatur und der Kunst folgen ähnlichen Dynamiken:

»Diese Beziehung zwischen Schriftstellern, Produzenten und Kritikern konstituiert den symbolischen Wert des Werkes, der auch zum ökonomischen, sozialen, politischen usw. Wert werden kann [siehe Kapital] […] [dies] schafft einen Markt für Angebot und Nachfrage nach symbolischen Gütern im literarischen Feld. Dieser Markt produziert eine Konkurrenz innerhalb des Literaturfeldes, die die sozialen Positionen und die Positionen, die jemand bezieht, beeinflusst und bewegt.« (Papilloud 2003, S. 70)

Literatur:

Papilloud, Christian: Bourdieu lesen. Einführung in eine Soziologie des Unterschieds. Bielefeld: Transcript, 2003.

Space Invader

Die Figur des Space Invaders ist auf die britische Soziologin und Filmemacherin Nirmal Puwar in ihrem gleichnamigen Buch 2004 Space Invaders zurückzuführen. Puwar untersucht darin, wie Körper und soziale Räume (engl. space) sich zueinander verhalten. Sie stellt fest, dass Körper, die äußerlich nicht der weißen, cis-männlichen, als körperlich-fit gelesenen, heterosexuellen Norm entsprechen, in Kontexten mit hoher sozialer Anerkennung wie z.B. in Universitäten, in der Kunstwelt, in der Politik selten auftauchen. Die wenigen Positionen, die es in diese Räume schaffen, sind nach Puwar, die sogenanten Space Invader, Eindringlinge (engl. Invader), die die Dominanzordnung unterbrechen.

»Puwar berichtet anhand von Beispielen darüber, was passiert, wenn die körperliche Norm durch das Vorhandensein von ›dissonanten Körpern‹ [Körpern, die nicht der sozialen Norm entsprechen] unterbrochen wird: […] Die häufige Reaktion auf diese Körper seitens derer, die nicht dem ›typischen‹ Erscheinungsbild entsprechen, bezeichnet Puwar als »ontologische Angst« [»Ontologie« meint die Beschäftigung mit dem Grundlegenden, Wesentlichen]: Sie empfinden die Anwesenheit der Space Invaders als grundlegend falsch und bedrohlich, was sie aber nicht direkt benennen können. Stattdessen drücken sie Aggression in verschiedenen subtilen Abwehr- und Abwertungsformen, die Puwar in ihrer Studie systematisch herausarbeitet. Umgekehrt zeigt sie auch die Taktiken (siehe strategisch, Strategien, Taktiken, taktisch), die Space Invaders entwickeln, um zu überleben und sich zu behaupten. In manchen Fällen bemühen sie sich darum, maximal der somatischen Norm zu entsprechen und werden dadurch laut Puwar Teil einer ›ontologischen Kompliz_innenschaft‹. Dies zeigt: Wenn es um den Kampf in und um Strukturen geht, sind Verhältnisse komplex, und Vorgehensweisen lassen sich nicht ohne Weiteres in ›gut‹ und ›schlecht‹ aufteilen.« (Mörsch 2022)

Strukturelle Veränderung (siehe strukturelle Veränderung) ist somit ein dauerhafter und langwieriger Prozess. Soziale Normen können nicht auf die Schnelle abgeschafft werden. Es braucht Zeit, die Komplexität der Dynamiken im sozialen Raum zu verstehen und Lösungen zu finden, die die bestehende Dominanz unterbrechen (siehe Unterbrechung hegemonialer Verhältnisse). Die Repräsentation von Diversität ist wichtig, aber um das System zu verändern, benötigt es Ausdauer, den Willen zur Veränderung und eine diskriminierungskritische Haltung, die das eigene Handeln im System permanent hinterfragt.

Literatur:

Mörsch, Carmen: »Üben – Strukturen – Historische Kontinuitäten wahrnehmen und unterbrechen«. In: Bildungsmaterialien für diskriminierungskritische Perspektiven an der Schnittstelle Bildung/ Kunst, 2022.

Sprachhandeln, diskrimininierendes

»Sprache ist kein bloßes Kommunikationsmittel, das auf neutrale Weise Informationen transportiert. Sprache ist immer eine konkrete Handlung. Über Sprache bzw. Sprachhandlungen wird Wirklichkeit geschaffen. Das passiert z.B. dadurch, dass mit einzelnen Wörtern Zuschreibungen erzeugt werden, die so oder aber auch anders hergestellt werden könnten. Wann beziehe ich mich beispielsweise auf eine Person mit der Aussage ›der Mitarbeiter mit dem Bart‹, wann ›der blinde Mitarbeiter‹, und warum eigentlich nie ›der sehende Mitarbeiter‹? Welche Normen rufe ich auf diese Weise auf? Dasselbe passiert auch, wenn mit bestimmten Sätzen, Phrasen, Texten oder (Sprach-)Bildern immer ganz bestimmte Dinge ›wie selbstverständlich‹ assoziiert werden: wenn beispielsweise ›dunkel‹ als eine Metapher oder die Farbe ›Schwarz‹ als ein Bild mit bestimmten Verben und Handlungen verwendet und in diesen Zusammenhängen mit Bedrohung assoziiert werden, wenn Adjektive, die beHinderung ausdrücken, mit Unwissenheit verknüpft werden, wenn ›Bart‹ im Beispiel weiter oben mit einer männlichen Person assoziiert wird, Weiblichkeit mit starker Emotionalität und_oder Schwäche. Sprachhandlungen sind damit nie neutral, auch wenn dies nicht allen immer und sofort bewusst ist. Das, was durch und mit Sprachhandlungen geschieht, muss nicht explizit in diesen benannt sein, sondern kann auch eine lange Bedeutungsgeschichte haben und aufrufen oder als Voraussetzung in die Äußerung mit eingehen. […] Sprachliche Diskriminierungen können also sowohl direkt und explizit sein als auch indirekt und implizit, über Verallgemeinerungen und Vereinnahmungen stattfinden. […] Sprachhandlungen orientieren sich vielfach an den Maßstäben, die in der Gesellschaft als ›normal‹ gelten, und verstärken diese Normen dadurch, dass sie gerade nicht benannt werden müssen. Beispielsweise ist eine momentan häufig unbenannte Norm in Bezug auf Menschen männlich, weiß, umfassend nicht beHindert (ableisiert) zu werden sowie heterosexuell, Mittelklasseprivilegien zu haben […]« (AG Feministisch Sprachhandeln 2015)

Literatur:

AG Feministisch Sprachhandeln: Was tun? Sprachhandeln – aber wie? W_Ortungen statt Tatenlosigkeit. Anregungen zum Nachschlagen Schreiben_Sprechen_Gebärden Argumentieren Inspirieren Ausprobieren Nachdenken Umsetzen Lesen_Zuhören antidiskriminierenden Sprachhandeln«, Leitfaden, Was tun?, 2. Aufl., 2015; online unter https://feministisch-sprachhandeln.org/leitfaden/kapitel1/ (zuletzt abgerufen am 28.5.2021).

Sprechen, gewaltvolles Sprechen

Die Verwendung von bestimmten Wörtern (z.B. Fremdbezeichnung wie das N-Wort) kann individuell und strukturell gewaltvoll sein, genauso wie die Handlung Jemanden anzuschreien, niederzureden, auszulachen, die eigene Wahrnehmung abzusprechen und (dadurch) zum Verstummen zu bringen. Menschen mit Diskriminierungserfahrung werden verletzt und wiederholt mit struktureller Ausgrenzung konfrontiert. Dass Menschen sich verletzt fühlen, ist kein Eigenverschulden, d.h. die Ursache ist nicht, dass jemand zu empfindlich reagiert. Der Grund liegt in der funktionalen Bedeutung solcher Wörter und im gewaltvollem Sprechen selbst. Der Effekt ist, dass Menschen verletzt werden, da allein die Funktion dieser Wörter und die Handlungen darauf abzielen, Menschen zu verletzten.

Gewaltvolles Sprechen ist zudem kontextgebunden. In Bildungsinstitutionen wie Schulen oder Universitäten wird eine Sprech- und Sprachnorm vorausgesetzt, die Menschen, die sich nicht dem weißen, männlich, sachlich-informierten, bildungssprachlichen Sprechverhalten anpassen z.B. mit tieferer Stimmlage sprechen, emotionale Intonation vermeiden, um sachlich zu bleiben, die Bildungssprache gebrauchen oder nicht die Mehrheitssprache sprechen, strukturell ausgeschlossen. Sie bekommen schlechtere Noten, werden als inkompetent wahrgenommen, ihnen wird nicht richtig zugehört, da die Art und Weise des Sprechens, als »unwissenschaflich« gilt. Wenn also Menschen, mit sprachlichen Privilegien so sprechen, voraussetzen, dass ihr_sein Gegenüber sie versteht und erwarten, dass sich andere Menschen diesem Sprech- und Sprachverhalten anpassen. (z.B. bei Aussagen wie »Können Sie bitte sachlich bleiben« oder »Hier wird Deutsch gesprochen!«), dann ist das gewaltsames Sprechen.

Genauso ist es gewaltvoll, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen ihre Erfahrungen und Gefühle abzusprechen. Häufig kommt dieser Einwand von Menschen, die die Diskriminierungserfahrung selbst nicht erlebt haben. Dabei handelt es sich um Gaslighting. Eine Manipulations-Taktik bei der das Absprechen der Wahrnehmung dazu führt, dass Betroffene über einen längeren Zeitraum hinweg ihren Gefühlen und Wahrnehmungen nicht mehr vertrauen. (vgl. Hödl 2020)

Weiterführende Literatur:

Hödl, Saskia: »›Gaslighting‹ und Rassismus: Angriff auf die eigene Realität«. In: taz, 29.6.2020; online unter https://taz.de/Gaslighting-und-Rassismus/!5693141/, (zuletzt abgerufen am 20.11.2021).

Sprachregister

siehe Codes und Register

Sprecher_innenposition

Kommunikation findet statt, sobald mindestens zwei Sprecher_innenpositionen aufeinandertreffen. Diese Sprecher_innenpositionen sind jedoch nicht unabhängig von ihrer sozialen Positionierung (siehe Positionierung, soziale) zu betrachten. Jede Sprecher_innenposition ist mit unterschiedlichen Privilegien ausgestattet, die es der Person mehr oder weniger erlaubt, frei zu sprechen, ohne Angst zu haben, nicht verstanden, ausgeschlossen zu werden oder Gewalt zu erfahren. Die soziale Sprecher_innenpositionen beeinflusst wie ich in Sprechsituationen wahrgenommen und behandelt werde, und wie ich andere Menschen wahrnehme und behandele. Menschen mit strukturellen Diskriminierungserfahrungen können in unterschiedlichen Sprechsituationen auf unterschiedliche Art und Weise Diskriminierung erfahren. Frauen, die viel Sprechraum einnehmen, werden beispielsweise in männlich-dominierten Räumen als »aggressiv und anstrengend« bewertet und dadurch sexistisch diskriminiert, während Cis-Männer in derselben Sprechposition, als selbstbewusst, dominant und durchsetzungsstark wahrgenommen werden.

In anderen Konstellationen z.B. weiß-dominierten Lernräumen, in denen Rassismusbetroffene anwesend sind, kann wiederum die Relativierung von Rassismus weißer Komiliton_innen zu Emotionalisierung führen. Abwehrreaktionen weißer Menschen werden als emotional belastend empfunden. Betroffene von Rassismus beschreiben eine Ohnmachtsituation, in der sie weder sprechen noch reagieren können. Darin zeigt sich die strukturelle Gewalt von Sprech- und Sprachdominanzen, in denen Sprecher_innenpositonen je nach intersektionaler Verortung unterschiedliche Formen von sozialen Ausschlüssen erfahren. Sprach- und sprechsensible Räume, wie beispielsweise Safer Spaces oder Brave Spaces (siehe Safe Space, Safer Space, Brave Space), können wiederum für marginalisierte Positionen empowernd sein – Sprech- und Sprachdominanzen werden so unterbrochen. (Nguyen 2022)

Literatur:

Nguyen, Nhu Y Linda: »Schweigen an deutschen Hochschule – Perspektiven Studierender of Colour zu Schweigen und Silencing in weiß-dominanten Räumen«. In: Akbaba, Yalız/Buchner, Tobias/Heinemann, Alisha M.B./Pokitsch, Doris/Thoma, Nadja: Lehren und Lernen. Differenzverhältnissen – Interdisziplinäre und Intersektionale Betrachtungen, Wiesbaden: Springer, 2022.

Stereotyp, Stereotypisierung

»Unter Stereotypisierung wird der Prozess verstanden, durch den konstruierten sozialen Gruppen (siehe Rassifizierung) wenige, stark vereinfachte Eigenschaften zugeschrieben werden. Ihnen zugeordnete Personen werden infolgedessen auf ihre zugeschriebene Gruppenzugehörigkeit und diese Eigenschaften reduziert werden. Dadurch werden sowohl Gemeinsamkeiten zwischen als auch Unterschiede innerhalb der konstruierten Gruppen verwischt. Durch Stereotypisierung wird das ›Wesen‹ der konstruierten Gruppen und der ihr zugeordneten Personen bestimmt und umgekehrt die zugeschriebenen Eigenschaften mit dem ›Wesen‹ der konstruierten Gruppen erklärt […]. Zugeschriebene Eigenschaften und Verhalten werden also essentialisiert und naturalisiert. Die ›den Anderen‹ zugeschriebenen Eigenschaften sind weder willkürlich noch zufällig. Sie leiten sich von den gesellschaftlich vorherrschenden Werten ab. Mittels Stereotypisierung können rassistisch nicht diskreditierbare Menschen also alles Abweichende und ›Unnormale‹ auf ›die Anderen‹ projizieren und auf diese Weise von sich abgespalten. Dadurch werden gesellschaftliche Normen durchgesetzt, die eigene Identität stabilisiert und symbolische Grenzen gezogen. Denn durch Stereotypisierung werden ›die Anderen‹ vollends zu absolut und wesenhaften ›Anderen‹ (siehe Othering). Dieser Prozess funktioniert unabhängig davon, ob die Stereotype positiver (Exotisierung, Idealisierung, Romantisierung) oder negativer (Dämonisierung) Natur sind.« (IDA e.V. o.J.)

Literatur:

Website von IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Stereotypisierung, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5Baction%5D=show&tx_dpnglossary_glossary%5Bterm%5D=179&tx_dpnglossary_glossarydetail%5Bcontroller%5D=Term&cHash=656f04ac1cdda962199dfd039efc5a0b (zuletzt abgerufen am 18.06.2021).

Stigmatisierung

»Der aus dem Griechischen stammende Begriff steht für »Mal, entehrendes Kennzeichen«. Stigmatisieren bedeutet, eine Person oder eine Gruppe in diskriminierender Weise zu kennzeichnen, indem ihr bestimmte, von der Gesellschaft als negativ bewertete Merkmale zugeschrieben werden und/oder sie mit Fremdbezeichnungen belegt wird. Dabei kann sich die diskriminierende Kennzeichnung auf sichtbare Merkmale (z. B. Hautfarbe, Geschlecht) oder unsichtbare Merkmale (z. B. Religion, Sexualität) beziehen.« (IDA e.V. o.J.)

Literatur:

Website von IDA (Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit) e.V., Glossar, Stigmatisierung, o.J.,

https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=S&cHash=d97920c95b2e1f583c6de05dd9c36f4d (zuletzt abgerufen am 18.12.2021).

strategisch, Strategie, taktisch, Taktiken

»Die Begriffe Strategie und Taktik entstammen der Terminologie des Militärs. Der Begriff Strategie leitet sich vom griechischen Wort ›Strategos‹ ab und bedeutet ursprünglich Heerführer. Der Heerführer hat das Ziel, einen Krieg zu gewinnen und entwirft den großen Plan. Die Umsetzung dieses Plans überlässt er seinen Generälen, die eine Taktik festlegen, mit der die Strategie umgesetzt wird. Dazu gehören einzelne Schlachten, die Aufstellung des Heeres, die Reihenfolge, in der die Truppen in die Schlacht geschickt werden, der Angriffszeitpunkt und vieles mehr. Die Taktik ist also die handwerkliche Umsetzung einer übergeordneten Strategie.« (Pfützenreuter 2020)

Der Philosoph und Soziologie Michel de Certeau überträgt die Begriffe auf das Gesellschaftssystem. Strategien werden von Instanzen mit Macht verfolgt, das sind Eigentümer, Unternehmen, aber auch Städte. Diese geben eine Struktur vor, innerhalb derer sich das Individuum/die Gesellschaft bewegt (de Certeau 1988). In diesem Sinne bedeutet taktisch zu handeln, sich innerhalb der gegebenen Umstände möglichst geschickt und dem Eigeninteresse nach zu verhalten. Strategisches Handeln findet auf einer übergeordneten Ebene statt, in der weitsichtiges Handeln und Planung gefragt sind. In der diskriminierungskritischen Praxis bedeutet taktisches bzw. strategisches Handeln die herrschenden Verhältnisse zu analysieren, zu bedenken und Entscheidungen gemäß einer diskriminierungskritischen Haltung (siehe Haltung) zu treffen. Als Beispiel könnte die Arbeit innerhalb von Institutionen (wie z.B. Museen, Schulen etc.) genannt werden, in der als Individuum keine schnellen Veränderungen herbeigeführt werden können, aber taktisches Handeln die Eröffnung neuer Möglichkeiten für Solidarisierung oder schrittweise Veränderungen bedeutet. Strategien hingehen zielen darauf ab, einen Rahmen, also Strukturen wie Regeln, Gesetze etc. zu schaffen, wodurch längerfristig diskriminierungskritische Arbeit möglich wird.

Literatur:

de Certeau, Michel: Die Kunst des Handelns, Berlin: Merve, 1988.

Pfützenreuter, Jörg: Der Unterschied zwischen Strategie und Taktik – Teil 1/2, 2020; online unter https://verhandlungswerkstatt.com/der-unterschied-zwischen-strategie-und-taktik-teil-1-2/, (zuletzt abgerufen am 16.11.2021).

strukturell, Strukturen

»Der Begriff ›Struktur‹ leitet sich aus lateinisch ›structura‹ (Bauart, Zusammenfügung, Ordnung) ab. Er bezeichnet den inneren Aufbau von etwas, das Verhältnis von Bestandteilen zueinander – besonders in Hinblick auf Stabilität. Wenn von struktureller Gewalt die Rede ist, meint das die fortdauernde Diskrepanz zwischen menschlichen Potentialen und deren Verwirklichung. Sie äußert sich zum Beispiel im ungleichem Zugang zu Ressourcen wie formaler Bildung.«

Literatur:

Mörsch, Carmen: »Intro – Strukturen«. In: Bildungsmaterialien für diskriminierungskritische Perspektiven an der Schnittstelle Bildung/ Kunst, 2022.

struktureller Able_ismus

(siehe Able_ismus)

struktureller Klassismus

(siehe Klassismus)

struktureller Rassismus

(siehe Rassismus)

struktureller Sexismus

(siehe Sexismus)

strukturelle Benachteiligung

siehe Diskriminierung

strukturelle Gewalt

»Der Begriff der strukturellen Gewalt ist vom norwegischen Friedensforscher Johan Galtung in seinem Aufsatz ›Violence, peace, and peace research‹ (1969) entwickelt worden. In kritischer Abgrenzung vom ›engen‹ Konzept der direkten physische Gewalt, die auf die körperliche Verletzlichkeit von Individuen verweist und es ermöglicht, sowohl Täter*innen als auch Opfer eindeutig zu identifizieren, liegt struktureller Gewalt dann vor, ›wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung‹ (Galtung 1975: 9; siehe auch 1969: 168; als Überblick Bonacker/Imbusch 2010). Gewalt wird demnach bereits dann ausgeübt, wenn eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Zustand und den theoretisch vorhandenen Möglichkeiten vorliegt, d.h. wenn beispielweise eine Person an einer Krankheit stirbt, für die zwar Behandlungsmethoden entwickelt wurden, diese jedoch für die Person nicht zugänglich sind (Galtung 1969: 168). Oder auf heutige Verhältnisse gespiegelt: Wenn in postmigrantischen Gesellschaften die potenzielle Lebenserwartung der Allgemeinbevölkerung länger ist als die Lebenserwartung von Angehörigen benachteiligter Gruppen, dann tragen Faktoren wie Rassismus, Sexismus oder soziale Ungleichheit zur Diskrepanz zwischen dem Potenzial und der tatsächlichen Lebenserwartung bei. […]« (Chojnacki 2019)

Literatur:

Chojnacki, Sven: strukturelle Gewalt, 2019; online unter https://blogs.fu-berlin.de/fkfkollektiv/glossary/strukturelle-gewalt/ (zuletzt abgerufen am 17.06.2021).

strukturelle Veränderung

Strukturelle Veränderung meint die Veränderung von sozialen und politischen Strukturen. Dabei zielt die diskriminierungskritische Arbeit darauf ab, Veränderung langfristig und dauerhaft zu erwirken. Dazu ist es nötig, Veränderung nicht nur beim einzelnen Individuum herbeizuführen, sondern auch in den gesellschaftlichen Strukturen. Mit anderen Worten reicht es nicht nur aus, dass ich als Einzelperson meine Einstellung ändere. Es müssen soziale und politische Strukturen geschaffen werden, in denen ich als Einzelperson auch die Möglichkeit habe, diskriminierungskritisch zu handeln bzw. ich davor geschützt werde, diskriminiert zu werden. So wird strukturelle Veränderung ermöglicht, indem Gesetze oder Institutionen und die darin agierenden Personen dafür sorgen, dass diskriminierungskritische Praktiken und Gedanken etabliert werden.

Strukturlegung

Die Strukturlegung ist eine Methode, die beim Arbeiten mit den diskriminierungskritischen Lehr-Lernmaterialien eingesetzt werden kann. Das »Strukturlegen dient der individuellen Ordnung und nachhaltigen Speicherung neuer Fachinhalte. Eigene Strukturen, die nach Fertigstellung aufgeklebt und durch Verbindungslinien, Überschriften, Skizzen oder Visualisierungen ergänzt worden sind, dienen im Sinne kognitiver Landkarten […] [zur Verfestigung gelernter Inhalte]«. (Bildungsserver Baden-Württemberg o.J.) Die Methode kann zum Beispiel nach der Lektüre des Begleitheftes des vorliegenden Materials eingesetzt werden: In einer Kleingruppe würden dann alle zentralen Begriffe des Textes, an die sich die Teilnehmer_innen erinnern, auf Karten notiert und an einer Wand befestigt werden. In einem zweiten Schritt können die Inhalte nun erklärt, die Karten mit den Begriffen geordnet und in Beziehung zueinander gesetzt werden. Bisher nicht berücksichtigte Schlüsselbegriffe können zudem ergänzt werden. So entsteht beim gemeinsamen Notieren, Anordnen und Diskutieren Stück für Stück ein Netz, eine Struktur an Begrifflichkeiten und Kernaussagen, die zur Festigung des Inhalts des Textes beitragen. Die Methode kann natürlich an vielen Stellen abgewandelt und in der Lehre an die Bedürfnisse von Lerngruppen angepasst werden. So ist es möglich, als Lehrkraft immer wieder einzugreifen und vielleicht noch nicht genannte Begriffe einzustreuen oder aber auch schon zu Beginn alle Begriffe vorzugeben – wenn das für das Lernen einer Lerngruppe hilfreich ist. Auch kann die Methode nicht nur für die Arbeit in/mit Gruppen genutzt, sondern auch in Form einer Einzelarbeit zum Klären und Festigen des eigenen Verständnisses nach der Lektüre des Lehr-Lernmaterials kann die Strukturlegung eingesetzt werden. 

Literatur:

Website von Bildungsserver Baden-Württemberg. Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, Strukturlegen, o.J., https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gestaltlehrlern/projekte/ sol/fb1/02_einstieg/methoden/strukturlegen/ (zuletzt abgerufen am: 16.10.2021).

Subjekt

Subjektposition, (dominante/hegemoniale/privilegierte)

siehe auch Positionierung, Position (soziale)

Als Subjekt wird ein bewusst denkendes, sich selbst-erkennendes und handelndes Wesen bezeichnet. Subjekte dürfen jedoch nicht losgelöst von ihrer sozialen Positionierung (siehe Positonierung, soziale) bzw. Subjektposition betrachtet werden, d.h. davon, welche Zuschreibung (wie z.B. männlich, weiblich, heterosexuell, homosexuell, bürgerlich etc.) ihnen in der Gesellschaft zugewiesen wird. Nach dem französischen Philosophen Michel Foucault werden Subjekte durch ihre gesellschaftliche Umwelt geschaffen und entstehen in sogenannten Diskursen, »ein Ensemble von Aussagen und Praktiken, die in einer bestimmten Gesellschaft gewusst werden kann, was von wem auf welche Weise gesagt und was nicht gesagt werden darf.« (Mörsch 2019, S. 581) Diskurse über Geschlecht erlauben Aussagen wie »ich bin ein Mädchen«, Diskurse über Sexualität Aussagen wie »ich bin homosexuell«. (vgl. Foucault 2003) Ein Subjekt zu sein bedeutet damit auch, bestimmten Diskursen und deren Regeln unterworfen zu sein, sich mit diesen Zuschreibungen (z.B. männlich, weiblich, heterosexuell, queer etc.) zu identifizieren oder auch sie abzulehnen. (vgl. Foucault 2001) Diesen Prozess der Unterwerfung bezeichnet Foucault als Subjektivierung (siehe Subjektivierung). Auch sind natürlich nicht alle Subjekte gleich. Vielmehr herrscht hier eine Hierarchie, denn die Subjektivierung hat materielle Konsequenzen: Manche Subjektpositionen haben strukturell einfacheren Zugang zu materiellen Ressourcen (Beispiel: hetero, cis-männlich und weiß), während der Subjektstatus anderer Menschen abgewertet (queer, weiblich und Schwarz oder of Color) oder gänzlich sozial negiert wird (Sklav_innen im Kolonialismus). (vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999)

Literatur:

Foucault, Michel: »Subjekt und Macht«. In: ders.: Schriften in vier Bänden, Bd. 4, Frankfurt: Suhrkamp, 2001, S. 255-279.

Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann. Frankfurt/M.: Fischer, 2003.

Gutiérrez Rodríguez, Encarnación: »Fallstricke des Feminismus. Das Denken ›kritischer Differenzen‹ ohne geopolitische Kontextualisierung«. In: polylog Nr. 4, 1999; online unter http://them.polylog.org/2/age-de.htm (zuletzt abgerufen am 20.10.2021).

Mösch, Carmen: Die Bildung der A_n_d_e_r_e_n durch Kunst. 1. Aufl., Wien: Zaglossus, 2019.

Subjektivierung

Subjektivierung beschreibt den kontinuierlichen Prozess, durch den Menschen als Subjekt (siehe Subjekt) hergestellt werden. Die Diskurse der Wissenschaft, der Politik oder über Sexualität (u.v.m.) geben bestimmte Regeln vor, an die sich Menschen halten müssen, wenn sie in deren Sinne z.B. als Frau, alt oder gesund gelten wollen. Den Menschen wird somit eine Identität ermöglicht, aber auch gleichzeitig aufgezwungen. Bestimmt werden diese Diskurse letztendlich durch den historischen Rahmen sowie dessen Machtverhältnisse und der dazugehörigen Wissensordnung (siehe Wissensordnung, Wissen). Macht auszuüben bedeutet, Diskurse und damit die Subjektivierung von Menschen zu bestimmen. (vgl. Foucault 2003)

Nach Judith Butler werden Subjekte durch diesen Prozess aber nicht endgültig bestimmt, sondern können sich auch gegen diese widersetzen, sie subversiv untergraben oder umarbeiten. Subjektivierung kann als ein sich wiederholender Prozess gesehen werden, der aber mit jeder Wiederholung die Möglichkeit zum Widerstand bietet. Dies birgt jedoch auch eine Gefahr, denn damit widerspricht das Subjekt der geltenden gesellschaftlichen Ordnung, die diese Diskurse hervorgebracht hat: Es muss folglich mit Strafen oder sozialen Ausschlüssen rechnen. (vgl. Butler 1991)

Literatur:

Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Mit einem Essay von Ralf Konersmann. Frankfurt/M.: Fischer, 2003.

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1991.

subversive Aneignung

Der Begriff »Subversion« kann in verschiedenen Felder eine unterschiedliche Bedeutung haben, gemeinsam ist allen Verständnissen aber, dass es darum geht, eine bestehende Ordnung zu durchbrechen und zu verändern. (vgl. Ernst et al. 2015, S. 13) Im politischen Zusammenhang ist mit Subversion eine Tätigkeit gemeint, die (heimlich) auf den Umsturz der staatlichen Ordnung zielt (verschiedene Strategien bis hin zur Revolution). (vgl. ebenda) Künstlerische Strategien, die subversiv sind, zielen auf die Kritik und Veränderung zum Beispiel einer bestehenden sozialen Ordnung ab, zum Beispiel durch das Aushebeln von Lese- und Sehgewohnheiten und etablierten Zeichensystemen. (vgl. ebenda, S. 13-17) Subversion bedeutet jedoch nicht nur, eine bestehende Ordnung zu zerstören, sondern auch Platz und Beispiele für etwas Neues zu schaffen: »Subversion wird nicht als eine einfache Umkehrung bestehender Verhältnisse verstanden, sondern als eine Aneignung, Umwertung und Verschiebung derselben, mit dem Ziel, ihre Kontingenz, historische Gewordenheit und folglich Veränderbarkeit aufzuzeigen.« (Babka 2003) Die Art und Weise wie die gesellschaftliche Ordnung geschaffen und aufrecht erhalten wird, soll aufgezeigt werden, damit sie überwunden werden kann. In Bezug auf eine Minoritäten-Perspektive kann Subversion auch bedeuten, die Lebensweise und Perspektiven marginalisierter Gruppen gegenüber der Dominanzgesellschaft (siehe Mehrheitsangehörige/ Angehörige der Mehrheitsgesellschaft) zu vertreten und damit eine Veränderung der dominanten Kulturen zu bewirken. (vgl. Ernst 2015, S. 13f.) Subversive Aneignung kann heißen, sich Orte, Begriffe, Kunstformen oder andere Ressourcen zu eigen zu machen, die einen normalerweise ausschließen oder ungleich behandeln würden. Bekannt sind zum Beispiel Begriffsumdeutungen (Bsp.: nicht-männliche HipHop-Künstler_innen eignen sich die Beleidigung »Bitch« an und besetzten sie neu mit einer positiv aufgeladenen Bedeutung). ( vgl. Shanté 1998)

Literatur:

Babka, Anna: Subversion, 2003; online unter https://differenzen.univie.ac.at/glossar.php?sp=34 (zuletzt abgerufen am 06.06.2021).

Shanté, Roxanne: »I Am One Bad Bitch«. In: Baldauf, Anette/Weingartner, Katharina (Hg.): Lips. Tits. Hits. Power? Wien/Bozen: Folio, 1998; online unter http://www.migrazine.at/artikel/glossar-der-politischen-selbstbezeichnungen-teil-2 (zuletzt abgerufen am 05.08.2021).

Ernst, Thomas/Gozalbez Cantó, Patricia/Richter, Sebastian/Sennewald, Nadja/Tieke, Julia (Hg.): SUBversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Bielefeld: Transcript, 2015.

Surrealismus

Der Surrealismus war eine künstlerische, avantgardistische Bewegung des 20. Jahrhunderts, die sich in der Literatur, Malerei, Bildhauerei und auch im Film ab den 1920er Jahren beobachten lässt. Sie stellt eine kritisch-künstlerische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen ihrer Zeit dar, insbesondere die Einschränkung menschlicher Freiheit durch eine rationale, zweckorientierte und hierarchische Beherrschung der Welt, die im ersten und dann im zweiten Weltkrieg mündete. Dem setzten die surrealistischen Künstler_innen eine Ästhetik der Traumlogik und des Unbewussten entgegen, mit der sie auf die Konstruiertheit der gesellschaftlichen Realität verwiesen. Der Surrealismus ist damit auch eine radikale Geisteshaltung, die auf die Veränderung der Welt mit den Mitteln der Kunst strebt. Normen, Ungleichheit, Konventionen und Rationalität sollten überwunden werden. Der Stil ist daher in Bezug auf die formale Gestaltung wenig einheitlich und kann nur schwer auf Prinzipien heruntergebrochen werden. Zumeist präsentieren surrealistische Künstler_innen die Welt aber in ungewohnter Weise, die durch gezielte (Ver-)Störung des_der Betrachtenden zu einer veränderten Wahrnehmung führen soll. Sie pionierten Techniken wie das »Automatisierte Zeichnen«, in der nur intuitiv und ohne Nachzudenken gezeichnet wird, oder das »Objet Trouvé«, in der ein Alltagsobjekt als Kunstobjekt präsentiert wird. (Schirn Kunsthalle Frankfurt 2020)

Die Bewegung selbst wird von heterogenen künstlerischen Positionen bestimmt, die sich international vernetzten und in verschiedenen politischen Kontexten wie Lateinamerika, Europa, Afrika oder Nordamerika Kunst schufen.

»So schrieb die martiniquische Schriftstellerin, Lehrerin, antikoloniale und feministische Aktivistin Suzanne Césaire 1943 in ihrem Essay ›Der Surrealismus und wir‹, der Surrealismus habe die Befreiung von Herrschaft und damit auch vom Kolonialismus zum Ziel. In vielen Ländern auf den afrikanischen und amerikanischen Kontinenten gab es eine surrealistische Bewegung, als künstlerisch-intellektueller Teil der politischen Befreiungsbewegungen. Zudem waren am Surrealismus Frauen und queere Personen beteiligt, wie die ungarisch-US-amerikanische Kunsthistorikerin Susan Rubin Suleiman 1990 in ihrem Buch Subversive Intent: Gender, Politics and the Avant-Garde (1990) belegte und wie unter anderem eine Ausstellung im Sommer 2020 in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt vor Augen geführt hat.« (Mörsch 2022)

Literatur:

Mörsch, Carmen: »Kanon – Privilegien Wahrnehmen«. In: Bildungsmaterialien für diskriminierungskritische Perspektiven an der Schnittstelle Bildung/ Kunst, 2022.

Youtube-Kanal der Schirn Kunsthalle Frankfurt: »WAS IST SURREALISMUS? | Der kürzeste Weg zu mehr Wissen über Kunst | SCHIRN SHORTCUT«, https://www.youtube.com/watch?v=TZ2Fmuptptk (zuletzt abgerufen am 25.10.2021).

symbolisch, Symbolische, das

siehe auch Repräsentation, Repräsentationen

Symbolisch abgewertet

Symbolisch abgewertet bedeutet, dass etwas gesellschaftlich oder in einer Gruppe weniger anerkannt wird, mit weniger Prestige verbunden ist und schlechter entlohnt wird. Die Formulierung bezieht sich auf den Begriff »symbolisches Kapital« (siehe Kapital) nach Bourdieu. Zum Beispiel werden in einer Gesellschaft, die Frauen gegenüber Männern abwertet und als Abweichung von der Norm konstruiert hat, Tätigkeiten die stereotypisch Frauen zugeschrieben werden (zum Beispiel Erziehung und Pflege), symbolisch abgewertet – so würde zum Beispiel die Vermittlungsabteilung eines Museums eher als Beiwerk zu der »echten Kunst« gesehen.

T

Teilzeit-Frau

Beim Begriff Teilzeit-Frau handelt sich um eine Selbstbezeichnung von Carmen Mörsch. Es wird eine gender-non-conforming oder genderfluide Geschlechtsidentität beschrieben. Abgelehnt wird die Annahme, dass es ausschließlich zwei Geschlechter gäbe, dass Geschlecht, durch geschlechtstypische Kleidungs-, Handlungsvorschriften und Körpernormen repräsentiert werden müsste und dass Geschlecht zeitlich permanent festgelegt sei.

Bei genderfluiden Personen ändert sich die Geschlechtsidentität über einen Zeitraum oder auf bestimmte Situationen bezogen. (vgl. queer-lexikon o.J.) Das Geschlecht kann zwischen allen möglichen Geschlechtern wechseln, z.B. von männlich zu weiblich, aber auch von weiblich zu nonbinary, von nonbinary zu agender, etc. Im Unterschied zu einer genderqueeren Identität ändert sich die Identität und ist nicht unbedingt zu jedem Zeitpunkt außerhalb der Geschlechterbinarität zu verorten. Gender-non-conforme Menschen lehnen die ihnen zugeschriebenen Geschlechternormen ab, z.B. was typisch Frau oder typisch Mann sei.

Literatur:

Website von queer-lexikon, genderfluid, o.J., https://queer-lexikon.net/2017/06/15/genderfluid/, (zuletzt abgerufen am 13.10.2021).

Tokenism

»Tokenism – ein Begriff, der von Rosabeth Moss Kanter, einer US-amerikanischen Soziologin, in den 1970er Jahren geprägt wurde. Tokenism beschreibt eine Praxis, in der wenige Personen aus marginalisierten Gruppen, als sogenannte ›Token‹ [dt. Vorzeige-Person oder Quotenperson] eingesetzt werden, um den Schein einer vielfältigen Organisation, Unternehmung etc. zu erzeugen.

Ursprünglich bezog sich Nantes Untersuchung auf Cis-Frauen, die als Token cis-männlich dominierten Bereichen arbeiteten. Die Praxis des Tokenism lässt sich auf unterschiedliche vielfach marginalisiert Gruppen übertragen. So z.B. erweiterte Gayastri Chakravorty Spivak, indische Wissenschaftlerin und Mitbegründerin der postkolonialen Theorie, den Begriff um Wissenschaftler*innnen of Color.

Tokenism dient dazu mangelnde Vielfalt, durch Symbolpolitik zu verschleiern, sich vor Kritik von außen zu schützen und vor allem den Status quo, von Macht- und Strukturverhältnissen aufrecht zu erhalten.« (Ogette 2021)

Literatur:

Ogette, Tupoka, Tokenism, 2021, Instagram-Account, https://www.instagram.com/p/CMR5kCdnwmi/, (zuletzt abgerufen am 27.11.2021).

Trans Studies

»Wie viele andere kritische Forschungsrichtungen sind auch die Trans Studies aus sozialen Bewegungen heraus entstanden. Sie sind, neben den Inter Studies, mindestens genauso stark an der Dekonstruktion von Geschlecht beteiligt wie intersektionale und queere Theorien. […] Trans Studies [können] als kritische Forschungsrichtung, die aus Widerstand und zivilgesellschaftlichem Engagement entsteht [, verstanden und] […] als politisches Projekt gesehen werden. Selbsthilfegruppen, Trans*Aktivist_innen, Studierende, Künstler_innen bringen die Trans Studies in den 1980ern und 1990ern in die Akademia. Trans Studies bauen auf rassismus- und klassismuskritischen, feministischen Ansätzen genauso auf wie etwa auf der (kritischen) Sexualwissenschaft. Sie entwickeln bestehende Begriffe weiter und schaffen neue. Sie intervenieren in wissenschaftliche Paradigmen und gesellschaftliche Normen. Sie entstehen als Teil einer sozialen Bewegung, die für Anerkennung, Menschenrechte und gegen Diskriminierung innerhalb und außerhalb der Akademia kämpft. Trans Studies sind Teil eines politischen Projektes – nicht umgekehrt. […]« (Trans Studies o.J.)

Literatur:

Verlagstext der Publikation Trans Studies. Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte von Persson Perry Baumgartinger, o.J.; online unter http://www.zaglossus.eu/shop/trans-studies?isorc=1 (zuletzt abgerufen am: 03.09.2021).

Trans* / Trans, Transperson 

»Trans* ist ein recht junger, im deutschsprachigen Raum inzwischen verbreiteter, weit gefasster Oberbegriff für eine Vielfalt von Identitäten und Lebensweisen. Dabei dient der Stern * als Platzhalter für diverse Komposita. Trans* findet Verwendung in einem Spektrum von trans*, LSBT- und queer-feministischen Kontexten, die von Selbsthilfe- bis hin zu aktivistischen Gruppen reichen. Aufgrund dieser Verbreitung und Inklusivität [verwendet bspw. transintersektionalität.org] Trans* als Oberbegriff, um ein breites Spektrum von Identitäten, -Lebensweisen und -Konzepten zu bezeichnen, auch solche, die sich geschlechtlich nicht verorten (lassen) möchten. [Ihnen] ist es […] ein Anliegen, die jeweils spezifischen Erfahrungen, Positionen und Selbstbezeichnungen zu differenzieren und zu bennenen [sic], […]« auch wenn mit solchen Oberbegriffen Schwierigkeiten verbunden sind und diese Grenzen haben mögen. (Sauer o.J.)

Die Schreibweise Trans ohne das Sternchen (auch: der Asteriks) am Ende des Wortes hingegen »wird seit Ende der 1990er Jahre insbesondere im englischen Sprachraum als möglichst inklusiver Oberbegriff verwendet (vgl. Whittle 2006)«. (ebenda) Von einigen Autor_innen wird dabei problematisiert, dass dieser weiß und westlich geprägt sei und deshalb für »eine differenzierte Bezeichnungspraxis, die Selbstbezeichnungen von People of Color zur Sprache bringt (ebenda)«, plädiert.

Literatur:

Sauer, Arn: Rassismus im Zweigeschlechtersystem, Zentrale Konzepte und Begriffe, o.J.; online unter http://transintersektionalitaet.org/?page_id=36#sdfootnote10sym, (zuletzt abgerufen am 19.05.2021).

Weiterführende Informationen zur Debatte und Verwendung der Begriffe Trans*/Trans könnt ihr hier nachlesen: https://interventionen.dissens.de/materialien/glossar (zuletzt abgerufen am 19.05.2021).

Trans*feindlichkeit / Transfeindlichkeit

»Trans*feindlichkeit [auch: Transfeindlichkeit] meint die Ablehnung, Ausgrenzung, Aggressionen oder Feindseligkeit gegen Trans*, Transidente und/oder Transgender und Nicht-binäre Personen oder Menschen, die als solche wahrgenommen werden.« (GLADT e.V o.J., S. 19)

Häufig ist in diesem Zusammenhang auch von Trans*-/Transphobie die Rede (vgl. Sauer o.J.). In Anlehnung an die Autor_innen der Broschüre Solidarität macht stark plädieren wir für die Verwendung des Begriffs Trans*-/Transfeindlichkeit, da Phobien »eigentlich Ängste im Sinne einer psychischen Beeinträchtigung [sind]. Diskriminierung hat jedoch damit nichts zu tun.« (GLADT e.V. o.J.)

Literatur:

GLADT e.V. : Solidarität macht stark. Ein Wegweiser für Jugendliche im Umgang mit Diskriminierung, Berlin, o.J.; online unter https://gladt.de/wp-content/uploads/2019/10/2019-Solidarität-macht-Stark.pdf (zuletzt abgerufen am 25.05.2021).

Sauer, Arn: Rassismus im Zweigeschlechtersystem, Zentrale Konzepte und Begriffe, o.J.; online unter http://transintersektionalitaet.org/?page_id=36#sdfootnote10sym, (zuletzt abgerufen am 19.05.2021).

Transformismus

»Mit Transformismus bezeichnete Antonio Gramsci die Stategie der Machterhaltung durch Kritikvereinnahmung. In Bezug auf das Italien der 1930er Jahre untersucht er, inwieweit es gelingt, Hegemonie (siehe Hegemonie) gerade dadurch zu erhalten, dass Kritik nicht nur zerschlagen und mit Zwang verhindert, sondern vielmehr aufgegriffen, die intellektuellen Positionen dabei vereinnahmt und transformiert werden. Hegemonie als pädagogisches Verhältnis erhält sich – Gramsci zufolge – gerade weil sie imstande ist, von der Kritik zu lernen und sich durch sie zu verändern. Dieses Phänomen des Transformismus – des Aufgreifens kritischer Ansätze zur Erhaltung von Macht – lässt sich gut für eine Analyse aktueller Verhältnisse fruchtbar machen. Wie Oliver Marchart (am Beispiel der documenta 12) aufzeigt, ist Transformismus nie nur Rückschritt, er ist selbst voranschreitend: nimmt auf, indem er verhindert, verhindert, indem er aufgreift. Einerseits heißt das, dass reaktionäre Ansätze nicht unbedingt rückschrittlich sind. Sie mobilisieren Progressivität und Fortschritt im Namen und mit dem Ziel der Erhaltung bestehender Machtverhältnisse. […]

Die Kritik in Nischen aufnehmen und andernorts mit allen Mitteln entkräften zu müssen, zeugt immerhin von einer Notwendigkeit mit ihr zu verhandeln. Aus dieser Perspektive ist Transformismus natürlich alles andere als ein Akt des Widerstands und trotzdem verweist er auf eine gewisse Unentschiedenheit innerhalb eines umkämpften Terrains. […] An eine kritische Museumstheorie und Praxis stellt sich vor diesem Hintergrund allerdings über eine reflexive Analyse weit hinausgehend die Frage: Wie kann die Kritik am Museum im Museum Folgen haben?« (Sternfeld 2009, S. 71f.)

Literatur:

Sternfeld, Nora: »Erinnerung als Entledigung. Transformismus im Musée du quai Branly in Paris«. In: Kazeem, Belinda/ Martinz-Turek, Charlotte/ Sternfeld, Nora (Hg.): Das Unbehagen im Museum – POSTKOLONIALE MUSEOLOGIEN. Wien: Turia und Kant, 2009, S. 61-76; online unter: http://www.schnitt.org/_media/books/schnittpunkt_3_Unbehagen_im_Museum.pdf (zuletzt abgerufen am 20.10.2021).

translokal, Translokalität

Mit Translokalität wird ein Verständnis von Raum bezeichnet, in dem mehrere Orte miteinander verbunden sind und in einem beständigen Austauschprozess stehen. Gerade mit der Migration von Menschen und der Zirkulation von Waren durch die ganze Welt gewinnt Translokalität an Bedeutung. Einzelne, lokale Begebenheiten können nicht voneinander getrennt betrachtet werden, sondern stehen immer in Verbindung mit anderen Lokalitäten. Ein Beispiel könnte hier die Ausbreitung von Musikstilen sein: Musikstile sind nicht örtlich gebunden, sondern wandern mit den praktizierenden Menschen. Erst durch diese Wanderung gewinnen sie ihre spezifischen Qualitäten, da sie so in Austausch mit weiteren Stilen stehen. Dieser permanente Modus der Grenzüberschreitung und dessen Spannung charakterisieren translokale Phänomene. Eine Reaktion auf die translokalen Phänomene ist zum Beispiel die Einrichtung von Ordnungssystemen durch Migrations- und Kolonialpolitik, die versuchen den »Fluss« der Translokalität zu unterbrechen bzw. nach machtdienlichen Vorstellungen zu ordnen. (vgl. Freitag/Oppen 2005)

Literatur:

Freitag, Ulrike/Oppen, Achim von: »Transnationale Geschichte als transnationales Projekt?« In: geschichte-transnational.clio-online.net, 2005; online unter https://d-nb.info/1019241861/34 (zuletzt abgerufen am 19.12.2021).

Transversale politische Bündnisse

Transversale politische Bündnisse ist ein Begriff, den man in Bezug auf feministische politische Bündnisse öfter hört. Sie zeichnen sich dadurch aus, die Gemeinsamkeiten in den unterschiedlichen bzw. vielfältigen Perspektiven zu berücksichtigen, da sie anerkennen, dass die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven bzw. Positionierungen (siehe Positionierung) anders ausschaut. (vgl. Yuval-Davis 1999, S. 94) Des Weiteren geht Yuval-Davis davon aus, dass Verschiedenheiten bzw. Unterschiede in der Gleichheit bestehen und diese nicht hierarchisiert werden sollten und dass Positionierung, Werte und Identität Unterschiede herstellen auch innerhalb einer als Kollektiv angenommenen Gruppe. (vgl. ebenda, S. 95) Trotz teils sehr unterschiedlicher Werte können sich feministische Bündnisse als »epistemologische Communities« (ebenda, S. 96) verstehen, da sie laut Yuval-Davis trotz der Unterschiede oft eine Reihe von gemeinsamen Werten teilen.

Literatur:

Yuval-Davis, Nira: »What is ›transversal politics‹?« In: Hall, Stuart/Massey, Doreen/ Cockburn, Cynthia/Hunter, Lynnette/Rustin, Michael (Hg.): Soundings Special Issue. Transversal Politics, London, 12, 1999, S. 94-98.

U

Umverteilung von Ressourcen

»Der Begriff befasst sich mit der globalen Verteilung der Zugangsrechte zu und Nutzungsrechte von Ressourcen (siehe Ressourcen) und fordert, dass Produktion, Konsum und die Nutzung dieser Lebensgrundlagen sozial und ökologisch (siehe ökologisch) gerecht gestaltet werden. Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit werden mit Fragen der Klimagerechtigkeit verknüpft. Das Konzept beinhaltet die Forderung, dass Menschen und Natur Vorrang vor Profitinteressen haben müssen. Dabei geht es unter anderem um die Sicherung von Existenz- und Menschenrechten, die Reduktion eines als Privileg durchgesetzten hohen Verbrauchs, um fairen Tausch und um den Ausgleich von Nachteilen sowohl zwischen dem Globalen Norden und Süden [(siehe globaler Norden, globaber Süden)] als auch innerhalb aller Länder.« (vgl. Brebit o.J)

Literatur:

Website von Brebit, Brandenburgische Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationstage, Glossar, Ressourcen, o.J., https://www.brebit.org/Glossar.html, (zuletzt abgerufen am 20.11.2021).

Unbestimmtheit

siehe Kontingenz  

Unebenheiten in der sozialen Topografie der Gruppe 

Mit Topografie ist im konventionellen Verständnis die Beschreibung und Darstellung von geografischen Orten gemeint. Hier beschreibt der Begriff soziale Topografie aber den Raum (siehe sozialer Raum), der durch die unterschiedlichen Positionen, Erfahrungen und Perspektiven der Gruppenangehörigen und ihrer intersektionale Verortung (siehe Positionierung, soziale) gestaltet wird. Der soziale Raum wird in dieser Metapher zu einer Art Gelände- oder Landschaftsmodell, die einzelnen Angehörigen der Gruppe haben verschiedene Positionen und Ziele: Es ergeben sich (Beziehungs-/)Wegenetze und Höhenunterschiede (Hierarchien, Privilegien). Die »Unebenheiten« stehen dabei als Verweis auf möglicherweise beschwerliche Prozesse in der sozialen Dynamik der Gruppe, die sich durch unterschiedliche Positionierungen ergeben – ähnlich wie eine Wanderung durch unebenes Gelände beschwerlich sein kann.

»unerzwungene Neuanordnung von Wünschen« 

Die indische Theoretikerin und Lehrerin Gayatri Chakravorty Spivak beschreibt die »unerzwungene Neuanordnung von Wünschen« als Bildungsprinzip. Unsere Vorstellung und unser Wissen sind durch den weißen westlichen Bildungskanon beeinflusst. Werte, Wissen und Vorstellungen des Westens werden als allgemeingültig betrachtet. (siehe universell, universal, universalistisch, Universalismus)

Wenn Menschen aus wohlhabenden Verhältnissen versuchen Menschen aus ärmeren Verhältnissen zu helfen, dann ist deren Vorstellung und deren Wissen durch die westlichen Medien und/oder Literatur beeinflusst. Insofern ist die Perspektive durch einen vorurteilsbeladenen Blick auf die Menschen des globalen Südens gekennzeichnet. Ein Beispiel hierfür ist die ehrenamtliche »Entwicklungsarbeit«. Das Helfen ist prinzipiell gut gemeint, doch basieren die Beweggründe auf einer exotisierenden, rassifizierten Vorstellung dieser Menschen, die häufig als hilflos und unselbständig betrachtet werden. Statt ihnen dabei zu helfen, sich selbst zu helfen oder wirtschaftliche Ausbeutungsverhältnisse abzubauen, werden westliche Werte und Vorstellung »auferzwungen« und übertragen. Es werden Hilfsprojekte gestartet oder der christliche Glauben missionarisch verbreitet, ohne sich mit den politischen und historischen Hintergründen auseinanderzusetzen. In dem Versuch zu helfen, werden nur die eigenen Vorstellungen, was vermeintlich richtig ist, durchgesetzt ohne die politischen Umstände zu reflektieren und die Menschen zu fragen, was sie tatsächlich brauchen.

Mit der »unerzwungenen Neuanordnung« fordert Spivak, dass wir unsere Vorstellungen und Wünsche, die durch unsere Sozialisation geprägt sind, freiwillig überdenken und verändern (siehe Verlernen), z.B. im Konsumverhalten, beim Reproduzieren des hegemonialen Kanons, diskriminierender Sprache (siehe Sprachhandeln, diskriminierendes), exotisierender/rassistischer Bilder etc. Im Alltag mag das nicht immer leicht erscheinen, das für selbstverständlich gehaltene Wissen zu verlernen. Aber es ist wichtig, sich in diesen Lernprozess zu begeben, unsere Bedürfnisse und Wünsche Schritt für Schritt zu verändern, sodass strukturelle Gewalt nicht wiederholt wird und die strukturellen Verhältnisse sich längerfristig zum Besseren wenden.

Ungleichheit, (soziale)

»Sind die Ressourcenausstattung oder Lebensbedingungen von bestimmten Gruppen so beschaffen, dass sie regelmäßig bessere Lebens- und Verwirklichungschancen als andere haben, so spricht man von sozialer Ungleichheit. In der Sozialwissenschaft lässt der Begriff offen, ob Sachverhalte sozialer Ungleichheit als ›gerecht‹ oder ›ungerecht‹ gelten.

[…]

Man spricht von ›sozialer Ungleichheit‹ (vgl. Hradil 2001: 27–46), wenn die Ressourcenausstattung (zum Beispiel der Bildungsgrad oder die Einkommenshöhe) oder die Lebensbedingungen (beispielsweise die Wohnverhältnisse) von Menschen aus gesellschaftlichen Gründen so beschaffen sind, dass bestimmte Bevölkerungsteile regelmäßig bessere Lebens- und Verwirklichungschancen als andere Gruppierungen haben. ›Besser‹ sind Lebens- und Verwirklichungschancen dann, wenn Ressourcenausstattungen oder Lebensbedingungen bestimmten Menschen nach den jeweils geltenden gesellschaftlichen Maßstäben (zum Beispiel bezüglich Sicherheit, Wohlstand, Gesundheit) die Möglichkeit zu einem ›guten Leben‹ und zur weiten Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bieten, anderen Menschen jedoch nicht. Inwieweit diese Möglichkeiten individuell genutzt werden, steht dahin. Der Begriff soziale Ungleichheit schließt somit nicht aus, dass Menschen mit vorteilhaften Bedingungen ein elendes Leben führen.

Neben den sozialen, das heißt gesellschaftlich entstehenden, relativ stabilen und verallgemeinerbaren existieren viele weitere Ungleichheiten zwischen Menschen. Nicht als soziale Ungleichheit gelten unter anderen individuelle, momentane und natürliche Vor- bzw. Nachteile. Sie entstehen zum Beispiel durch (un-)vorteilhafte Persönlichkeitseigenschaften, Lotteriegewinne oder angeborene Behinderungen. In der Realität greifen natürliche, momentane und individuelle Vor- bzw. Nachteile einerseits und soziale Ungleichheiten andererseits jedoch oft ineinander. Die jeweilige Intelligenz eines Menschen zum Beispiel ist meist sowohl durch natürliche als auch durch soziale Bestimmungsgründe geprägt.« (Hradil 2012)

Literatur:

Hradil, Stefan: Grundbegriffe, 2012; online unter https://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138437/grundbegriffe (zuletzt abgerufen am 19.12.2021).

unhinterfragte Voraussetzung

Das Unhinterfragte ist etwas, das mehrheitlich als selbstverständlich, z.B. naturgegeben, vorausgesetzt wird und dadurch die Dominanzverhältnisse stützt. Dazu gehören beispielsweise: Zweigeschlechtlichkeit, Begabung, die chronologische Zeit, Schwarz als Farbe der Trauer, Leistungsbereitschaft als positiver Wert, westlicher Kleidungsstil als neutraler Kleidungsstil etc.

universell, universal, universalistisch, Universalismus

Universalistisches Denken geht davon aus, dass es übergeordnete, allgemeingültige (also universelle bzw. universale) Prinzipien gibt, die wichtiger sind als das Einzelne oder das Individuelle. In der Regel sind damit Normen gemeint, die für jeden Menschen gelten sollen. Kritisiert wurde die Starrheit von universalistischen Positionen, die sich schwer an konkrete Situationen sowie kulturelle, historische oder ökonomische Faktoren anpassen lassen.

Des Weiteren sind die sogenannten universalen Werte und Weltansichten in der Regel von und für weiße, cis-männliche Europäer aufgestellt worden. Diese Werte und Weltansichten werden folglich auf alle Menschen und Kulturen projiziert, was historisch betrachtet weltweit Konflikte auslöste.

Eine heutzutage relevante Debatte über universale Prinzipien findet im Kontext der Menschenrechte statt. Diese wurden 1948 als universale Rechte erklärt. Positionen aus den Postcolonial Studies kritisieren diese vor dem Hintergrund des Kolonialismus, in dem die Kontinente außerhalb Europas zuvor unter dem Vorwand einer »Zivilisierungsmission« geplündert wurden. Heute würden die Menschenrechte dazu dienen, eben jene postkolonialen Staaten anzuprangern und sie erneut zu »barbarischen« Orten zu erklären. Die Geschichte wiederholt sich somit, denn so schaffen sich westliche Staaten erneut einen Vorwand, um sich in andere Staaten einzumischen. (vgl. Castro Varela/Dhawan 2020)

Literatur:

Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita: »Die Universalität der Menschenrechte überdenken«. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 20, 2020; online unter https://www.bpb.de/apuz/309087/die-universalitaet-der-menschenrechte-ueberdenken, (zuletzt abgerufen am 12.11.2021).

»Unterbrechung hegemonialer Verhältnisse«

Das »Unterbrechen hegemonialer Verhältnisse« ist eine politisch aktivistische Handlung gegen strukturelle Diskriminierung. Dazu ist zunächst wichtig zu wissen, was hegemoniale Verhältnisse meint (siehe Hegemonie). Die Gesellschaft ist hierarchisch strukturiert, d.h. es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Wohnortes, ihrer Körperform, ihres Geschlechts, strukturelle Nachteile erfahren, während andere Gruppen von den Ausbeutungsverhältnissen profitieren. Diese hegemonialen Verhältnisse können unterbrochen werden, indem zum Beispiel Personen, Methoden, Konzepte etc. in konventionelle Systeme eingeführt werden, die die bisherige Ordnung bzw. Konvention irritieren, verändern, neu aufstellen. Beispiele für die Unterbrechung hegemonialer Verhältnisse wären:

Unterbrechung des hegemonialen Kanons

Statt Denker und Künstler im Unterricht zu thematisieren, die die soziale Norm von weißsein, Cis-Männlichkeit, bürgerlich etc. verkörpern, könnten Lehrende und Vermittelnde Positionen behandeln, deren Sichtbarkeiten (z.B. weibliche/queere/Schwarze und Denker_innen/Künstler_innen of Color etc.) den vorgegebenen Kanon unterbrechen würden.

Unterbrechung hegemonialer Verhältnisse durch Strukturen

Da diese Künstler_innen strukturell ausgeschlossen werden, gestaltet sich die Recherche als mühsam und kann unter Stress zusätzlich belastend sein. Oft müssen sich kritisch-informierte Lehrende und Vermittelnde die Information selbst erarbeiten und können nicht klassisch auf Literaturdatenbanken oder Archive zurückgreifen. Warum dann nicht selbst Bücher schreiben oder eine Literaturdatenbank aufstellen, die die Suche für alle in Zukunft einfacher macht? So können Strukturen aufgebaut werden, die längerfristig die Arbeit gegen die hegemonialen Verhältnisse erleichtern.

Unterbrechung hegemonialer Verhältnisse durch Methoden

Manchmal können Methoden selbst soziale Ausschlüsse reproduzieren, wenn sie nicht an die Lerngruppe angepasst werden. Als Lehrende sollte ich mir daher die Frage stellen, wie ich am besten alle, d.h. ausgehend von der Position, die am strukturell benachteiligsten ist, in meine (Lehr-)Praxis miteinbeziehen kann. Um beispielsweise Lernende nicht auszuschließen, die nicht so gut deutsch sprechen, wäre es sinnvoll, Methoden auszuwählen, die Sprech- und Sprachanteile reduzieren, oder Texte in der jeweiligen Muttersprache bereitzustellen. Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, dass das Unterbrechen hegemonialer Verhältnisse ein fortlaufender Prozess ist. Das bedeutet, dass eine alleinige Unterbrechung (z.B. Tokenism: Ich behandele im Unterricht eine Schwarze Position und reproduziere weiterhin den hegemonialen Kanon) nicht ausreicht. Um längerfristig etwas zu verändern, müssen Strukturen (siehe strukturelle Veränderung) geschaffen werden, die die Unterbrechung hegemonialer Verhältnisse dauerhaft möglich machen bis hin zu einer Etablierung diskriminierungskritischer Ansätze.

Unterdrückung, Systeme der Unterdrückung

institutionalisierte Unterdrückungssysteme

Als Unterdrückung bezeichnet man die Gewaltausübung, Ausbeutung oder soziale Einschränkung gegen einzelne Menschen oder Gruppen, aufgrund unterschiedlicher Zuschreibungen oder Merkmale. Deshalb gibt es auch ganz unterschiedliche Formen der Unterdrückung, z.B. Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus und viele mehr. Wenn diese in der Gesellschaft durch Institutionen verankert werden, spricht man von institutionalisierten Unterdrückungssystemen (z.B. Arbeitsverbot für Frauen in der Ehe oder Ausschluss von Lehrer_innen mit Hijab). Auch wenn die Unterdrückungssysteme nicht in Recht und Gesetz festgehalten sind, werden bestimmte Gruppen von Menschen dennoch z.B. wirtschaftlich oder sozial unterdrückt. Unterdrückungssysteme gehen meist aus ungleichen Herrschafts- oder Gewaltverhältnissen (siehe Herrschaftsverhältnisse, siehe Gewaltverhältnisse) hervor, d.h. (sozial) unterdrückte Menschen sind in der Regel machtlos bzw. werden handlungsunfähig gemacht. (vgl. Young 1988)

Literatur:

Young, Iris Marion: »Five Faces of Oppression«. In: THE PHILOSOPHICAL FORUM, 19, 4, 1988; online unter https://static1.squarespace.com/static/58f36d7c1e5b6cb8c0d88151/t/5b819893aa4a996cc7a040d0/1535220047033/YOUNG+Five+Faces+of+Oppression.pdf (zuletzt abgerufen am 20.12.2021).

Unverfügbarkeit

Beschreibt den Zustand des Nicht-haben-Könnens bzw. das Nicht-Kontrollierbare. Lehr-Lernsituationen in der diskriminierungskritischen Praxis sind immer unvorhersehbar, da sie von verschiedenen sozialen Faktoren abhängen, die in ihrer Komplexität nicht ohne weiteres zu kontrollieren sind. (siehe Kontingenz)

V

Ver_Anderungsprozess

siehe Othering

Verhältnisse

»prekäre Verhältnisse«

»Prekär arbeiten heisst, ungeregelt und mit wenig (oder ganz ohne) soziale Absicherung einer Beschäftigung nachzugehen, also nicht in angestellten, sondern freien Arbeitsverhältnissen, die sich durch Unsicherheit und oft Unterbezahlung auszeichnen, aber auch, das ist nicht zu vergessen, durch Freiheit oder Selbstbestimmtheit. In bestimmten Branchen (Kunst, Medien, Reinigung, Pflege) ist prekäres Arbeiten der Normalfall.« (Zeit für Vermittlung o.J.)

Literatur:

Website für Zeit für Vermittlung, Glossar, Prekär, o.J., https://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=10&m2=3&lang=d (zuletzt abgerufen am 19.10.2021).

Verhaltenscodes

Verhaltenscode (bzw. -kodex) beschreibt im Bourdieuschen Habitusverständnis Verhaltensweisen, die an einen sozialökonomischen Kontext gebunden sind. Das bedeutet, dass ich mich innerhalb eines bestimmten Habitus an einen Verhaltenscode anpasse.

Zum Beispiel:

»Jemand besucht eine Oper (kulturelles Feld), applaudiert in den falschen Momenten, spricht während der Vorstellung und so weiter. Dieses Verhalten widerspricht dem herrschenden Verhaltenskodex in dem spezifischen Feld. Das entsprechende Subfeld wäre beispielsweise das Musical. Das Verhalten des Akteurs wird mit den dortigen Spielregeln nicht divergieren [abweichen], er wird aus Sicht der Anwesenden nicht negativ auffallen und sich dort inkludierter [eingeschlossener] fühlen. Dieses Alltagswissen wird in seine Erfahrungsmatrix eingehen und seine Folgeentscheidungen prägen.« (Dogan 2017, S.21)

Literatur:

Dogan, Semra: Sozialtheorie und politisches Engagement. Eine Auseinandersetzung mit der Rezeption des Werks Pierre Bourdieus in der deutschen Soziologie, 2017; online unter https://d-nb.info/1125019212/34, (zuletzt abgerufen am 21.10.2021).

verkörpern/ Verkörperung

»Jede[_r] Akteur[_in] besitzt eine Individualität aufgrund der Herkunft, Lerngeschichte und Umgebung, in der er_sie aufgewachsen ist. Seine[_ihre| Erfahrungen der Welt sind körperlich verankert: Als[verkörperte] Strukturen, die die eigene Wahrnehmung organisieren und bewerten, als Voraussetzung für zukünftige Handlungen, als innere Einstellungen und Vorlieben.« (Gebauer 2017, S. 28)

In der Körpersoziologie wird der Körper eines Individuums im Verhältnis zu seiner sozialen Umwelt betrachtet. Der Körper als soziologische Komponente ist somit Teil der gesellschaftlichen Ordnung. Verkörperung meint, dass Individuen sich mit ihrem Körper sozial positionieren. Meine soziale Herkunft, meine Lerngeschichte und die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, werden Teil von mir und damit auch meines Körpers. Wie ich spreche, mich bewege, was ich mag, was ich nicht mag, kann anhand meines Körpers, z.B. in meiner Performance im sozialen Raum, von anderen vernommen werden.

Somit ist meine Person im sozialen Raum nicht unabhängig von der Gesellschaft zu denken. Institutionen, soziale Gruppen und meine Mitmenschen handeln (un)bewusst nach sozialen Kategorien (siehe Kategorie, soziale), die ich verkörpere.

Anhand dieser Kategorien werden politische Entscheidungen getroffen und Handlungen vollzogen.

Von Diskriminierung wird gesprochen, wenn meine Verkörperung gesellschaftlich strukturelle Ausschlüsse erfährt, ich in meiner Freiheit eingeschränkt werde, in existentielle Not gerate oder mich als Mensch abgewertet fühle. Meine Verkörperung signalisiert mir, wo ich hingehöre, wo ich nicht hingehöre.

Darunter liegen Strukturen, die mir den Zugang zu bestimmten Feldern (z.B. in einem Beruf mit guter Bezahlung) leichter machen bzw. erschweren.

Verlernen

»[…] Ein wichtiger Impuls für künstlerisch-edukative Projekte liegt im Infragestellen des Lernens selbst. In ihrem Artikel ›Verlernen vermitteln‹ legt Nora Sternfeld dar, wie Prozesse des Lernens und Verlernens von Denk- und Handlungsmustern in Hinblick auf Kritik und gesellschaftliche Transformation zusammenhängen (Sternfeld 2014: 12f.). Sternfeld definiert den Ort des Lernens und Lehrens als ›umkämpftes Terrain‹, in dem die Pädagogik als verändernde Praxis verstanden wird, die das Sagbare und Denkbare (ebenda: 19) verhandelt und verändert und die ›dominanten Formen des Denkens und Handelns‹ (Mayo 2006: 22, zit. n. Sternfeld 2014: 19) herausfordert. Sie bezieht sich dabei auf das in der postkolonialen Kritik verankerte Konzept des ›Unlearning‹ (Verlernen) von Gayatri Spivak. Bei diesem geht es nicht nur darum ›Hegemonie zu vermeiden, sondern vielmehr darum gegenhegemoniale Prozesse zu formieren‹, Machtverhältnisse bewusst zu verlernen und die strukturelle Dimension von Ausschlussmechanismen zu erkennen (Sternfeld 2014: 16ff.). Ein wichtiger Aspekt des Verlernens/Unlearning ist laut Nora Sternfeld im Performativen angesiedelt. Machtverhältnisse stehen mit Lernprozessen in Beziehung, sie werden tagtäglich gelernt und aufgeführt und somit reproduziert oder auch subvertiert. Gängiges und mächtiges Wissen kann in diesem Sinn in der pädagogischen oder künstlerischen Vermittlungstätigkeit dekonstruiert werden und offene Räume für alternative Wissensproduktionen (s. auch Lang 2015) können geschaffen werden, die eine Aneignung und dadurch eine Neuinterpretation und Transformation von Bedeutungen und Zuschreibungen ermöglichen (Sternfeld 2014: 9). […]« (Zobel/ Huber o.J.)

»Verlernen von Privilegien« (siehe Privilegien als Verlust)

Folgt man den Ausführungen von Spivak und Sternfeld zum Konzept des Verlernens, so muss es bei der Losung »Verlernen von Privilegien« darum gehen, die oben angesprochenen »Dimension[en] von Ausschlussmechanismen zu erkennen« und zu verlernen. Dies ist nur möglich, wenn bewusst »›gegenhegemoniale Prozesse‹« initiiert werden, die die Verhältnisse der Macht – wer hat welche Privilegien und warum etc. – kritisch befragen und dekonstruieren. (vgl. Zobel/Huber o.J.)

Literatur:

Zobel, Elke/Huber, Laila: Making art? Taking part! Intervenieren, Forschen, Vermittlen. Kritische Kunst- und Kulturvermittlung, o.J.; online unter: https://www.takingpart.at/ kontext-1/kritische-kunst-und-kulturvermittlung/ (zuletzt abgerufen am 26.11.2021).

Versteckter/heimlicher Lehrplan

Der Begriff »heimlicher Lehrplan wurde in den siebziger Jahren als Gegenstück zum offiziellen Lehrplan in die pädagogische Diskussion eingeführt. Der Begriff bezieht sich vor allem auf die sozialen Lernerfahrungen der SchülerInnen, darauf, was ihnen bezüglich sozialer Regeln beigebracht wird. Im Gegensatz zum offiziellen Lehrplan bezieht sich der heimliche Lehrplan nicht darauf, was unterrichtet wird, sondern wie unterrichtet wird. Auch der ›heimliche Lehrplan‹ geschlechtsdifferenter Sozialisation ist seit einigen Jahren in den Blickpunkt empirischer Schulforschung geraten. Vor allein [sic!] Frauenforscherinnen haben es sich zur Aufgabe gemacht, dezidiert nach jenen nicht-gewollten Lernerfüllungen in der Schule zu fragen, die einer Erziehung zur Mündigkeit für beide Geschlechter zuwiderlaufen. Geschlechterstereotype und die damit in Zusammenhang stehenden normativen Erwartungen werden über den ›heimlichen Lehrplan‹ in die Schule transportiert. Lehrpersonen, die ihre eigene Sozialisation nie überdacht haben, geben das weiter, was sie gelernt haben. Der angepaßte [sic!], stille, ängstliche Junge ist ebensowenig [sic!] akzeptiert, wird abgelehnt, sanktioniert und verunsichert, wie das laute, aggressive Mädchen. Die Schülerlnnen bekommen die gewünschten Geschlechterrollen nicht nur vorgelebt, sie bekommen es auch zu spüren, wenn sie diesen nicht entsprechen.« (Projektwerkstatt, o.J.)

Literatur:

Projektwerkstatt: Der heimliche Lehrplan- Geschlechtersozialisation in der Schule, o.J., online unter https://www.projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=1&a=13280, (zuletzt abgerufen am 21.10.2021).

Viktimisierung

»Viktimisierung bezeichnet den sozialen Prozess der Opferwerdung, bei dem drei Stufen unterschieden werden: Primäre Viktimisierung bezieht sich auf die unmittelbare Schädigung, die psychischen und physischen Folgen, den Zeitpunkt und die Umstände der Tat. Sekundäre Viktimisierung bezeichnet eine zweite Opferwerdung, bei der Betroffene durch unangemessene Reaktionen des sozialen Nahraums (Verwandte, Freund_innen, Bekannte etc.) oder Instanzen sozialer Kontrolle (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte) erneut verletzt werden. Hierbei kann es sich z. B. um ausbleibende Unterstützung und Verständnis, eine Bagatellisierung der Tat, mangelndes Einfühlungsvermögen, Witze, Mitschuldvorwürfe oder gar eine Täter-Opfer-Umkehr handeln. Als tertiäre Viktimisierung wird eine unbewältigte Erst- und Zweitviktimisierung bezeichnet, bei der die Betroffenen auf Dauer eine Opferrolle internalisieren [verinnerlichen]. Eine solche dauerhafte Selbstdefinition als Opfer kann die Sicht- und Erlebnisweisen sowie Handlungsmöglichkeiten erheblich einschränken und sich in ständiger Furcht vor erneuter Gewalt und mangelndem Vertrauen gegenüber Menschen und den Schutzmöglichkeiten gesellschaftlicher Institutionen ausdrücken.« (IDA-NRW o.J.)

Literatur:

Website von IDA-NRW, Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in NRW, Glossar, Viktimisierung, o.J., https://www.ida-nrw.de/service-navigation/glossar (zuletzt abgerufen am 20.10.2021).

Vor-sehung, vor-gesehen

»Silverman unterscheidet – im Anschluss an Lacan – hierfür Sehen als sinnlichen Akt (look) von Blicken/Erblicken (gaze). Dabei verweist sie auf die Wirkmächtigkeit kollektivierter Blickweisen und spricht aufgrund deren regulierender, normativer und kontrollierender Wirkung von einem Blickregime (gaze). […] Denn der Blick verlangt spezifische Darstellungsweisen, um erblicken zu können. Im Umkehrschluss heisst [sic!] das für jemanden, die_der erblickt werden will, sich diesem Diktat des Blickregimes zu unterwerfen, sich an die geforderten Darstellungsparameter zu halten oder zumindest sich dazu zu verhalten. Beispielsweise muss eine Person, um als ›Mann‹ erblickt zu werden, auch männliche Attribute ›besitzen‹ oder besser zu sehen geben (können) – also die für Männlichkeit vorgesehenen Merkmale in Bezug auf den Körper, die Körperhaltung, die Frisur, die Kleidung, die Stimme etc. Das Blickregime reguliert Darstellungen nach seiner durch den gesellschaftlichen Kontext mitbestimmten Logik (vgl. Silverman 1997: 58). Nicht erblickt zu werden, geht mit nicht erkannt und leider allzu oft auch mit nicht anerkannt zu werden einher. Die Macht und die Unzulänglichkeit des Blickregimes zeigt sich daran, dass nur das ›Vor-gesehene‹ leicht (an)erkannt werden kann (vgl. dazu Hey Hetero!). Der von Silverman angeführte Aspekt des ›Vor-gesehenen‹ kann dabei als ein besonderer Fall verstanden werden, welcher anhand des Feld [sic!] der Vermittlungsarbeit in Museen weiter ausgeführt werden soll. Es ist in diesem Zusammenhang ein [sic!] Versuch wert, einer Gruppe von Personen die Aufgabe zu stellen, ein Bild von musealer Vermittlungsarbeit zu skizzieren bzw. zu beschreiben. Dabei wäre vermutlich leicht festzustellen, dass unter den mit musealer Vermittlungsarbeit verknüpften (Vorstellungs-) Bildern einige sind, welche sich förmlich aufzudrängen scheinen – also bspw. eine Führungssituation mit einer auf ein Kunstwerk zeigenden Vermittler_in. Dieses dominante sich Aufdrängen von spezifischen Darstellungsweisen bezeichnet Silverman als das ›Vor-gesehene‹ und verweist dabei auf die Ordnungen und Dominanzen, welche innerhalb eines kulturellen Bilderrepertoires (Silverman spricht von screen/Bildschirm) herrschen. D.h. es gibt prinzipiell viele Möglichkeiten der Darstellung von Vermittlungsarbeit, aber es gibt eben solche, die für den Blick besonders leicht lesbar und normal erscheinen. […] Der screen ist laut Silverman von uns als gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren verinnerlicht und vergleichbar mit einer Sprache, die uns bestimmte Bezugspunkte an die Hand gibt, um jemanden oder etwas wahrzunehmen. Der screen ist die kulturelle Folie, auf der festgelegt wird, was und wie gesehen wird, wie Sichtbares bearbeitet und welche Bedeutung diesem zugesprochen werden kann (vgl. Silverman 1997: 58). […] Radikal an dieser Konzeptionalisierung ist die Annahme, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden müssen, alles sehen zu können. Stattdessen sehen wir nur das, was durch ein Repertoire an kulturell verfügbaren Bildern sichtbar werden kann. Silverman schlägt als eine mögliche Intervention und Umarbeitung gegen das bestehende Blickregime vor, kollektiv die unbeleuchteten Teile des screen in den Vordergrund zu rücken und die ›hellen‹, leicht sichtbaren, ›heute als normative Darstellung auftretenden‹ (Silverman 1997: 59) Teile dafür abzudunkeln. […]« (Wiki ZHdK 2012).

Literatur:

Wiki der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK): Repräsentation und Repräsentationskritik – Blick und kulturelles Bilderepertoire, 2012; online unter: https://wiki.zhdk.ch/repraesentation/doku.php?id=wiki:text:ansatzpunkte (zuletzt abgerufen am: 27.11.2021).

E

weiß

»Mit weiß ist nicht unbedingt die Schattierung der Haut eines Menschen gemeint, sondern die Positionierung und soziale Zuschreibung als weiß in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass durch Rassifizierung und Rassismus nicht nur rassistisch diskreditierbare Menschen, sondern auch rassistisch nicht diskreditierbare Menschen positioniert werden. D. h. Rassismus weist auch weißen Menschen strukturell einen bestimmten sozialen Ort zu. Dieser Ort ist verbunden mit Privilegien, Dominanzerfahrungen und der Erfahrung als Maßstab zur Beurteilung nicht-weißer Menschen zu fungieren, ohne selbst als weiß markiert zu werden. Wer als weiß gilt und wer nicht [,] variiert historisch, sozial und geografisch. Dennoch ist Weißsein historisch und gesellschaftsstrukturell verankert, so dass es keine Frage der freien Entscheidung ist, ob weiße Menschen Vorteile aus dieser Positionierung ziehen und ob sie Dominanz ausüben können. Die Bezeichnung weiß dient also dazu, diese in der Regel unmarkiert bleibende Positionierung weißer Menschen – mit ihren in der Regel für sie unsichtbaren Folgen – sichtbar zu machen. Erst dadurch lassen sich bestehende Machtverhältnisse und Normalitätsvorstellungen beschreiben, analysieren, reflektieren und verändern, ohne dass Positionierungen als natürliche Eigenschaften von Menschen erscheinen. Um diese Zusammenhänge deutlich zu machen, wird in diesem Glossar weiß stets kursiv gesetzt. Andere Autor:innen schreiben das Adjektiv in Analogie zu Schwarz groß.« (IDA e.V. o.J.)

Literatur:

Website von IDA e.V., Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e. V., Glossar, o.J., https://www.idaev.de/recherchetools/glossar?fbclid=IwAR3EYkPARbUAODPycdD_H4INAskivjQg_tRXnpf6bsHabSYMTXflUrAlwDo&tx_dpnglossary_glossary%5B%40widget_0%5D%5Bcharacter%5D=W&cHash=42c48b67c604b79bdb07e081a1b32900 (zuletzt abgerufen am 10.06.2021).

weißer Blick (engl. White Gaze)

»Wenn du einen Roman liest und in den Zeilen die Hautfarbe des oder der Protagonist*innen nicht beschrieben wird, gehst du dann davon aus das die Person weiß oder Schwarz [ergänzt d. V. Person of Color] ist? Bingo: weiß. Das hat einen Grund. Bücher werden [ergänzt d. V. in der Regel] für weiße Menschen geschrieben. Sowie Filme, Bilder, Technologien – die gesamte Welt. Kolumbus entdeckte Amerika und POC-Autor_innen, unabhängig ihres Genres, werden in der deutschen Buchbranche unter die ›Ausländer_innen‹-Literatur sortiert. Für dieses Phänomen gibt es eine Bezeichnung und zwar White Gaze. Es tritt immer dann auf, wenn geschaffene Kunst und Kultur von Schwarzen Menschen [und People of Color), in einem weißen Ethnozentrismus bewertet wird. Weißsein ist der Standard, normal, der Maßstab, der sich wie ein Deckmantel über die gesamte Welt legt. Alles, was dem nicht entspricht, ist nicht gut, falsch, nicht schön oder anders. […] Es war die afroamerikanische Autorin Toni Morrison, die das Konzept vom ›White Gaze‹ nutzte, um auf ein Phänomen in der Literaturszene aufmerksam zu machen. Die meisten Bücher – die sowohl von Schwarzen als auch von weißen verfasst werden, werden mit den Blick [sic!] auf eine weiße Leserschaft geschrieben. Aus diesem Grund dient das geschaffene Material dazu, die Erfahrungen von weißen Menschen zu erklären und in einen Kontext zu stellen, während es gleichzeitig die Erfahrungen und Persönlichkeiten der Schwarzen als eine Möglichkeit nutzt, das Wachstum der weißen Charaktere zu unterstützen – ohne viel mehr über das Leben des Schwarzen Charakters zu bieten.« (Rosa Mag o.J.)

Literatur:

Website von Rosa Mag, white gaze, o.J., https://rosa-mag.de/was-ist-der-white-gaze/, (zuletzt abgerufen am 10.11.2021).

weiße Flecken

Mit weißen Flecken sind die Leerstellen (siehe Leerstellen) in der Regel weißer Menschen in Bezug auf Rassismus gemeint. Es ist eine Abwandlung der ableistischen Wendung »blinder Fleck« (siehe Ableismus) von der wir abraten. Mit weißen Flecken kann z.B. auch gemeint sein, dass Schwarze Perspektiven unsichtbar gemacht werden oder von weißen Perspektiven überlagert werden.

weiße Tränen

weiße Tränen (engl. white tears) sind im Kontext von Antirassismus Abwehrreaktionen weißer Menschen, wenn diese mit Rassismus konfrontiert werden. weiße Menschen fühlen sich schuldig, ohnmächtig, angegriffen, zu Unrecht behandelt und unterbrechen dadurch unwissentlich den Lernprozess, der mit dem Verlernen von Rassismus verbunden ist. Bei der Abwehrreaktion wird die Aufmerksamkeit der Diskussion auf die Gefühle und innerlichen Befindlichkeiten weißer Menschen gelenkt. Sätze wie: Was kann ich denn dafür? Ich fühle mich auch diskriminiert? etc. schieben die Verantwortung von sich ab. Dabei können eben auch echte Tränen fließen. Die eigentliche Diskussion, nämlich die Bekämpfung von Rassismus, wird in den Hintergrund gerückt. Betroffene von Rassismus werden zu Tröstenden oder zu Täter_innen gemacht und erfahren dadurch eine doppelte Form der Gewalt. Nämlich einerseits die Bestrafung dafür, das Thema angesprochen zu haben, und die Schuldzuweisung dafür, die Gefühle weißer Menschen verletzt zu haben. (vgl. Bonköst 2016)

In der diskriminierungskritischen Arbeit sind Abwehrreaktionen auf Rassismus insbesondere bei weißen Lernenden häufig zu beobachten. Antirassismus wird als anstrengend empfunden. Das Problem ist, dass damit die strukturelle Ungerechtigkeit der Betroffenen wiederum in die Logik des Rassismus eingeflochten werden. Strukturelle Bekämpfung von Rassismus wird unterbrochen, da die Machtverhältnisse umgekehrt oder auf individuelle Probleme verschoben werden – ganz nach dem Motto: »weiße Menschen werden auch rassistisch diskriminiert.« Die Aussage stimmt nicht, da weiße Menschen global betrachtet nicht aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert werden. Weißsein stellt gesellschaftlich einen Vorteil da. Das bedeutet nicht, dass weiße Menschen nicht auch entlang anderer Ungleichheitskategorien wie Ableismus, Sexismus, Klassismus, etc. diskriminiert werden können. Deshalb ist es wichtig, die intersektionale Dimension zu betrachten, die Diskriminierungsformen in ihrer Zusammenwirkung mitdenkt und innerhalb dieser Logik nach Lösungsansätzen sucht. (vgl. Bönkost 2016)

Literatur:

Bönkost, Jule: weiße Emotionen – Wenn Hochschullehre Rassismus thematisiert. Berlin: Antirassistisch-Interkulturelles Informationszentrum ARiC, 2016.

(kritisches)-weiß Sein, (kritisch)-weiße Perspektive

»Im Critical Whiteness [engl. für kritisches weißSein] Ansatz ist weiß-sein keine Hautfarbe, sondern ein Konzept. Viele Privilegien sind auf Grund der europäischen Expansion, Kolonialismus, Sklaverei und Faschismus an das weiß-sein gebunden. Der Critical Whiteness-Ansatz sensibilisiert für die Zugehörigkeit zur dominanten weißen Mehrheit, für die Konstruktion von weiß-sein als Norm. Der Ansatz zielt darauf ab, weiße Privilegierungen zu enthüllen.« (dissens 2018, Herv. d. A.)

»[…] konsequenterweise müssen sich also Weiße mit der Konstruktion von weiß sein beschäftigen, um die Wirkungsweise von Rassismus offenzulegen. […] Privilegien, die weiße Menschen genießen, [sind] weißen Menschen häufig nicht bewusst […]. Kritischessein fördert die Reflexion der gesellschaftlichen Positionierung und die Auseinandersetzung mit persönlichen Verstrickungen in rassistische Strukturen.« (quixkollektiv 2016, Herv. d. A.)

Wir schreiben weiß klein und kursiv, um auf den Charakter der konstruierten sozialen Norm und Weißsein als Konzept zu verweisen.

Literatur:
Website von dissens. Institut für Bildung und Forschung, Intersektionale Gewaltprävention, Glossar, Critical Whiteness, 2018, https://isgp.dissens.de/glossar (zuletzt abgerufen am 18.06.2021).
Website von quixkollektiv, Glossar, Kritisches Weißsein (engl.: Critical Whiteness), 2016, https://www.quixkollektiv.org/glossar/allgemeines-glossar/ (zuletzt abgerufen am 13.05.2021).
W

Werkzeugkasten

Ein Werkzeugkasten ist ein Kasten zur Aufbewahrung von Werkzeugen, welche in verschiedenen Situationen zum Einsatz kommen können. Sie können dazu genutzt werden, um Dinge festzuschrauben, zu lockern, miteinander zu verbinden, zu kürzen etc. Da ein Werkzeugkasten eine handliche Größe hat, kann man ihn und die Werkzeuge gut transportieren und ihn nahezu überall hin mitnehmen. Die verschiedenen Fächer im Werkzeugkasten helfen zudem, die Werkzeuge zu ordnen und den Überblick zu behalten. 

Das sprachliche Bild des Werkzeugkastens nutzen wir an dieser Stelle metaphorisch – also als ein übertragenes Bild: Die verschiedenen Übungen unseres Bildungsmaterials – wie zum Beispiel die Power Flower – verstehen wir dabei als eine Art Werkzeug, um sich wie hier im konkreten Fall, mit den eigenen Privilegien oder Ausschlüssen auseinanderzusetzen. Ähnlich wie bspw. ein Schraubenschlüssel lassen sich die Werkzeuge in ganz unterschiedlichen Kontexten einsetzen und können für verschiedene Aufgaben genutzt werden, um z.B. Dinge zu (be)festigen oder aber auch zu lockern und neu auszurichten (auch wenn bestimmte Einsätze sicher näher liegen mögen als andere). Um letztlich ein tragfähiges Gebilde herzustellen, reicht meistens nicht ein einzelnes Werkzeug aus – es braucht verschiedene »tools« die in ihrer Zusammenstellung die größtmögliche Wirkung entfalten. Diese mannigfaltigen Werkzeuge finden sich in unserem Bildungsmaterial – nehmt sie mit und nutzt sie für und in euren Kontexten!

westlich, Westen, der

»Zur westlichen Welt gehören bestimmte Länder der Erde. Es ist aber kein Begriff aus der Geografie. Man meint damit Länder, die eine bestimmte Kultur, Politik, Wirtschaft und Religion haben. Es geht auch um bestimmte Werte wie Gerechtigkeit. Deshalb werden auch Länder wie Australien der westlichen Welt zugerechnet. Dabei liegen diese Länder von uns aus gesehen nicht wirklich im Westen. Als westlich gelten heute Länder, deren Kultur europäisch geprägt ist. Somit umfasst es auch Länder außerhalb Europas, die von Europäern [sic!] besiedelt wurden. Dies gilt zum Beispiel für die USA und Kanada oder eben Australien. Die europäischen Siedler [sic!] haben dabei ihre Lebensweise durchgesetzt und kaum Rücksicht auf die ursprüngliche Bevölkerung genommen. Dadurch haben sie die ursprüngliche, heimische Kultur der [..] [indigenen Bevölkerungen] nahezu komplett durch die europäische Kultur verdrängt. Die typisch westliche Religion ist das Christentum. In der Politik herrscht die Demokratie vor. Alle Menschen sollen möglichst viel Mitsprache haben. Man spricht oft von einer demokratischen Gesellschaft. Demokratie und Gleichberechtigung sollen auch im Alltag gelten, in den Schulen und möglichst überall. In der Wirtschaft gilt die Freie Marktwirtschaft. Das beste Produkt zum günstigsten Preis soll sich auch am besten verkaufen. Der Staat soll möglichst nicht in den Markt eingreifen. Die Staaten der westlichen Welt sind wohlhabend und stark in der Technologie, Bildung und anderen Bereichen. Weitere ›westliche Werte‹ sind Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Gleichheit. Diese Werte gehen insbesondere auf die Aufklärung und dann die Französische Revolution zurück, die erst in Europa stattfanden. Den Begriff ›Westliche Welt‹ hat ein Wissenschafter aus Großbritannien im Jahr 1996 geprägt. Er gehört also selbst zu dieser Westlichen Welt. Es handelt sich vor allem um eine Sichtweise. Was die Westliche Welt ausmacht und welche Länder dazugehören, ist also nicht ganz klar.« (klexikon o.J.)

Literatur:

Website von klexikon, westliche Welt, o.J., https://klexikon.zum.de/wiki/Westliche_Welt, (zuletzt abgerufen am 14.10.2021).

White Saviourism (dt. weiße Retter_innen)

»Der von Teju Cole geprägte Begriff ›White Savior Complex‹ beschreibt ein Phänomen, nach dem sich weiße Menschen aus dem Globalen Norden dazu berufen fühlen, in Ländern des Globalen Südens Entwicklungs-, Aufklärungs- oder Hilfsarbeit zu leisten. Damit sprechen sie sich irrtümlicherweise eine sehr große Verantwortung und vor allem Fähigkeit zu, die zwar gesellschaftlich und medial unterstützt wird, aber nicht unbedingt an die Realität geknüpft ist. In der Regel wollen die White Saviours [sic!] mit ihrem Engagement zunächst ›etwas zurückgeben‹, bzw. ›etwas Gutes tun‹ – sie verfolgen also grundsätzlich ethische bzw. moralische Motive. Vielen ist dabei jedoch die historisch verankerte und komplexe Problematik von weißer Dominanz und Vorherrschaft nicht bewusst. Diese Illusion erhält seit Jahrhunderten existierende globale Machtstrukturen und Ungleichheiten aufrecht und wird am Ende häufig durch solche Formen des Engagements vielmehr verstärkt, als bekämpft. Was das bedeutet, wollen wir im Folgenden näher erklären:

Deutlich wird das Phänomen des White Saviourisms [sic!] beispielsweise angesichts der zwar hochmotivierten, aber für den Zweck des Engagements meist unausgebildeten, Abiturient*innen, die nach dem Schulabschluss klassischerweise in Länder des Globalen Südens ziehen, um dort ›zu helfen‹. Die Tatsache, dass diese Freiwilligen meist ohne Qualifikation und notwendiges Wissen über die lokalen Umstände breitflächig in Projekten der sogenannten ›Entwicklungszusammenarbeit‹ eingesetzt werden und dort auch durchaus machtvolle Positionen einnehmen, verdeutlicht die Überheblichkeit seitens der Gesellschaft im Globalen Norden. Es wird impliziert davon ausgegangen, dass diese Freiwilligen Kompetenzen haben, die Personen aus der lokalen Gemeinschaft wiederum entweder gar nicht, oder zumindest nur auf gleicher Ebene zugesprochen wird.

Der White Savior-Komplex bezeichnet das Phänomen, dass Menschen glauben – bewusst oder unterbewusst sei zunächst dahingestellt – dass ihre Herkunft, ihre Erziehung und (Aus-)Bildung in einem Land des Globalen Nordens ihnen das Recht, das Wissen und die Legitimation verleihe, andere Menschen ›aufzuklären‹ oder zu ›retten‹. Diese anmaßende Überschätzung der eigenen Rolle fußt auf alten, rassistischen und durch den Kolonialismus geprägten Weltbildern, die bis heute die Vorstellung einer Vormachtstellung und ›Weiterentwicklung‹ europäischer Gesellschaften im Vergleich zum Rest der Welt in den Köpfen der Menschen verankern. Aus einem scheinbaren höheren ›Entwicklungsstatus‹, den der Westen angeblich im Vergleich zu anderen Gesellschaften und Kulturen einnimmt, folgt also der Irrtum der globalen Verantwortung, Gesellschaften im Globalen Süden nach dem westlichen Ebenbild und europäischen Standards zu prägen, bzw. – grob gesagt – vor (minderwertiger) Andersartigkeit zu ›retten‹. So werden nicht nur Machtstrukturen und von Rassismus geprägte Bilder der passiven und hilfsbedürftigen ›Anderen‹ reproduziert, sondern Themen auch stark verkürzt dargestellt. Denn in diesem Weltbild fällt komplett außer Acht, dass bestehende Knappheiten an Ressourcen und soziale Probleme in Ländern des Globalen Südens häufig eine direkte Folge von Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung aus dem Globalen Norden sind. Eine weiße Verantwortung für die betrachteten Missstände besteht demnach zwar durchaus, wird hier aber falsch eingeordnet und verstanden und hat verheerende Konsequenzen.« (Brückenwind, 2020)

»Deswegen werden oft ohne Konsens Fotos von BiPoC Kindern in ›unterentwickelnden‹ [sic!] Ländern gemacht, die dann auf social media veröffentlicht werden. Der WSC passiert auch oft in Filmen. Wenn rassistische Situationen in Filmen dargestellt werden, dann ist es meist eine weiße Person, die die Situation auflöst/das Opfer rettet/welt-offen ist/ Rassismus/die rassistische Aktion besiegt.« (Wir muessten mal reden, o.J.)

Literatur:

Website von Brückenwind, White Savior Complex, 2020, https://brueckenwind.org/bildungsarbeit/white-savior-complex-2/, (zuletzt abgerufen am 27.11.2021).

Website von Wir muessten mal reden, Awairness Glossar, o.J., https://wirmuesstenreden.blogspot.com/p/woketionary.html, (zuletzt abgerufen am 14.05.2021).

Widerstände, Widerständigkeit

In der Erwachsenenbildung versteht man unter Lernwiderständen »Formen ›innerer‹ Lernverweigerung, deren Gründe sowohl in der Lernerbiographie [sic!] als auch im Verlauf des Lernprozesses liegen können. Die sozialen Rahmenbedingungen, unter denen Lernen jeweils stattfindet, spielen dabei eine erhebliche Rolle.« (Tröster 2000, S. 41) Monika Tröster schreibt, dass es dazu bereits in den 1960er Jahren Forschung gegeben hat. Es wird darauf verwiesen, dass die Ursachen für Lernwiderstände darin begründet liegen können, dass die Veränderungen durch die neuen Wissensbestände große Veränderungen wie zum Beispiel das Hinterfragen der sozialen Lebensumstände bedeuten können. Tröster verweist darauf, dass das Auftreten von Widerständen in pädagogischen Settings daher nicht als Störung aufgefasst werden soll. Im Gegenteil weist sie ihnen im Kontakt zwischen Dozierenden und Teilnehmenden »[…] eine Signalwirkung [zu] und [sie] können Richtschnur, Grenze oder Wegweiser sein.« (ebenda)

Mit Widerstand oder Widerständigkeit können aber auch die Kämpfe minorisierter Menschen für ihre Rechte verstanden werden, heute und historisch gesehen, tragen Menschen soziale Kämpfe aus zum Beispiel für ihre Rechte, gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen,…

Literatur:

Tröster, Monika: »Stichwort Lernwiderstände. Begriffsklärungen rund um das Thema Lernbarrieren.« In: Nuissl von Rein, Ekkehard (Hg.): DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 2, 2000, Lernbarrieren, Lernblockaden, Lernwiderstände; online unter: http://www.die-bonn.de/id/1018 (zuletzt abgerufen am 05.08.2021).

wirkmächtig, Wirkmächtigkeit 

Diskriminierung ist nicht nur individuell, sondern strukturell bedingt. Diese Strukturen sind kulturell hergestellt, das heißt historische Ereignisse aus der Vergangenheit sind ursächlich dafür, dass die gesellschaftlichen Ungleichverhältnisse bis heute andauern – sie immer noch wirkmächtig sind. Der Begriff »wirkmächtig« umschreibt demnach das Phänomen, dass die Effekte von Rassismus (die aus der Kolonialzeit stammen) in Form von rassistischen Bildern, Sprache und Denkmuster bis heute fortbestehen, weil sie tief in den Strukturen der Gesellschaft verankert sind. Sie sind in Filmen, Liedern, in der Werbung wirkmächtig und bestimmen mitunter (unbewusst) auch das Denken und Handeln vieler Menschen, z.B. darin wie wir auf vermeintlich »fremde« Kulturen schauen oder auf dem Wohnungsmarkt, welchen Menschen eine Wohnung angeboten wird und welchen nicht.

Wissensordnung, Wissen, Wissens- und Werteordnung

Nach Michel Foucault ist das menschliche Wissen nicht nur eine Ansammlung und Anordnung von Informationen, sondern ein Diskursfeld, wodurch sich Machtverhältnisse erst etablieren können. Das Diskursfeld beschreibt eine Verkettung und Verwobenheit von Ereignissen, Erzählungen, Diskussionen, Bildern und Erkenntnissen. Es entsteht eine Wissensordnung, die zugleich hierarchischen Strukturen unterliegt. So liegt die Macht bei denen, die über das Wissen verfügen und darüber entscheideen, welches Wissen als legitim gilt (siehe epistemische Gewalt). (vgl. Foucault 2003)

Ein Beispiel: Im medizinischen Diskurs wird festgelegt, wer als krank und wer als gesund gilt. Bestimmte Symptome werden zu einem Krankheitsbild zusammengefasst, nach dem Expert_innen bestimmen, wie und wer behandelt wird. Dabei entstehen Ausschlusseffekte, die Menschen strukturell diskriminieren können.

Ein Beispiel für diese Ausschlusseffekte ist der Diskurs über Geschlecht und Sexualität: So wird die Sexualität, die nicht der heteronormativen Norm entspricht, in Teilen der Gesellschaften als »krank« bzw. »unnormal« eingestuft. Mit diesen Normen gehen auch immer Werte einher, die verschieden sozial positionierte Menschen ab- bzw. aufwerten. Ähnlich verhält es sich mit dem Diskurs um Männlichkeit und Weiblichkeit. Dieser ist einerseits biologistisch/medizinisch festgelegt, anderseits gehen mit der medizinischen Definition auch politische Diskussionen und Praktiken einher. Diskutiert wird, wie mit Menschen umgegangen wird. Es wird darüber verhandelt, was Geschlecht sei und welche Regeln und Gesetze eingeführt werden sollten, um die Geschlechterordnung aufrechtzuhalten

Dadurch, dass die Wissensordnung Menschen nun in »männlich« und »weiblich« einteilt, verbreitet sich das Verständnis und die Haltung darüber, was »männlich« und »weiblich« sei im Alltag, in den Unterhaltungsmedien, in der Kleidungs-, Spielzeug- und Schönheitsindustrie etc. weiter. Die bestehende Wissensordnung, die Menschen in die Kategorie »Mann« und »Frau« einteilen, haben jedoch nichts mit der Lebensrealität der Menschen zu tun, wie sie leben und fühlen, z.B. ist rosa nicht unbedingt weiblich und blau nicht unbedingt männlich, Jungen tragen Kleider und schminken sich, es gibt mehr Geschlechter als Mann/Frau etc. Dass diese Wissensordnung sich durchsetzt, d.h. den Diskurs dominiert, zeigt sich daran, dass viele Menschen sich mit den Kategorien identifizieren, d.h. die impliziten Werte übernehmen oder sich entsprechend anpassen. Gesellschaftliche (Wissens-)Normen haben somit eine machtstabilisierende Funktion und stellen die Grundlage dar für die Werteordnung, die Gesellschaften strukturiert. (vgl. Foucault 2003)

Menschen, die nicht dieser Norm entsprechen oder sich anpassen wollen, werden ausgegrenzt, erfahren Nachteile in der Gesellschaft. An diesem Punkt setzt die diskriminierungskritische Praxis an, diese Wissensordnung zu hinterfragen.

Literatur:

Foucault, Michel: Die Archäologie des Wissens. Frankfurt: Suhrkamp, 2003.

Wissen, sozial situiert

»Situated Knowledge (zu deutsch »Situiertes Wissen«) ist ein zentraler Begriff in Donna Haraways Konzept der feministischen Objektivität. Haraway geht in ihrem viel zitierten Essay Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective (1988) von einer grundsätzlichen Bedingtheit allen wissenschaftlichen Wissens aus. Deshalb werden im Konzept des Situated Knowledge die soziale Verortung […] der forschenden Personen mit in den Forschungsprozess einbezogen. Außerdem werden die Einbettung in ein wissenschaftliches Feld sowie mögliche [.] [Leerstellen] analysiert.

»So, not so perversely, objectivity turns out to be about particular and specific embodiment and definitely not about the false vision promising transcendence of all limits and responsibility. The moral is simple: only partial perspective promises objective vision«. (Haraway 1988, S. 583)

Situated Knowledge ist in diesem Sinne lokal und immer begrenzt und kann niemals für alle Menschen sprechen. Wichtig ist vor allem die Verknüpfung von verschiedenen Perspektiven. Zentral ist dabei, das Objekt des Wissens als Akteur und Agent zu betrachten und nicht als Projektionsfläche. (vgl. ebenda, S. 592) Wichtig im Umgang mit Wissenspositionen ist vor allem die wiederholte kritische Nachprüfung, Dekonstruktion und Interpretation des herrschenden Wissens. (vgl. ebenda, S. 584) Kernpunkt von Situated Knowledge ist eine grundsätzliche kontextuelle Betrachtungsweise jeglicher Forschungsfragen.

Haraways Situated Knowledge hat sich nicht nur in der feministischen Erkenntnistheorie als viel diskutiertes Wissenskonzept behauptet, es wird auch immer häufiger als konzeptioneller Ausgangspunkt für transdisziplinäre Projekte und Künstlerische Forschung verwendet. Das Konzept des Situated Knowledge eignet sich dafür, einen klar definierten Themenbereich aus verschiedenen disziplinären Perspektiven und/oder Wissenspositionen zu bearbeiten und ermöglicht somit eine transdisziplinäre Arbeitsweise. (vgl. Egloff 2011; Griffiths 2011)«. (Transdiziplinarität o.J.)

Literatur:

Website von Transdisziplinarität. Eine Bestandesaufnahme des Forschungsdiskurses, Situated knowledge, https://blog.zhdk.ch/trans/situated-knowledge/, (zuletzt abgerufen am 16.10.2021).

Z

Zeichen

Eine Sprache zu lernen, ist mit dem Lernen von Wörtern und ihrer Bedeutung verbunden. Dabei handelt es sich um das Erlernen von Zeichen: Bilder, Klänge, Objekte, räumliche Anordnungen etc. Wir lernen die Bedeutung dieser Zeichen und damit auch, was diese für unser Handeln innerhalb der Gesellschaft bedeuten. Für alle Zeichen gilt, dass sie durch die Verknüpfung mit Bedeutungen zu Symbolen werden. Zum Beispiel sehen wir die Farbe Blau und verknüpfen dies mit unterschiedlichen Assoziationen (Wasser, Trauer etc.). Diese Assoziationen werden erlernt und sind kulturell hergestellt. Dabei können diese Zeichen in unterschiedlichen Kontexten etwas anderes bedeuten. Die ghanaische Kunsthistorikerin Nana Oforiatta Ayim untersucht plurale Wissensformen in der Kunst. In ihrer Darlegung erzählt sie von den verschiedenen Farben, die in ihrer ghanaischen Community symbolisch aufgeladen werden. Die Farbe Weiß steht beispielsweise symbolisch für männliche Fruchtbarkeit, Befruchtung, Penetration, Wasser und Reinigung. (vgl. Oforiatta Ayim, 36:14 min) Wasser wird hingegen in westlichen Kulturen mit der Farbe Blau assoziiert.

In der diskriminierungskritischen Praxis an der Schnittstelle von Bildung und Kunst werden die Zeichen (Bilder, Klänge, Bewegung, Objekte, räumlichen Anordnungen, Worte) und ihre Symbolik, diskriminierungskritisch hinterfragt. Es werden Zeichen verändert, um beispielsweise Zeichen und ihre Symboliken, die bis dato diskriminierend waren, zu verändern, oder neue Zeichen und Symboliken hergestellt, um Sichtbarkeiten für von Diskriminierung Betroffene zu schaffen, die zuvor kein Gehör fanden.

Literatur:

Oforiatta Ayim, Nana: UNEXPECTED LESSONS, Video, Keynote »Recreating Ecologies of Knowledge«, 2021; online unter https://www.youtube.com/watch?v=S6Qylg_CMw8&t=2142s. (zuletzt abgerufen am 20.11.2021).

Zine

Ein Zine (englisch ausgesprochen als [Sain]) ist ein kleines Magazin bzw. Heftchen, das Personen in meist kleinen Stückzahlen selbstständig herstellen, gestalten und verteilen oder tauschen, oft aus einem gefalteten und angeschnittenen Din-A4-Blatt.

»Queer-feministische Zines – oft als ›Grrrl Zines‹ oder ›Femzines‹ bezeichnet – stehen in der langen Tradition der freien Medienproduktion. Es sind selbständig produzierte Magazine, die von und für Mädchen, junge/n Frauen und queere/n und transgender Menschen mit Interesse an Feminismus, Alternativkultur und Aktivismus geschrieben, herausgegeben und verteilt werden.« (Zobl 2011, S.1)

Zines können subkulturell verortet werden oder (daran angelehnt) auch als »Do it yourself Medium« z.B. im Unterricht verwendet werden. (ebenda)

Literatur:

Zobl, Elke: »A kind of punk rock ›teaching machine‹. Queer-feministische Zines im Kunstunterricht«. In: Mörsch, Carmen (Hg.): Art Education Research, 2/3, 2011; online unter https://blog.zhdk.ch/iaejournalold/no-3/materialien/ (zuletzt abgerufen am 20.10.2021).

Zuschreibung, (dominanzgesellschaftliche/ soziale), Fremdbezeichnung

Dominanzgesellschaftliche/soziale Zuschreibungen (oder auch Fremdbezeichnungen) »sind Wörter, die von der Dominanz/Mehrheitsgesellschaft gewählt (gelernt) werden, um Gruppen die als »anders« als die Norm definiert werden, zu bezeichnen. Dabei wird die Mehrheit/Dominanzgesellschaft nie bezeichnet als z.B weiß und cis, sondern immer nur das vermeintlich »Andere« (z.B. homosexuelle Menschen oder Schwarze Menschen). In diesem Prozess liegt schon immer eine diskriminierende Praxis, in dem selektiert wird wer »normal« und wer »anders« ist. Normal ist dabei positiv und anders negativ konnotiert. Teilweise werden bei Fremdbezeichnungen auch die Selbstbezeichnungen ignoriert – beispielsweise bei den im Kolonialismus geprägten Bezeichnungen: »Stamm«, »Ind***er_innen« oder »Buschmänner«, statt die konkrete Bezeichnung der darzustellenden Gesellschaft zu verwenden (z.B die Yoruba Bevölkerung in Nigeria oder die indigene Bevölkerung der Ika in Kolumbien). Viele der rassistischen Fremdbezeichnungen stammen aus der Kolonialzeit und haben eine besondere koloniale Logik. Im Kolonialismus wurde fast alles ignoriert, was vorher in den kolonisierten Gebieten bestand (Sprache, Besitz, Religion, Kultur, Landesgrenzen etc.) und den weißen Europäer_innen unterworfen. Dabei bezeichneten sie nicht nur Menschen, wie sie wollten, sondern auch Gebiete – teilten Gebiete mit bestehenden Grenzen zu neuen Gebieten ein – je nach ihren Besitzwünschen. Viele der rassistischen Fremdbezeichnung entstanden aus dieser Eroberungs- und Unterwerfungslogik, wo alles, was dem westlichen Blick unklar war, kategorisiert und bezeichnet wurde. Außerdem entwickelten europäische Wissenschaftler_innen die sog. Rassenlehre, in denen die rassistischen Fremdbezeichnungen auch entwickelt wurden. Bei anderen Fremdbezeichnungen führte der andauernde Prozess des Hervorhebens des bedeutsamen und vermeintlich »unnormalen« Merkmals zum Druck der positiven und ermächtigenden Selbstbezeichnung oder Rück-Aneignung der Fremdbezeichnung, beispielsweise bei der Bezeichnung Queer.« (vgl. HAW – Stabstelle Gleichstellung o.J.)

Literatur:

Website von Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) – Stabstelle Gleichstellung, Fremdbezeichnung, o.J., https://www.haw-hamburg.de/fileadmin/Gleichstellung/PDF/Respekt/Fremdbezeichnung.pdf (zuletzt abgerufen am 16.05.2021).

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